Besuch des Bischofs, Teil 4


Besuch des Bischofs, Teil 4

 

Auf das Zeichen zum Gebet erheben sich alle schnell. Fiebrige Spannung liegt in der Luft, vibriert im volltönenden „Amen“. Dann strömen alle zum Speisesaal heraus, schon gelenkt und mit Anweisungen versehen von den Rektoren, Subrektoren und Oberstufenschülern. Ich fühle mich verwirrt, weiß nicht, was ich tun soll. Die Musiker, die während des Essens gespielt und dann in die Küche geschickt wurden, um ihre Mahlzeit nachzuholen, kommen aus der Tür heraus, die den Speisesaal mit einem Besteckraum und der Küche verbindet. Sie bemerken mich anscheinend nicht, obgleich sie mich sehen müssten! Schon sind sie aus der andren Tür des Speisesaals gelaufen, welche zum Foyer führt. Ich folge ihnen, will wissen, was geschehen ist. Noch bin ich hier im Konvikt der frühen dreißiger Jahre… – Natürlich! Die Hitler Jungen! Die Demonstration gegen den Konviktrektor, gegen den Stadtpfarrer und Lehrerinnen und Lehrer des Gymnasiums fand statt am… – ich muss überlegen; ich habe das recherchiert im Dom- und Diözesanarchiv M.! – ja, am ersten Juni 1934! Folglich müssen wir heute den zweiten Juni 1934 haben; der Schüler Adri sprach davon, dass die Demonstration „gestern“ stattgefunden habe. Wenn das richtig ist – was dann? Ich weiß es nicht! Was soll ich tun? Ich entschließe mich dazu, mit dem Grübeln aufzuhören und hinauszugehen.

Ich gehe also hinaus zum Foyer, wo es menschenleer ist. Draußen vor der Hauptpforte tummelt es sich ohrenscheinlich. Der Chor probt das „Veni creator spiritus“; in größerer Entfernung (wohl von der K.bergstraße her!) blasen die Schüler in ihre Blechinstrumente. Als ich die erste schwere Pfortentür öffne, die den Weg frei gibt in einen vom Pfortenfenster einsehbaren Zwischenraum, verstärkt sich die Geräuschkulisse schon merklich, und als ich die zweite, ebenso schwere Pfortentür öffne, die nach draußen und zur Eingangstreppe führt, finde ich alles vor wie vermutet: Ein Subrektor dirigiert den Chor und gibt letzte Anweisungen. Nervös schaut er auf den Weg an der Ostseite des Konvikts, der an der Kapelle vorbei zur K.bergstraße führt, von wo der Bischof erwartet wird. Alle sieben Rektoren halten sich auf der Mitte des Weges zwischen Hauptpforte und Südeingang an der K.bergstraße auf, um – wie mir nach kurzem Überlegen einfällt – dem Bischof entgegengehen zu können… Die Blechmusiker tönen laut und feierlich: Seine Exzellenz ist erschienen, wiewohl wir ihn an der Hauptpforte noch nicht sehen können. Der Subrektor verschluckt sich vor Aufregung, als er dem Chor mitteilt:

„Erst… erst auf mein Zeichen! Um Himmels willen!… Zeichen…!“

Still-beobachtende Blicke treffen ihn. Die Rektoren sind schon feierlich-freudigen Schrittes ihrem Oberhirten entgegen gegangen und begleiten ihn nun an der Kapelle vorbei zur Hauptpforte des Konvikts.

„Herr Subrektor!“, ruft einer der Schüler und befreit den Chorleiter damit aus einer sekundenlangen Erstarrung; sogleich gibt er das Zeichen zum Einsatz:

„Ve-ni cre-á-tor Spi-ri-tus, mentes tu-ó-rum ví-si-ta, imple su-pérna grá-ti-a, quae tu cre-ásti, péctora…“

Nun erblicken auch wir den hohen Gast, die wir auf der Treppe der Hauptpforte stehen; im Bischofsgewand, mit Mitra und Krummstab versehen, schreitet er einher, grüßend und segnend nach allen Seiten, von wo ihm Applaus und freudige Hingabe entgegengebracht werden. Die Rektoren umtänzeln ihn ehrerbietig, der sich der Treppe zur Hauptpforte nähert. Der Chor bildet im Singen eine Gasse und lässt den Bischof und die Rektoren hindurch, schließt sich dann an und folgt – weiterhin singend, was dem dirigierenden Subrektor alles abverlangt – zum Foyer des Hauses, in den Kapellengang und bis zur Kapelle. Alle anderen Schüler, Subrektoren, Hauslehrer und nicht zu vergessen die Schwestern vom Orden der Göttlichen Vorsehung, die in der Küche das „hochfeudale Festessen“ bereitet haben, folgen ebenso. Stille herrscht nun, allenfalls von flüsternden Weisungen unterbrochen. Die Hausgemeinschaft füllt die hölzernen Bankreihen, und der Bischof begibt sich in den Altarraum, wo sich ihm die sieben Rektoren rechts und links zur Seite stellen. Der Bischof macht das Kreuzzeichen, und alle machen es ihm nach. Dann ergreift einer der sieben Rektoren das Wort:

„Ehrwürdige Exzellenz! Voller Dankbarkeit sind unsre Herzen, weil Sie sich nach den Firmungen in der Stadtkirche noch Zeit nehmen, Ihr Konvikt zu besuchen. Wissen wir doch allzu gut, dass auf den Schultern eines Bischofs, besonders eines deutschen Bischofs, heute eine große Arbeitslast und eine fast übermenschliche Verantwortung liegen. Lassen Sie sich deshalb versprechen, Ehrwürdige Exzellenz, dass wir gerade in diesen Tagen für Sie beten und uns Mühe geben wollen, durch ein recht christkatholisches Leben unserem lieben Oberhirten viel Freude zu bereiten.“

Der Rektor verbeugt sich vor dem lächelnden Bischof und tritt einen Schritt zurück zu den übrigen sechs Rektoren. Nun ist es am Bischof zu reden:

„Hochwürdige Herren Rektoren! Von Herzen danke ich Ihnen, den hochwürdigen Herren Subrektoren, den Zöglingen des B.er Konvikts und der gesamten Hausgemeinschaft für die tröstende Teilnahme in einer Zeit, die besonders die Herren der Kirche dem Hass und der Bosheit der Welt aussetzt. (mit einer Wendung zu den Schülern in den Bankreihen) Euch, liebe Zöglinge, empfehle ich eifriges Gebet, gründliches Studium und ein sittenreines Leben! Erweist euch als würdig, immer für Jesus Christus und seine heilige Kirche zu stehen!“

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.