Von der „normativen Macht des Faktischen“


Von der „normativen Macht des Faktischen“

08.08.2018

 

Das Verheerende an der rechtspopulistischen Politik von Trump und Konsorten ist doch nicht, dass sie irgendwelche Tweets „raushauen“, sondern, dass diese alte-neue politische Klasse die sog. „normative Kraft des Faktischen“ (vgl. Terminus von Georg Jellinek, 1851-1911) dafür benutzt, um bislang staatlich geltendes, positives oder „gesatztes Recht“ schrittweise durch gefühltes, rein privates „Gewohnheitsrecht“ zu ersetzen. Die weltweite politische Bewegung des Rechtspopulismus ist doch nichts anderes, als die Ausweitung der „Autonomie“ (gr. autós u. nómos = ich selbstu. Gesetz😉 aus dem rein privaten Bereich in immer weitere Teile des Öffentlichen Lebens (res publica). Das jedoch bedeutet wiederum, dass heutzutage „50% plus eine Stimme“ der wählenden BürgerInnen von verfallenden Demokratien weitaus lieber rechtspopulistische Staats-Systeme mit „Lug & Trug“, mit Bedrohung unschuldig Anderer, mit Abschottung gegen dasFremde sowie dieFremden, mit Entrechtung der Schwächeren und Schwachen sowie das bereits überwunden geglaubte Faust-Recht bis hin zur Lynch-Justiz („Rache“ anstatt „Ausgleich“; siehe Chemnitz-Mob vom 26.08.2018 und die Meinungen der AfD-Abgeordneten hierzu…) als neues, gültig-geltendes „Strebewerk“ (vgl. Architektur, „Gotik“) ihrerkünftigen Staatsreform installiert haben wollen, anstatt sich mit der „Realität des Faktischen“ auseinander-zu-setzen. Ihnen, dem zahlenmäßig kleinerenTeil der Bevölkerung (!) gilt weltweit — gleichviel, ob nun in den Gesellschaften der USA, in Lateinamerika, in Russland, Polen, Ungarn, Skandinavien oder aber in Pakistan und der Türkei, worin sich dieser politische Umbruch als Phänomen derzeit vollzieht — dass sie viel lieber die private wie auch politische Lüge als „Wahrheit“ glauben, die brutale Gewalt des vermeintlich Stärkeren gutheißen sowie erneut faktisches Unrecht als neue Rechtsform akzeptieren und für die Mehrheit der Bevölkerung als „allgemein gültig und verbindlich“ durchsetzen wollen. Die Bewegung der Rechtspopulisten möchte, genau genommen, Rousseaus „Gesellschafts-Vertrag“ (1762), der implizit bereits die politischen Tugenden von „Freiheit“, „Gleichheit“, „Brüderlichkeit“ forderte und dessen Ausformung erst moderne Demokratien als Staats-Formen möglich machte, umschreibenin Un-Werte von Rassisten und Rechtsradikalen-Diktaturen. „Positive“, „gesetzte Werte“, die über 70 Jahre der nördlichen Hemisphäre demokratische Stabilität garantierten, Europa und den USA keinen Krieg im eigenen Land, sollen nun, nach ihrem Willen, erneut durch „Unwerte der Diktatur“ oder durch Propaganda-Lügen eines „Präsidialsystems“, allgemeiner Werte- und gesellschaftlicher Bezugs-Rahmen, sollen „allgemeiner Konsens“ werden. Rechtspopulisten glauben unbefragt jedepolitische Lüge als „Argument“, sofern deren Inhalt nur harmonisch zum je eigenen, persönlichen Wohl-Fühlen, zum eigenen „Bauchgefühl“ aus Wut und Hass, zum eigenen Gefühls- und „Denke“-Horizont sowie den eigenen,negativenNeigungen, einem maßgeschneiderten Passepartout gleich, passt. Etwa Björn „Bernd“ Höckes (Fraktionsvorsitzender AfD Thüringen) Polit-Lüge, dass in deutschen Innenstädten „unsere Mädchen und Frauen von Asylanten vergewaltigt“werden würden (vgl. hierzu passend den Passepartout-Bubble Filter, der den Chemnitz-Pöbel in Windeseile zu organisieren vermochte…).

Trumps Tweets und Erdoğans Propaganda sind die„Blaupausen“, worin sich die emotionalen Abgründe ihrer Wählerschaft bzw. Anhängerschaft wider-spiegeln. Und da diese neuen Staats-Ordnungen, die zur Zeit überall einem demokratischen Krebsgeschwür gleich entstehen, in Unrecht gründen, sind sie es auch. Rechtspopulistische Staaten sind Unrechtsstaaten — unrelevant ist ihre geographische Lage auf der Weltkarte. Unrelevant ist es auch, wie sie selbstsich etikettieren oder am liebsten sehen möchten. Sobald die Eckpfeiler jeder echten Demokratie „abgebaut“ und „umgebrochen“ werden (s.o. „Strebewerk“) — d.h. „Verbriefte Freiheiten“ eingeschränkt, „Gewalten-Teilung“ demontiert (z.B. Unabhängigkeit der Gerichte und Richter von Minister-Order oder „politischer Linientreue“), „Gleichheit vor dem Gesetz“ aufgehoben wird — handelt es sich um Formen und Spielarten von „Unrechts-Systemen“ als „Unrechts-Staaten“. Die Sprache, in der dies alles geschieht, in der faktisches Unrecht zu „Recht“ umgeschrieben und „zurecht gemacht“ wird, macht hierbei keinen Unterschied. Rechtspopulistisches Unrecht bleibt Un-Recht, gleichviel, ob es sich nun der amerikanischen, der russischen, polnischen, ungarischen oder aber türkischen Sprache bedient…— Und weiter: die Macher dieses neuen „Rechts“ leben gleichsam in ihrer eigenen „Echokammer“, d.h. Trumps Invektiven, Putins und Erdoğans Propaganda werfen einen sich selbst bestätigenden und sich selbst verstärkenden Wider-Hall in ihre „Denke“ und Weltanschauungen, sodass sie stets in der Gefahr stehen, ihre eigenen Lügen als „wahr“ und ihre eigene „Blackbox“ als „Realität“ zu erachten. Wer in „Echokammern“ lebt, lebt einen Balance-Akt auf hauchdünnem Grat zwischen erfundenen Lügen und realen Fakten sowie zwischen persönlicher Projektion und unpersönlicher Faktizität als Realität. Gefährlich daran ist, dass Trump, Putin, Erdoğan & Co. faktischrealen Staaten vorstehen — ein „Monopoly“ aus Lug & Trug. Mit unabsehbaren Folgen für die Zukunft der Demokratie als gültiger Staatsform wie auch den Fortbestand der Welt. Denn es sind nicht die „Supermächte“, die mit ihren Atombombenarsenalen den GAU auslösen könnten, sondern die unentwirrbaren Stellvertreter-Kriege von Regional- und Kleinst-Staaten, die letztlich die Katastrophe unabwendbar machen werden…— Wenige Tweets genügen schon…

 

Und was die allseitige Kommentierung der „Verrohung der Sprache“ anbetrifft, deren sich ja nicht nur der heutige Rechtspopulismus bedient, so folgtdie benutzte Sprache doch der zuvor schon geformten „Denke“ einer Welt-Anschauung, diese folgtdoch der gefühlten, inneren „Gewohnheit“, so wie diese den intimsten Neigungen jenes Menschenfolgt, der darin „wohnt“, „zu Hause ist“, sie als seine je eigenen „Werte“ und „Wahrheit“ lebt (s.o. „Autonomie“); und diese „geheimen Neigungen“ wiederum spiegeln als soziale Phänomene die seelischen Abgründe der betreffenden Person(en) wider. Der smarte, eloquente und allseits beliebte Dandy „Dr. Jekyll“ verbirgt in sich doch schon längst den abgründigen, monströsen „Mr. Hyde“. Das „rohe, brutale Wort“ als Sprache wiederholt doch nur, was der Sprechende authentisch und deshalb als „wahr“ bereits fühlt. Verrohte Sprache spiegelt also lediglich wider, was der so Sprechende „im Herzen“ trägt; sie wieder-holt lediglich all jenes Rohe und Brutale, was schon lange in der Psyche der betreffenden Person an-gelegt ist, dort in der Verdrängung abgespeichert und gehortet wurde, arbeitet, gärt, vergiftet und bei passender Gelegenheit als „Phänomen“ (gr. phaino, sich zeigen) in die Öffentlichkeit tritt. Dass Rechtspopulismus und Verrohung wieder allgemein salonfähig, chick und öffentlich geworden sind, dass sie aus verqualmten Hinterzimmern und bierdunstschwangeren Stammtischen wieder als neuerMainstreamin coram publico gezeigt und gelebt werden dürfen, ohne soziale Ausgrenzung, ohne soziale Ächtung, ohne soziale Sanktionen fürchten zu müssen — dasist die eigentliche Gefahr, in der die vergreiste Demokratie heute siecht. Sie vergreiste mit all jenen, die die Diktaturen, die Weltkriege, die Konzentrationslager (den Gulag und Kolyma) des 20. Jahrhunderts noch selbst erlebt und überlebt hatten und deshalb zurecht diese Realität ablehnten, und deren Wiederkehr in der Zukunft fürchteten. Heute, im 21. Jahrhundert, fürchten ihre „Enkel“ den politischen Rückfall in jene „alten Zeiten“ nicht mehr — vielmehr wünschen sie sich ihn als „die gute, alte Zeit“ wieder aktiv herbei. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis…—

 

Trump und Konsorten bedienen als sog. „Meinungs-Führer“ (vgl. Konzepte des „opinion leadership“ in den Kommunikations-Wissenschaften) mit ihren Tweets folglich nur jene inneren Sehnsüchte der „50% plus eine Stimme“-BürgerInnen; sie bedienen mit ihrem Demokratie-feindlichen „Angebot“ eine schier unstillbare „Nachfrage“ und Gier bei ihrer Wähler- bzw. Anhängerschaft und gelten genau deshalb als „mächtig“. Letztlich ist der heutige Rechtspopulismus nichts anderes, als die historischeWieder-Holung jenes „Sklavenaufstandes“ im Denk-Horizont einer „Sklavenmoral“, der sich mittels einer „Umwertung der Werte“ vollzieht, so wie ihn Friedrich Nietzsche in seiner Streitschrift „Zur Genealogie der Moral“ (1887) bereits vorwegnehmend beschrieben hat.