Zumindest träumen davon kann man ja


            

 

 

17-003

Zumindest träumen davon kann man ja

Vielleicht finde ich auf einer meiner Reisen einen Jungbrunnen. In den springt man hinein und kommt als Zwanzigjähriger wieder heraus. Ich wäre auch zufrieden, wenn es dreißig Jahre wären, Hauptsache, man behält all sein Wissen von vorher.

In diesem Fall hätte ich einen konkreten Plan, was mein zweites Leben angeht.

Zunächst einmal würde ich meine Erlebnisse und Erfahrungen als Reiseleiter zu einem Roman verarbeiten. Das müsste ein Bestseller werden. Die Story, oder besser gesagt: die Geschichte, denn das Buch soll ja für das deutsche Fernsehen verfilmt werden,  kann ich hier kurz andeuten:

Ein junger, sympathischer, leider völlig mittelloser Reiseleiter verliebt sich. In eine bildschöne Deutsche, die irgendwann nach England ausgewandert ist, dort einen reichen Mann geheiratet hat, der sich aber nach der Hochzeit als böser, böser Tyrann erwiesen hat. Der Mann muss natürlich Spross eines alten Adelsgeschlechts gewesen sein, ganz alter englischer Adel. Die Ehe jedenfalls war sehr unglücklich, glücklicherweise hat der reiche böse Ehemann bald das Zeitliche gesegnet.

Aufgrund finsterer Machenschaften kommt die wunderschöne Deutsche nicht an das Familienerbe des Adelsclans heran, obwohl es ihr rechtmäßig zustünde: Ungeachtet der Bosheit des Mannes hat sie ihm doch ein oder zwei, natürlich ebenfalls wunderhübsche, Kinder geschenkt. Um mit den Kindern nicht verhungern zu müssen, verdingt sich die junge Frau nun als lokale Führerin für deutsche Reisegruppen und zeigt ihnen die Schönheiten ihrer neuen Heimat.

Das Ganze müsste, damit es auch ZDF-kompatibel ist, möglichst in Cornwall spielen, Kent und East Sussex wären ebenso eine gute Wahl, das böte die Möglichkeit zu Landschaftsaufnahmen, die ich mir für die Verfilmung sehr schön vorstellen kann.

Eines schönen Tages also bekommt der junge Reiseleiter die junge schöne Frau als lokale Reiseleiterin für einen Tag zur Seite gestellt – und er verliebt sich natürlich sofort in sie. Und auch die Frau ist angetan von dem wohlerzogenen Mann, der so ganz anders ist als ihr Dahingeschiedener.

Ich will nicht ins Detail gehen, aber die beiden müssen furchtbare Schwierigkeiten überwinden. Da ist die bitterböse Familie des Adligen. Da ist das Reisebüro, das den jungen Mann nicht so oft nach Kent oder Cornwall schickt, wie er das möchte. Als Nebenstrang könnte sich ein bösartiger weiblicher Reisegast ebenfalls in den jungen Mann verliebt, die Affäre mit der anderen Frau bemerkt und den Reiseleiter bei der Agentur zuhause verleumdet haben, er habe sich überhaupt nicht um die Gäste gekümmert oder so….

Vielleicht ist dem jungen Mann auch ein Nebenbuhler in dem Busfahrer erwachsen, der ebenfalls ein Auge auf die hübsche Deutsche geworfen hat. Und dann wird auch noch ein Kind der Frau von einer schweren Krankheit befallen…

Drama, heimliche Küsse, parfümierte E-Mails, wunderschöne Landschaftsbilder, Intrigen und am Ende ein Happy End – die junge Frau erhält das ihr zustehende Erbe und der junge Mann erfährt bei einem Besuch in einem der in England sehr beliebten Ahnenforschungsstellen, dass er ebenfalls adliger Abstammung ist. Illegitim zwar, aber sein Vater hat, kurz vor seinem Ableben, doch noch seinen Fehltritt zugegeben und den jungen Mann als seinen Erben anerkannt.

Hochzeit auf einem alten Castle und Abspann.

Man könnte das Ganze auch in Irland spielen lassen, der Ring of Kerry bietet auch Traumlandschaften, dann müsste ich mir statt des Adligen etwas anderes Passendes ausdenken. Und im Hintergrund liefe eine bewegende Filmmusik, die das Lied „Rose of Tralee“ variiert.

Spätestens nach der Ausstrahlung im ZDF dürfte ich dann für einige Zeit keine ernsthaften Geldsorgen haben und könnte das verwirklichen, warum ich den Bestseller überhaupt geschrieben habe: Ich könnte meinen eigenen englischen Garten anlegen.

Man kann den Engländern vieles nachsagen. Einige Dinge können sie wirklich nicht. Mit der englischen Politik ist es seit ein paar Jahren so eine Sache und über die englische Küche (zumindest in großen Teilen) breite ich lieber gnädig den Mantel des Schweigens.

Aber Gärten, das können sie. Und besser als irgendjemand sonst. Gerade Südengland wird dabei auch vom Klima so begünstigt, dass viele Menschen zwar über das feuchte Wetter schimpfen, das aber einige Pflanzen wie beispielsweise Fuchsien oder Hortensien zu einer Größe und Blütenpracht heranwachsen lässt, die man als mitteldeutscher Kleingärtner nur als skandalös empfinden kann.

Ich würde dem Beispiel von Vita Sackville-West folgen, einer englischen Bestsellerautorin aus den 20er Jahren, und mir in Südengland ein altes Herrenhaus kaufen und ein bisschen Land drum herum, für den Anfang würden mir so etwa neun Hektar reichen. Und dann ginge es los.

In die Mitte käme der „Walled garden“, der ummauerte Nutz- und Blumengarten, in dem zumindest noch weitgehend die Regeln von Symmetrie und rechtem Winkel gelten, wie man das aus französischen Gärten kennt. Und um diesen inneren Garten herum erstreckte sich der eigentliche englische Garten.

Ein wirklicher englischer Garten vermittelt zunächst den Eindruck einer gewissen Anarchie – und irgendwann stellt man fest, dass diese Anarchie einem ganz bestimmten Plan folgt. Hat man mehrere solcher Gärten besucht, stellt man fest, dass alles genau durchdacht ist. Ständig ergeben sich plötzliche überraschende Sichtachsen, die Mischung der einzelnen Pflanzen ist genau überlegt, was die Komposition von Farben und Düften betrifft, die Blütezeiten werden aufeinander abgestimmt und dann gibt es immer wieder Hecken. Hecken, aus denen man ganze Labyrinthe erschaffen kann und solche, an denen sich die besten Bildhauer des Landes probieren können.

Es gibt Stellen, an denen man sich zu verlaufen glaubt, nur um hinter der nächsten Ecke wieder einen Blick auf das Herrenhaus zu erhaschen und so die Orientierung zurückzugewinnen.

Das  ist der Grund, warum ich dafür noch einmal zwanzig oder wenigstens dreißig Jahre alt sein möchte – so ein Garten braucht Zeit. Viel, viel Zeit. Man plant und sucht und buddelt und wühlt und pflanzt und jätet (was, zugegeben, ziemlich auf den Rücken geht), und dann heißt es im günstigen Fall ein paar Jahre warten, ehe man Gewissheit hat, dass der Plan, den man hatte, tatsächlich aufgegangen ist, im wörtlichen Sinne Blüten trägt.

Und die Bäume, die man pflanzt, auf denen werden vielleicht die eigenen Enkelkinder herumklettern, erst dann werden sie hoch und stabil genug dafür sein.

Man muss sich so einen englischen Landschaftsgärtner als einen ewig unzufriedenen und sehr glücklichen Menschen vorstellen. Unzufrieden, weil immer noch nicht alles so ist, wie man es in Gedanken vor sich gesehen hat, weil der Moment, in welchem der eigene Traum in Erfüllung geht, noch in sehr weiter Ferne liegt – und glücklich, weil man diesem Traum an manchen Tagen wieder ein kleines Stück näher gekommen ist. Und am Abend führt einen die Nase in den Kräutergarten und man wählt unter den vielen Düften das passende Kraut für die Suppe aus. Man legt der Liebsten eine besonders schöne Blüte auf den Tisch. Danach liest man am Kaminfeuer ein Buch, am besten „Das Jahr des Gärtners“ von Karel Čapek und fühlt sich verstanden.

Ich könnte weiterhin als Reiseleiter arbeiten und vor allem Reisen annehmen, von denen ich exotische Pflanzen für meinen Garten mitbringen könnte – ich habe den Verdacht, mit Ausnahme von Wüstengewächsen gedeiht in dem südenglischen Klima einfach alles.

Das ist doch ein guter Grund, auch einmal einen Rosamunde-Pilcher-Verschnitt zu schreiben, oder?

Nun muss ich nur noch diesen vermaledeiten Jungbrunnen finden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.