Kurze Chronologie des amerikanischen Werteverfalls


Kurze Chronologie des amerikanischen Werteverfalls

12.11.2017

 

Am Donnerstag, den 09.11.2017, widmete sich das ZDF in seinem Abendprogramm dem ersten Amtsjahr von Donald Trump. Beginnend mit Maybrit Illners Diskussionsrunde: „Der unfassbare Präsident — was hat Donald Trump verändert?“ (22:15 Uhr). Anschließend das Special von Markus Lanz: „Amerika ungeschminkt“ (23:15 Uhr). Während nun die illustre Runde um Maybrit Illner — u.a. Sigmar Gabriel, Claus Kleber, Bernhard Mattes, Anke Domscheit-Berg — zu eruieren suchte, was D.T. in den vergangenen 365 Tagen geleistet bzw. sich geleistet habe (Claus Kleber verwies u.a. auf die etwa 1.200 Fake News, die laut Washington Post D.T. in diesen 365 Tagen getwittert habe…), ging es in dem Lanz-Special um die Sichtweisen der „einfachen Leute“ von Ohio bis an die mexikanische Grenze.

Zusammenfassend, wenn auch verkürzend, lässt sich Trumps Regierungszeit wie folgt bilanzieren: 1. Durch sein persönliches Verhalten ist die politische Weltlage unberechenbarer, fragiler und unvorhersehbar geworden. Durch seine Impulsivität, seine jähzornigen Wutausbrüche sowie teilweise irrationalen Entscheidungen ist sowohl politisch als auch wirtschaftlich keinerlei Kontinuität mehr gewährleistet, noch für die Betroffenen möglich. 2. Die wirtschaftliche Situation Amerikas boomt zwar (sinkende Arbeitslosigkeit, steigende Produktivität, etc.pp.), was vor allem den weitsichtigen und richtigen Weichenstellungen der Obama-Administration zu verdanken sei, worauf Bernhard Mattes (CEO der AmCham) u.a. verwies, jedoch können die transnationalen Konzerne nicht mehr längerfristig planen, da Trumps unberechenbares Verhalten jegliche längerfristige Planung unmöglich mache. 3. 50% der wählenden Amerikaner fanden in dem Regierungs-Stil D.Ts., also wie er was sagte und ankündigte, die langersehnte „Blaupause“ für ihr persönliches Ressentiment, etwa, dass „man“ persönliche Meinungen und Unwahrheiten als „allgemein gültige, persönliche Fakten“ zu akzeptieren habe. „Man“ möchte nicht länger über Informationen oder Fakten (z.B. gibt es einen Klimawandel und wenn „ja“, inwiefern tragen CO2-Emissionen dazu bei…?) diskursiv diskutieren, sondern der jeweils Andere habe den eigenen Standpunkt als den einzig richtigen zu glauben (= Nachfragen und hinterfragen der persönlichen Meinung unerwünscht…) und diesen als „wahr“ zu akzeptieren, selbst dann, wenn dieser Standpunkt objektiv gesehen als rassistisch oder auch kriminell zu gelten habe (was Markus Lanz u.a. in den Südstaaten während verschiedener Interviews widerfuhr…).

Und hier geschieht m.E. weltweit eine interessante, wenn auch höchst gefährliche Situation für jegliche Demokratie. Die einstmals staatenbildenden Werte der sog. „Nachkriegsgeschichte“, der „Zeitgeschichte“, die etwa unter Willy Brandt eine „Friedenspolitik“, eine „Politik des Ausgleichs“, etc.pp. ermöglichten, und als Folge hiervon etwa „den Fall des Eisernen Vorhangs“ und die „Wiedervereinigung Deutschlands“ erst möglich machten, die also auf diplomatische Verhandlungen anstatt auf Kriegshandlungen zum erreichen von politischen Zielen setzten, und die dem einzelnen Bürger Rede-, Versammlungs-, Meinungs-Freiheit garantierten, all diese Werte werden heute durch „Werte des Ressentiments“ wie etwa Hass-Gefühl, Wut-Gefühl, Lüge, Gewalt-Bereitschaft bis hin zum (versuchten) Mord, etc.pp. ersetzt. Zwar sind die politischen Inhalte austauschbar — so ist etwa Trumps dictum des „America first!“ anders ausgestaltet als Erdoğans Vorstellung eines „modernen türkischen Staates“, und diese Vorstellung ist in der Sache etwas anderes als der „Brexit“ der Briten, der „Brexit“ wiederum ist inhaltlich etwas anderes als Orbáns Vorstellung von einem ungarischen Nationalstaat, wie die Orbán-Vorstellung ihrerseits zwar inhaltlich ähnlich wie Kaczyńskys Vorstellung eines „starken national-liberalen Polens“ ist (im Detail jedoch wieder unterschiedlich zum Vorgenannten…), etc.pp.; wir könnten nun alle „Spaltungen“ Europas wie auch der Welt an dieser Stelle weiter auflisten. Aber das „Muster“ und die „Struktur“ der Zwietracht wie auch des Zwiespaltes sind allen diesen politischen Bewegungen inhärent und machen sie zu Parallel-Bewegungen. Es sind doch die polarisierenden „Muster“ und „Strukturen“, die als „allgemein-gültige“ Werte erst die Gesellschaften in die „unversöhnlichen Lager“ zer-spalten. Denn die einen 50% der Bevölkerung huldigen z.Zt. egomanen Despoten, weil sie selbst gerne so wären. Diese neuen „Führer“, mögen sie sich nun Ehrentitel wie etwa „Reis“(Erdoğan) geben oder sich auch anders benennen, verkörpern die „Werte“ all jener BürgerInnen, die sich selbst als „Opfer“, als „Looser“, als vom wirtschaftlichen Erfolg „Ausgegrenzte“ der letzten 15-20 Jahre fühlen und erleben (dies ist tiefenpsychologisch relevant…). Die führenden Köpfe der Anti-Demokraten sind die langersehnten Vorbilder jener 50%, die unter echten demokratischen Verhältnissen nicht auferstehen konnten und es auch nicht gewagt haben, sich öffentlich „zu Wort“ zu melden. Sie, die Diktatoren der kommenden Zeit, verkörpern die geheimen Sehnsüchte der Vielen, der Allzu-Vielen…— Sie bieten sich jenen als Projektions-Flächen für ihre seelischen Kränkungen und Verletzungen an, und münzen deren Befindlichkeiten in politische Erfolge und persönlichen Machtzuwachs um. So machen es Trump, Erdoğan, Orbán und Kaczyńsky (die ja unterschiedliche Positionen und staatliche Ämter begleiten…). So machen es aber auch Bachmann, Höcke, Le Pen, etc.pp. .

Diesen 50% stehen nun ihrerseits „überzeugte Demokraten“ oder aber „überzeugte Autonome“ gegenüber. Erstere versuchen demokratische Werte gegen das erstarkende, meist national-rechtsradikale Wutbürgertum zu verteidigen, während die „Autonomen“ sowohl gegen den bestehenden Rechtsstaat eintreten als auch gegen rechte Vereine und Vereinigungen „Front machen“. Unversönlich und unüberbrückbar stehen sich verschiedene Überzeugungen und Werte-Systeme feindselig gegenüber. Gespräche, Austausch, Perspektiven- oder gar Standort-Wechsel: „negativ“. In dieser Grundhaltung erodiert der „soziale Kitt“, der die verschiedenen Gesellschaften und politischen Systeme („Demokratie“) weltweit zusammenhält, ins Marginale. Was einstmals „Eintracht“ war, verändert sich zu „Zwietracht“, die die Bezüge wie auch Beziehungen zueinander zerfrisst, zerstört. Was über 70 Jahre ein gewisses Maß an „Gemeinschaft“ (z.B. „Bürgerschaft“) und „Wir“-Gefühl erlebte, das wird nun ins Beziehungslose, ins Konfettihafte zersplittert und zersprengt…

 

Das Zusammenspiel aus abwegigen und abgründigen Emotionen und politischer Machtzunahme, dieses „Muster“, funktioniert quer durch alle Bevölkerungs-Schichten, quer durch alle Kulturen, quer durch alle Religionen. Wo einstmals Solidarität und Gemeinschafts-Sinn wuchsen, dort gestaltet nun Zwietracht die politisch-gesellschaftliche Realität. Und dieser emotional-politische „Riss“, diese „Kluft“, dieser unüberbrückbare menschliche Abgrund geht „vertikal“ nicht nur durch die jeweiligen Gesellschaften — in Deutschland, Frankreich, oder Europa — sondern auch „horizontal“ rund um die Welt (Nord- / Süd-Amerika, Naher-Osten, Ferner-Osten, z.B. Myanmar). Denn es macht strukturell keinen Unterschied in der Sache, ob nun in Sachsen jemand rassistische Ressentiment-Werte propagiert und vorlebt (siehe brennende Flüchtlingsheime…), oder aber in Amerika (etwa an der Grenze zu Mexiko…), oder aber ob Buddhisten in Myanmar die ethnische Minderheit der Rohingya vertreiben. Und es geht m.E. zur Zeit auch schon nicht mehr um den heraufbeschworenen „clash of cultures“ — also den „Zusammenprall der Kulturen“ — als vielmehr um „democracy at stake“, also ein „zur Disposition stellen der Demokratie“ als solcher.

Fortsetzung folgt

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