Die Reise nach Mainz – 5. Teil


Die Reise nach Mainz – 5. Teil

Rosa saß an einem kleinen Tisch, die Beine lässig übereinander geschlagen, vor ihr auf dem Tisch lag eine dünne hellbraune Mappe.

Rosa trug eine Sonnenbrille, sie wirkte sehr elegant in ihrem grauen Hosenanzug, wie eine Managerin oder eine Rechtsanwältin, die sich was leisten konnte.

Langsam ging ich auf sie zu. Sie bemerkte mich nicht.

„Würden Sie mir erlauben, dass ich mich zu ihnen setze?“, fragte ich.

Rosa hob ihren Blick, auf ihrer Stirn bildete sich eine Falte des Unmuts. Doch dann erkannte sie mich und sie sagte überrascht: „Lennard, du? Lebst du nicht in Hamburg?“

„Ja, weißt du es denn nicht?“

„Was?“, fragte sie.

„Unser Ehemaligen-Treffen…, heute Abend… im Beichtstuhl.“

Rosa lachte. „Setz dich, und dann lass uns ein wenig plaudern“, sagte sie. „Ein paar Minuten hab ich noch. Weißt du noch, dieses Café? Wie oft hat es uns als Verabredungsort gedient…“

Ich nickte, setzte mich. „Wollen wir über die Gegenwart oder die Vergangenheit plaudern?“, fragte ich.

Rosa legte mir leicht eine Hand auf den Arm. Ich sah, sie trug einen Ring.

„Hast du auf dem Segelboot geheiratet?“, fragte ich spitz.

„Nein. Ich trage den Ring gewissermaßen als Schutz.“

Ihre Antworte erstaunte mich. „Ich dachte immer, du wirst mit allem fertig“, sagte ich.

Rosa warf ihren Kopf in den Nacken, sie lachte rau. Ein paar Silbersträhnen glitzerten in ihrem Haar. Ich fragte mich, ob sie die Sonnenbrille trug, damit keiner ihre Falten um die Augen sah. Zwar schien auch in Mainz die Sonne, aber wir hatten die Sonne im Rücken. Keine Frage, die Sonnenbrille ließ sie verlockend jung aussehen.

„Ich habe gehört, du hast eine gutgehende Kanzlei in Hamburg“, bemerkte sie anerkennend.

Wieder nickte ich. „Dann weißt du sicher auch, dass ich dreimal erfolglos Anlauf genommen habe, dich zu vergessen“, sagte ich.

„Ja. Deine letzte Frau habe ich übrigens kennengelernt. Ich finde sie klug, charmant und bestimmt ist sie in allem viel geduldiger als ich.“

„Wo habt ihr euch getroffen?“, fragte ich überrascht.

„Wo treffen sich Juristen schon?“, antwortete sie. „Auf Kongressen. Sie hat mir viel von dir erzählt. Dachte, hoppla, das ist nicht mehr der schüchterne Junge, den ich einmal kannte.“

„Und was ist mit deinem Kapitän?“

„Was soll schon mit ihm sein?“, entgegnete Rosa. „Er ist sicher irgendwo unterwegs.“

Während ich lächelte, spürte ich ein albernes Herzklopfen. Sollte das heißen, sie war frei?

„Sehen wir uns heute Abend?“ ,fragte ich hoffnungsvoll.

Rosa schüttelte den Kopf. „Ich habe einen anderen Termin“, erklärte sie mir mit einem ernsten Lächeln. „ Aber davon abgesehen, mag ich diese Erinnerungstreffen nicht. Kindereien sind das, etwas für Melancholiker.“

„Du warst unser Star. Weißt du das nicht mehr?“

„Ich war ich. Was ihr daraus gemacht habt, ist euer Problem.“

Hektisch zündete sie sich eine Zigarette an, zog zweimal daran, drückte dann den Rest dermaßen fest in den Aschenbecher, dass die Zigarettenhülle zerplatzte.

„Bist du glücklich?“, fragte ich sie.

Um ihre Mundwinkel zuckte es. „Wie lange bleibst du in Mainz?“ stellte sie die Gegenfrage.

„Bis morgen Mittag, dann reise ich wieder nach Hause.“

„Nach Hause. Wie schön das klingt“, bemerkte sie. „Hast du ein Hotelzimmer gebucht?“

Erneut nickte ich. Rosa nahm ihre Sonnenbrille ab. Ihre Augenpartien waren nicht faltenlos, aber das störte mich nicht. Ich hätte gerne ihre Augen geküsst. Sie sahen müde aus.

„Wenn du willst, besuche ich dich später“, schlug sie vor.

„Wozu?“

„Ja. Wozu“, murmelte sie.

Danach war es, als hätten wir uns nichts mehr zu sagen, und ich spürte eine tiefe Enttäuschung in mir aufsteigen. Früher waren ihr nie die Worte ausgegangen, früher, da hatte sie mich zum Reden animiert, aber wie früher war ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt.

Sie müsse jetzt gehen, sagte Rosa wenig später. Ich sah sie an, aber sie wich meinem Blick aus, setzte wieder ihre Sonnenbrille auf.

Rosa fragte weder nach dem Namen meines Hotels noch bat sie mich, Grüße an die anderen auszurichten. Als sie mir die Hand gab, war sie trotz der Wärme des Tages kalt.

Zwei Monate später schickte mir einer der Kommilitonen, die ich an jenem Abend getroffen hatte, eine Zeitungsseite. Eine Abschiedsseite. Abschied von Rosa. Mein Name stand nirgends. Ich war vielleicht zu lange zu weit weg.

 

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