Eine rätselhafte Begegnung: 1.Teil


Eine rätselhafte Begegnung

©Brigitta Dewald-Koch

 

Kurz nach der Veröffentlichung meines Roman Nur einen Sommer lang wurde ich zu einer Lesung auf eine Nordseeinsel eingeladen. Genauer gesagt, ich wurde von dem Pfarrer, der auf dieser Insel in den Monaten Juni, Juli und August Vertretungsaufgaben übernehmen würde, gebeten, vor seiner Gastgemeinde aus meinem Roman zu lesen. Der Pfarrer stammte aus meiner Gegend. Er hatte das Buch, das im Frühjahr 2003 verlegt wurde, geschenkt bekommen, wie er mir sagte, es gelesen und die Handlung, in deren Verlauf eine junge Frau, die vor ihrer Hochzeit flieht, auf einer Nordseeinsel strandet, wo sie einen Insulaner trifft, dessen Bodenständigkeit sie zunächst beeindruckt, dann aber mehr und mehr bedrückt, hatte ihn mehrere Tage lang nicht losgelassen. Die Begegnung zweier in sich gefangener Menschen, die im anderen die Hoffnung darauf suchen, dass es ein Glück ohne Angst geben kann, hatte in ihm die Frage aufgeworfen, wie viele Menschen sich wohl aus gleichen oder ähnlichen Gründen täglich auf der Flucht nach irgendwohin befanden. Ja, ihm war sogar der Gedanke gekommen, dass sein Aufenthalt auf der Insel dem Grunde nach auch als eine kleine Flucht zu begreifen sei. So entstand die Idee, das Thema Lebensflucht während seiner Zeit auf der Insel in der Gastgemeinde aufzugreifen, den Abschluss einer hierzu vorgesehenen Veranstaltungsreihe sollte meine Lesung bilden.

Wenngleich er mir auch kein großzügiges Honorar in Aussicht stellen konnte, nahm ich das Angebot des Pfarrers dennoch an. Mich interessierte sein Thema, außerdem war ich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht sehr publikumsverwöhnt und fand, jeder werbewirksame Schub könnte der Verbreitung meines Romans nur gut tun.

Seit meinen Kindertagen wusste ich, dass Mitglieder einer Kirchengemeinde besonders geschult sind im aufmerksamen Zuhören, und ich dachte, wenn ich besonders interessante Stellen zum Lesen heraussuchte, konnte ich meine Reisekosten decken, und soweit das Wetter mitspielte, einen netten Kurzurlaub am Meer verbringen.

Die Lesung sollte an einem Freitagabend Ende Juli im Gemeindehaus der Pfarrei stattfinden und als Ausgleich für das schmale Honorar wollte sich der Pfarrer um eine Unterkunft für mich kümmern.

Bis Ende Juni hörte ich nichts mehr von ihm, doch dann rief er eines Abends an und teilte mir mit, er habe ein einfaches Hotelzimmer für mich gebucht, denn er gehe davon aus, vor und nach der Lesung zöge ich es vor, lieber für mich alleine zu sein, anstatt in einer Unterkunft mit Familienanschluss.

Da habe er richtig gedacht, pflichtete ich ihm bei und war ihm dankbar für den vorausschauenden Blick. Auch hatte der Pfarrer bereits Flyer für meine Lesung drucken lassen und an verschiedenen Orten auf der Insel verteilt: Er sei sehr zuversichtlich, dass es eine gute Lesung werden würde, versicherte er mir noch und wir waren beide in einer recht euphorischen Stimmung, als wir uns an jenem Abend voneinander verabschiedeten, der Pfarrer wies mich noch darauf hin, dass das Wetter mit uns im Bunde sei, zeige es sich doch gerade von seiner allerbesten Seite. Blau, wolkenlos, und ich sagte meinerseits zu, wenigstens eine halbe Stunde vor Lesebeginn im Pfarrhaus einzutreffen.

In den nächsten Tagen machte ich mich daran, Textteile aus meinem Roman auszuwählen, die interessant und auch dramatisch genug waren, meine Zuhörerschaft für wenigstens eine Stunde gut zu unterhalten. Außerdem überlegte ich mir, ein paar Anekdoten rund um die Entstehung des Romas zum Besten zu geben.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass das Internet ein auskunftsfreudiger Berater für alle ist, die in Sachen Lesungen unerfahren sind, sich aber bestmöglich auf ihr Publikum vorbereiten wollen. Nur sollte man in jedem Fall darauf gefasst sein, dass einem am Veranstaltungsort möglicherweise ein beträchtliches Maß an Flexibilität abverlangt werden kann.

Es sei ungünstig, eine Lesung zum Ende des Monats durchzuführen, weil die Motivation, ein Buch zu kaufen, gegen Ende eines Monats geringer sei als an seinem Anfang, las ich im Internet. Meine Lesung fand am Monatsende statt.

Ich nahm so viele Bücher mit, wie ich ohne großen Aufwand in Zug, Bus und auf der Fähre, alles in allem über etwa fünfhundert Kilometer, mit mir führen konnte. Und ich nahm mir fest vor, keines der Bücher wieder nach Hause zurück zu tragen.

Ein weitere Empfehlung, die ich dem Internet entnahm, lautete, stehen sei während einer Lesung allemal besser als sitzen, die Stimme käme dann klangvoller rüber und das Vorgelesene wäre selbst in der hintersten Reihe gut zu verstehen, zumal in Lesungen häufiger ältere Menschen zu finden seien, die nicht selten dazu neigten, während des Lesens einzunicken. Stünde man jedoch vor seiner Zuhörerschaft und hätte sie dabei fest im Blick, garantiere das nicht nur eine lebendigere Lesung, sondern auch ein waches Publikum.

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