Jede einzelne Birke hat einen Wurzelteller


Jede einzelne Birke hat einen Wurzelteller

 

Jede einzelne Birke hat einen Wurzelteller, mit dem sie bis zu 70 Liter Wasser am Tag aus ihrer unmittelbaren Umgebung wegsaugt. Da wundert sich so mancher, weshalb ausgerechnet dieser Birkenwald mit lauter Hängebirken umgeben ist vom saftig-grünen Gras. Aber das ist nicht das einzige Außergewöhnliche! Die Birke ist ein Rätsel! Von März bis Juni versorgte sie uns mit allerlei. Meine liebe Oma nannte ihn auch den Wunderbaum. Und heute verstehe ich es, ha! Mein Opa nannte ihn auch den Nierenbaum. Jeden Frühling ging er los und sammelte gleich zu Beginn die jungen Blätter, die noch etwas klebrig waren. Damit rührte er seine Tee-Kur an. Oma trank natürlich auch mit. Drei Wochen lang zwei Liter am Tag. „Der Tee treibt“, war dann der Hauptsatz in dieser Zeit. Meine Oma war fest davon überzeugt, dass sie ihr faltenfreies Gesicht der Birke und der Kur zu verdanken hat. Zum Abendbrot gab es einen frisch gebackenen Laib mit eigens geschlagener Butter und jungen Birkenblättern. Darauf habe ich mich sehr gefreut! Es schmeckt sehr nussig, ein wenig dem Ruccola ähnelnd. Auch sonst waren Birkenblätter zwei bis drei Monate im Jahr allgegenwärtig. Es gab auch Birkenöl im Haus und als Fiebermittel wurde es auch eingesetzt. Einmal hatte mein Bruder eine furchtbare Wunde am Kopf, Blut rann das Gesicht hinunter. Meine Oma knäulte die Birkenblätter und legte sie auf die Wunde. Auch war die Birke unsere letzte Rettung im Winter, wenn die Kohle aus war und wir vor Kälte in Schockstarre verfielen. Opa ging dann los und fällte eine Birke, sie brannte wegen des Harzes hervorragend, obwohl das Holz nass war.

Timo schaute ihn verwirrt an. Und was hast du nun auf dem Berg gemacht? War sie da unten zwischen den Birken? Ja, das war sie! Es war nicht leicht, sie zu finden. Du musst wissen, sie muss bereit sein dafür. Aber sie sendet ein Zeichen, sichtbar in den ersten grünen Knospen. Wir gingen zwischen den Birken und hielten Ausschau. Wir fassten die schmeidige weiße Rindenschicht beim Vorbeigehen an. Viele winkten uns mit ihren schläfrigen Anblick weiter. Aber eine strahlte ihre Frühlingskraft immer nach außen und lockte uns mit ihrem Birkenduft. Von nun an musste alles gut durchdacht sein. Nicht zu tief und nicht zu hoch aufritzen. Schlägst du zu hoch, dauert es zu lange, möchtest du ihr frisch schmeckendes Wasser mit eigenem süßen Aroma abzapfen, darfst du nicht zu tief einstechen. Schlägst du es zu niedrig, kommt vielleicht nichts raus oder ist noch unbearbeitet und ohne Geschmack. Du must auch aufpassen, dass du das Loch nicht zu groß reinritzt, sonst verletzt du sie zu viel. Auch darfst du nicht zu schief das Messer einführen. Zum Splintholz musst du gelangen über die Rinde und am Kambium vorbei. Dann nimmst du einen dünnen Ast und schnitzt ihn flach ab, damit der Ast eine spartenähnliche Gestalt annimmt, welche du nun in das Loch reinsteckst. Du kannst den Ast mit einem Stein einschlagen, aber davor wartest du erst einmal, bis der Saft am Messer entlang tropft. Ein herrlicher Anblick! Die ersten Tropfen gönnte ich mir immer sofort! Am liebsten saugte ich an der Stelle. Danach heißt es die Gläser so zu positionieren und festzubinden, dass kein Tropfen verloren geht. Ein Liter pro 24 Stunden kann man ernten.

Wir suchten uns einige Hängebirken aus, hängten unsere Flaschen auf und ruhten uns anschließend in dem Schatten der Birken aus, wo es aufgrund von Verdunstungskühle der Birke angenehm war.

Timo beugt seinen Kopf auf die Seite, verzieht sein Gesicht fragend und kratzt sich am Hals. Und nun? Kam das Opfer jetzt, als ihr da lagt? Du bist ein guter Geschichtenerzähler, aber jetzt komm doch mal zur Sache!

Ach Timo, noch ein Detail habe ich vergessen. Manche ältere Damen gewannen auch ätherische Öle aus der Birke. Aber die Prozedur habe ich nie miterlebt.

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