Zerbrochene Fenster, Jesus am Berg und schottischer Death Metal


 

 

Zerbrochene Fenster, Jesus am Berg und schottischer Death Metal

Es gibt ein Gedankenmodell, nach dem ein einziges zerbrochenes Fenster ein ganzes Stadtviertel in den Abgrund ziehen kann. Nach der „Broken-windows-Theorie“ muss ein eingeschlagenes Fenster in einem leerstehenden Haus sofort repariert werden, ansonsten greifen in dem gesamten Stadtviertel innerhalb kürzester Zeit Zerstörung, Kriminalität, Verwahrlosung und am Ende die völlige Anarchie um sich.

Ein scheinbar harmloses Ereignis zieht zwangsläufig und unentrinnbar eine ganze Kette von schrecklichen Entwicklungen nach sich.

Das kommt mir aus meiner Tätigkeit als Reiseleiter bekannt vor. Für mich setzt diese fatale Entwicklung allerdings nicht mit einem eingeschlagenen Fenster ein, sondern damit, dass an einer besonders schönen Stelle, landschaftlich oder in einer Stadt, zum zweiten Mal ein Touristenbus anhält, dem mit Fotoapparat (von mir aus auch nur mit Smartphone) bewaffnete Touristen entsteigen.

Beim ersten Mal – das kann noch Zufall sein, vielleicht hat sich der Busfahrer verfahren oder der Reiseleiter die Karte falsch gelesen. Beim zweiten Bus jedoch muss etwas Besonderes an dieser Stelle vorliegen. Deshalb nenne ich mein Modell auch die „Zweiter-Bus-Theorie“.

Auch hier zieht das zunächst banale Ereignis eine ganze Kette von Folgen nach sich. Als erstes wird schon bald an der Stelle, wo die Touristen dem Bus entstiegen sind, eine Imbissbude stehen. Und wenn der Betreiber sich mit Bustouristen und deren Bedürfnissen auskennt, stellt er auch ein Toilettenhäuschen daneben.

Im zweiten Schritt, etwa zwei bis drei Jahre nach dem Anhalten des zweiten Busses, kostet die Besichtigung Eintritt.

Und weitere zwei Jahre später kommt man nur zurück zum Bus, wenn man vorher durch den Souvenirladen geht.

Wenn in dem zweiten Bus auch noch japanische oder chinesische Touristen saßen, geht alles womöglich noch schneller.

Das klingt vielleicht übertrieben, aber ich habe Beispiele.

Im irischen Nordwesten gibt es die Kylemore-Abbey. Die ist architektonisch nun nicht so umwerfend, aber schön gelegen und von einem sehenswerten Garten umgeben. Oberhalb der Abbey aber steht eine Jesusstatue am Berg. Als ich zum ersten Mal dort war, konnte man einen kleinen Serpentinenweg hinauf laufen, und von dort oben hatte man einen atemberaubend schönen Blick auf die Landschaft von Connemara. Im vergangenen Jahr war ich als Reiseleiter dort und wollte die Sportlichen in meiner Gruppe ermuntern, mit mir dort hinauf zu steigen und die Sicht zu genießen, das Wetter war wie gemalt dafür.

Der Weg war gesperrt. Auf meine Nachfrage wurde mir erklärt, aus Sicherheitsgründen (ja, sicher, warum auch sonst…) dürfe dieser Weg nur mit einem örtlichen Begleiter begangen werden, dieser koste 50 Euro und die Gruppenstärke sei auf 12 Personen begrenzt.

Die südfranzösische Stadt Aigues-Mortes verfügt über eine komplett erhaltene mittelalterliche Stadtmauer. Vor langer, langer Zeit konnte man auf dieser Mauer einmal um das gesamte Stadtzentrum laufen und den Leuten in die Hinterhöfe oder sogar auf den Frühstückstisch schauen.

Im Prinzip kann man das auch heute noch, nur sind bis auf einen alle Zugänge zum Rundweg auf der Mauer verschlossen worden (wahrscheinlich auch aus Sicherheitsgründen). Und der letzte offene Zugang befindet sich hinter der Kasse, an welcher man 7,50 Euro pro Person bezahlen muss.

Das Motto ist in jedem Fall das gleiche: Warum soll man etwas kostenlos anbieten, wofür man auch Geld verlangen kann?

Noch am Anfang der Entwicklung befindet sich der schottische Wasserfall „Falls of Mesach“ im Naturschutzgebiet Corrieshalloch Gorge südöstlich der Stadt Ullapool. Dort ist zumindest schon mal ein Zaun aufgestellt, den man passieren muss, um zum Wasserfall hinunter zu kommen. Ein Imbisswagen mit Toilette steht auch schon auf dem Parkplatz, es dürfte nicht mehr lange dauern, bis am Zugangstor ein Kassenhäuschen steht. Zumal etwas südwestlich davon, im Restaurant des Inverewe Gardens, bereits ein großes Plakat die Schönheit dieses Wasserfalls preist.

Und am Ende steht dann immer der Souvenirladen. Egal, ob es sich um den Papstpalast in Avignon handelt, die Kathedrale von Canterbury in England, die vatikanischen Sammlungen in Rom, die blaue Lagune auf Island, das Vikingermuseum auf den Lofoten, englische Landschaftsgärten oder eine Whiskybrennerei – raus kommt man nur durch den Laden.

Wenn ich dereinst meine Memoiren als Reiseleiter schreibe, stelle ich sie wahrscheinlich unter den Titel: „Exit through the gift shop“.

Wäre vielleicht auch als Lebensmotto passend und sogar irgendwie tröstlich.

Noch eine Kleinigkeit (oder wie es bei Monty Python immer heißt: And now to something totally different): Ich bin vor einiger Zeit von Zigarette auf E-Zigarette umgestiegen. Ist auch nicht wirklich gesund, aber darum soll es hier nicht gehen.

Dieser Verdampfer muss regelmäßig mit Liquid nachgefüllt werden und da probiere ich mitunter auch Sorten, die es vor Ort zu kaufen gibt. Im schottischen Stirling nun habe ich in einem Laden Liquid gefunden, das preislich in Ordnung war, die Verpackung allerdings sehr im Death-Metal-Stil gehalten. Die einzelnen Sorten trugen dann auch Namen wie „Exorcist“, „Lucifer“ oder „R. I. P.“.

Ich habe dennoch probiert und mit dem Schlimmsten gerechnet. Chilli, Knoblauch, Moder, vielleicht noch kombiniert. Aber es kam schlimmer. Denn was waren die Geschmacksrichtungen, die sich hinter diesen finsteren Namen verbargen? Kirsche, Erdbeere und – Quarkkuchen!

Schottische Death-Metal-Fans, ganz harte Kerle, die immer richtig böse gucken und meist großflächig tätowiert sind, lieben also Mamas Quarkkuchen. Das gibt mir zu denken – und auch das ist am Ende tröstlich. Diese Liquids sollten jedenfalls in allen Gift-Shops angeboten werden, die man passieren muss, wenn man Schottland verlassen will.

 

                    

 

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