Kurze Chronologie des amerikanischen Werteverfalls: Fortsetzung


Exkurs:

Diese „Umwertung der Werte“, dieser Umschlag ins Werte-Gegenteil — aus ideellen Werten werden zunächst Un-Werte und diese werden nachfolgend zu neuen „Leitwerten“ stilisiert —, diese „Ummünzung“ und „Falschmünzung“ hat bereits in den späten 1980er Jahre einen Vorläufer in der Banken-Welt gehabt.

In diesem Zusammenhang sei u.a. auf den Film von Oliver Stone „Wall Street“ (1987) und dessen seltsamen Hype verwiesen (siehe arte, 05.11.2017, 20:15 u. 22:15 Uhr). Stone hatte den Film eigentlich auf den jungen Broker „Bud Fox“ (Charlie Steen) zugeschnitten, und wollte dessen Aufstieg und Fall an der New Yorker Wall Street zeigen. Doch die amerikanische Bevölkerung — zumal die jungen „Trader“ und „Broker“ — jubelten dem eigentlich kriminellen, grenzenlos habgierigen „Gordon ‚Golden‘ Gekko“ (Michael Douglas) zu. Dieser Protagonist verkörperte wie maßgeschneidert ihre Sehnsüchte, ihre innersten „Werte“. So etwa Gekkos Credo: „Greed is good…“ („Gier ist gut…“). Und gegen diese „Welle“ der Öffentlichen Meinung konnte selbst Oliver Stone, der zu dieser Zeit schon ein berühmter Regisseur und Drehbuchautor war, seine eigene Intention — dass die Habgier und kriminellen Machenschaften der Wall Street äußerst gefährlich und verwerflich seien — nicht mehr durchsetzen. Quasi wider Willen verhalf Oliver Stone mit seiner Figur des „Gordon Gekko“ dem Un-Wert der Habgier, der bereits schemenhaft, wenn auch noch unausgesprochen, wie ein unheilvoller Nebel „in der Luft“ lag, zum konkreten und realen Durch-Bruch im Amerika der 1980er Jahre. Und bekanntlich ist nichts so mächtig wie eine Idee, deren Zeit zur Verwirklichung gekommen ist… Denn das „junge Amerika“ dieser Tage wollte so sein wie Gordon Gekko — im Verhalten wie auch im „dresscode“. Selbst dann noch und erst recht, als es 1987 kurz vor Veröffentlichung des Filmes zum Börsencrash kam und später dann, 2008, zur sog. „Subprime-Krise“. Die „Büchse der Pandora“ war geöffnet worden, die Umwertung der Werte nahm unaufhaltsam ihren Lauf. Und die Habgier wurde zum allgemein akzeptierten „Leitwert“ an den Börsen, in den Bankentürmen, in den transnationalen Konzernen dieser Welt. Ironie des Schicksals: Oliver Stone behielt recht mit seiner filmischen „Quasi-Dokumentation“ über die Wall Street; aber die „masters of the universe“ gestalteten fortan die Realität in die entgegengesetzte Richtung. So etwa durch das ökonomische Konstrukt (lat. construere) der sog. „Globalisierung“. Und sie behalten auch weiterhin diese Richtung bei, u.z. bis hin zu Donald Trump, dem New Yorker Investment-Mogul, der in einer seiner Wahlkampfreden diesen Gekko-Satz („Greed is good…!“) als sein eigenes Credo „zitierte“…—

 

Vielleicht können wir die Werte-Veränderung bis hin zum heutigen Werte-Verfall wie folgt skizzieren:

In den 1960er bis etwa 1980er Jahren galten im Privaten überwiegend Werte wie etwa Ehrlichkeit, Redlichkeit, („Wort“-)Treue in Geschäfts-Beziehungen und, soweit möglich und realisierbar: Gerechtigkeit. Im Privaten, im Gesellschaftspolitischen wie auch im Wirtschaftlichen galten grundsetzlich noch immer Werte und Tugenden wie etwa Verlässlichkeit, Maß, Solidarität / Nächstenliebe, Demut. Menschen wie etwa Mahatma Gandhi, Julius Nyerere, Ruth Pfau, Mutter Teresa, Roger Schutz u.v.a.m. verkörperten diese Werte; in jüngster Zeit waren es Menschen wie etwa Nelson Mandela. In der Wirtschaft gab es noch den sog. „Ehrbaren Kaufmann“, an den Aktienmärkten gab es noch den „ehrlichen Trader / Broker“, also Händler, deren Verhalten an ideellen Werten und Kodizes orientiert waren. Gewisse Geschäfte, gewisse Transaktionen waren tabu, weil sie gegen den „Ehrenkodex“ des Kaufmannes oder Händlers und damit gegen das persönliche Gewissen verstießen. Auch damals gab es in Wirtschaft und Politik wie auch im Privaten „Schwarze Schafe“. Aber diese waren noch die Ausnahme von der Regel. Auch waren Kriege und Ungerechtigkeiten aller Art zur Genüge weltweit vorhanden.

Ab den späten 1980er und bis Ende der 1990er Jahre verschoben sich jedoch diese positiv-ideellen Werte unmerklich und schleichend in Richtung Un-Werte. Sie wurden zu den neuen, maßgebenden Handlungs-„Standards“. Wer von uns verdient(e) schon sein Geld als Trader / Broker an der Wall Street, als dass er/sie das Movens der Habgier direkt und unmittelbar mit-erleben könnte…? Nun galt es in immer weiteren Bereichen der Wirtschaft — nicht nur im Sektor der „Finanz-Industrie“ —: „be clever & smart“. So etwa bluffte Bill Gates den amerikanischen IBM-Konzern (International Business Machines Corporation) mit seiner Vision des PCs und wurde durch einen cleveren „Betrug“ zu einem der reichsten und mächtigsten Menschen der Welt. Und Steve Jobs — der Gründer und langjährige CEO von Apple Inc. — war zwar ein Tüftler, aber die genialen Programmierer waren (namenlose) Andere. Während nun Jobs als „lebende Legende“ und Multimilliardär starb, blieben die Programmierer des Apple-Startups meist arm oder „amerikanische Mittelschicht“. Andere Beispiele, jedoch nach gleichem „Muster“, ließen sich etwa aus dem Bereich der Autoindustrie (vgl.: causa Ignacio López) berichten. Die neuen „Tugenden“ aus Habgier, Machtgier, Gewissen- und Skrupellosigkeit wurden zum Fundament für erstrebenswerten (Super-)Reichtum. Ehemalige Un-Tugenden wurden fortan als Tugenden allgemein anerkannt, akzeptiert und „gehandelt“. Wer erfolgreich sein wollte, der huldigte diesen „neuen Tugenden“ des „big business“. Denn „money never sleeps“.

Die frühen 2000er Jahre. Wo es soviel „Gewinner“ gibt, dort muss es zwangsläufig auch eine Vielzahl an „Verlierern“ geben. Die Umwertung der Werte diffundiert aus den Business-Bereichen zurück ins Private.

Die Macht des Geldes kauft — zumal in den USA — immer weitere Bereiche der Politik wie auch des Rechts / der Justiz und prostituiert was einstmals „law & order“ war. Die Umverteilung des Reichtums aus der sog. „Mittelschicht“ nach oben und von dort nach ganz oben zu den sog. „Superreichen“ nimmt immer stärkere und groteskere Ausmaße an (laut Oxfam-Bericht 2017 besitzen die 8 reichsten Männer der Welt ebenso viel wie 50% der Weltbevölkerung). Im Gegenzug stürzen mehr und mehr BürgerInnen— und das ist wichtig: ohne jegliches Eigenverschulden — ins Bodenlose, weil Konzern-Vorstände zwecks „Kostenreduzierung“ bei gleichzeitiger „Gewinnmaximierung“ (vgl. u.a. Lufthansa’s „SCORE“-Programm, 2012ff.) ihre Arbeitsplätze ersatzlos streichen. Der Euphemismus dieser Zeit lautet: „Outsourcing“. Outsourcing, ist das legalisierte und bis dato allgemein akzeptierte Zauberwort für „Arbeitsplätze-Vernichtung“ und damit in eins für „Existenzen-Vernichtung“. En Passant: Interessant ist jedoch, dass die „unumgänglich harten Sparmaßnahmen“ und „Einschnitte“ nur in den allerseltensten Fällen die Vorstände, die sie verfügen und verkünden, auch selber trafen bzw. treffen (vgl. jüngstes Beispiel: Stellenabbau bei Siemens). Ganz im Gegenteil: Diese Stellenstreichungen bekommen die Vorstände zusätzlich mit Boni vergütet…

Auf seiten der Betroffenen nehmen daraufhin Unsicherheit bzgl. der Zukunft und reale Armut in immer breiteren Bevölkerungsschichten der sog. „Industrie-Staaten“ beständig zu. Auf Kredit finanzierte materielle Träume wie etwa der „Traum vom eigenen Auto“, der „Traum vom eigenen Haus“, der „Traum von der sicheren Rente“, etc.pp. zerplatzen wie Seifenblasen und weite Teile der Bevölkerung stürzen unaufhaltsam in existentielle Armut mit all ihren Krisen- und Schattenseiten. Die erste „Spaltung“ innerhalb der Bevölkerung war und ist eine ökonomische und wird als die unüberbrückbare Kluft zwischen „Arm und Reich“, zwischen „wir hier unten“ und „denen da oben“ erlebt. „Underdogs“ versus „Topdogs“. Sofern man zu den „Armen“ und „Underdogs“ gehört, schlägt man sich halt so durch den Tag und den Monat durch; sofern man zu den „Reichen“ und „Superreichen“ gehört, lebt man, als ob es kein morgen gäbe… Als Verarmter mit „bodenloser Existenz“ und „no future“-Perspektive hält man einerseits noch an irgendwelchen alten Idealen fest und hegt andererseits zugleich seinen Neid, Groll und Hass. Ambivalentes, gespaltetes Leben. Zwar dienen die Anderen, die „Reichen“ und die „Superreichen“, einem auch weiterhin als „Blaupause“ für die eigenen, früheren Träume von einem „guten Leben“ (quasi reales „Herzkino“ in einer leergeräumten „Pilcher“- oder „Lindström“-Kulisse), wie sie gleichzeitig für den Hass herhalten müssen, da man sich selbst als „Opfer ihres Reichtums“ fühlt und erlebt. Diese Anderen sind jedoch unerreichbar fern, leben in einer „Parallel-Welt“ — weder kann „man“ sie (gerichtlich) belangen noch irgendwie „bestrafen“. So braut sich Wutbürger-Groll unterbewusst zusammen und baut sich als Gegenentwurf zur eigenen, ohnmächtigen Existenz nach außen hin als machtvolle „Weltanschauung“ auf…— Die grenzenlose Habgier der einen nährt den Hass und Groll der anderen. Die ökonomisch bedingte Kluft erschafft sich die politische, die ideologische Gegenwelt. Was als Armut seinen Anfang nahm, wird in eine Weltanschauung des Ressentiments umgeformt. Die nächste „Geburt der Tragödie aus dem Geiste des Ressentiments“ nimmt ihren historischen Vor-Lauf wie auch Verlauf…— Aus Habgier wurde zunächst der „geldwerte Vorteil“ des skrupellosen „Gekko“-Typus, aus diesem die Armut von Vielen, und aus dieser Armut der Vielen, der Ohnmächtigen, der existentiell Gestrandeten, der „lost generation“, wurde nachfolgend erneut der Nährboden für die Weltanschauung des Ressentiments.

 

50% der amerikanischen Wutbürger wählten daraufhin einen weißen Sexisten, einen weißen Rassisten, einen weißen Investment-„Gekko“ zum 45. Präsidenten der USA, weil dieser ihnen versprach, ihre Ressentiment-Weltanschauung zum neuen politischen Leitbild der USA zu erheben. Und Stephen Bannon, Trumps ehemaliger Chefstratege, versprach den wütenden Weißen: „Wir geben Euch Euer Amerika zurück!“ Mit Ku-Klux-Klan, Selbstjustiz, Neonazis und allem anderen, was dazu-gehört… Es bedarf nicht vieler Phantasie, um sich der Tragödie nächster Akt vorzustellen…—

 

 

Quellen

„Maybrit Illner“ mit: „Der unfassbare Präsident — was hat Donald Trump verändert?“

https://www.zdf.de/politik/maybrit-illner/der-unfassbare-praesident-was-hat-trump-veraendert-sendung-vom-9-november-2017-100.html

 

Trump Fake News, Liste der Washington Post, Stand: 09. Okt. 2017

https://www.washingtonpost.com/graphics/politics/trump-claims-database/?tid=a_inl&utm_term=.b587166b059f

 

Artikel der Washington Post zum Thema „Trump Fake News“ vom 22. Aug. 2017

https://www.washingtonpost.com/news/fact-checker/wp/2017/08/22/president-trumps-list-of-false-and-misleading-claims-tops-1000/?utm_term=.bb4eb3ae0025

 

 

Oliver Stone „Wall Street“ (kein Video vorhanden)

 

Die Doku zum Film „Wall Street“ auf arte

https://www.arte.tv/de/videos/077337-000-A/es-war-einmal-wall-street/

 

 

Der gekaufte Kongress — Lobbyismus in Washington D.C.

https://lobbypedia.de/wiki/Lobbyregister_USA

 

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