Ein Zauber leiht mir Schwingen


Ein Zauber leiht mir Schwingen

Anmerkungen zu Petrarca, erster Teil

 

I

Was ist die Liebe?, fragte ich Juana. Kriegen wir´s heraus, wenn wir Francesco Petrarcas „Sonette an Madonna Laura“ lesen, jene achtzig Sonette, die von nichts andrem als sei­ner Liebe zu Laura Noves handeln, „Gattin eines Herrn de Sade“, wie meine Reclam-Auswahlausgabe[1]berichtet? Immer wieder hat mich dieses Büchlein angezogen, das ich schon wer weiß wie viele Jahre besitze, irgendein Schatz wird darin zu heben sein, dachte ich, und jetzt suche ich ihn!, sagte ich zu Juana. Das erste Sonett (Voi ch´ascoltate in rime sparse il suono) bildet eine Art Vorwort, das wohl nach Vollendung des Werkes geschrieben wurde – und bringt mich gleich in Verlegenheit, bekannte ich Juana, ich verstehe es wahrscheinlich nur halb, aber ich lasse mich nicht aufhalten, sagte ich zu Juana. Aus zeitlichem und innerem Abstand blickt Petrarca auf die Lieder, / die stürmisch meines Herzens Frühling sang. Mittlerweile hat er diesen Sturm bestanden und als Trugerkannt. Scham und Reue ergreift ihn, dass seiner Jugend blühend Reis ver­kümmerte. Was soll das heißen?, fragte ich Juana.Würde er die Liebe zu Laura gerne ungeschehen machen? Soll ich wirklich davon ausgehen, dass die Wortwahl Scham und Reue und natürlich Trug im Vorwort-Sonett alles Folgende, die ganze Geschichte seiner Liebe zu Laura in Zweifel zieht? Dass die Jugend vergeht, ist ein natürlicher Vorgang, dem keine moralische Bewertung zukommt, aber dass die Jugend, das blühende Reis, unter vergeblicher Liebessehnsucht schwand – ist es das, was Petrarca bereut? Die vor­letzte Verszeile geht in eine andere Richtung: Dass der Mensch Leid und Freud erfährt, aber nicht beherrschen kann (sonst käme das Leiden wahrscheinlich nicht vor, bemerkte ich zu Juana). Was der Mensch nicht beherrschen kann, was ihn aber ergreift, lässt ihn allenfalls >vermindert schuldfähig< erscheinen; da geschieht etwas mit mir, ich habe es mir nicht ausgesucht, aber ich muss darauf reagieren, die Moral spielt hinein, aber nicht als Hauptakteurin, wenigstens nicht als alleinige. Das Andere – was ist das?, fragte ich Juana. Ist es das, wovon das Vergängliche, die uns sichtbare Wirklichkeit, nur ein Traum sei, wie das Sonett schließt? Ein Traum von was?, fragte ich Juana. Soll man vor dieser Frage, welche die Philosophen seit mehr als zweitausend Jahren vor sich her wälzen, kapitulieren? Könnte es nicht sein, dass Petrarcas „Sonette an Madonna Laura“ die Ant­wort enthält? Dann ginge Petrarca >aufs Ganze<, und ich behaupte, dass er genau das mit seinen Sonetten unternimmt: den Weltkreis auszumessen! Sein Inneres findet sich bereit dazu, seit er Laura kennt. (Endlich bedeutet das Leben die denkbar größte Her­ausforderung!) Meine Beweiskette beginne ich mit dem zweiten Sonett Quel, ch´infinita provvidenza, ed arte, sagte ich zu Juana: Hier berichtet Petrarca von der Geburt Lauras. Die meisten Liebenden werden sich nur mäßig für die ersten Lebensphasen ihrer Ge­liebten interessieren, sagte ich zu Juana. Die Liebe braucht für gewöhnlich die Gegen­wart des anderen Menschen im passenden Alter und gibt sich damit zufrieden (die Lust lebt nur im Augenblick) – bei Petrarca ist manches anders! Er denkt über die Geburt sei­ner Geliebten (oder Angebeteten, denn ob sie seine Geliebte war, ist zumindest zweifel­haft) ebenso nach wie er ihr noch nach ihrem Tod seine Gedanken weiht, mit ihr >im Bund ist< auf eine Art, die keine lebende Frau ersetzen konnte. Mächtig holt er aus, um die Feier von Lauras Geburt einzuweihen, nämlich mit nichts Geringerem als der Er­schaffung der Welt! (Der Anfang der Welt unter der Perspektive der Liebe, sagte ich zu Juana – eine andere als die uns gewohnte naturwissenschaftliche Betrachtung!) Dann lässt er Jesus >auftreten<, […]in Bethlehem Den Stall erkor er Seinem Glanz zur Wiege. Und in diese Reihe aus Gottvater und dem Heiland stellt er quasi als Dritte im Bund Laura! Mit der scheinbaren Unbedeutendheit der Geburtsorte Christi und Lauras konstruiert er die Analogie: hier Bethlehem, dort im Tal ein Dörfchen. Dieses Dörfchen hat Gott jetzt ersehn […], dass ihm hell entstiege / Der Sonnen schönste. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass nach Petrarca die Christenheit statt Gottvater, Gottsohn und Heiliger Geistnunmehr sagen sollte: Gottvater, Gottsohn und Laura, stellt die Analo­gie eine unvergleichliche Ehrerbietung dar; viele werden sie als überspannt bezeichnen. In der letzten Verszeile spricht Petrarca Laura an: Dort ließ Er, Laura, dich der Welt er­stehn. Nach der Beschreibung von Welterschaffung und Ankunft Christi die vertrauliche Ansprache der Geliebten, die an die eigene Geburt erinnert wird – als ein im göttlichen Heilsplan vorgesehenes Ereignis! Diese Liebe hebt Laura ab von Zufall und Nichtigkeit, sagte ich zu Juana, und verschafft ihr einen festen und notwendigen Platz in der Welt. Und für Petrarca selbst, den Liebenden, hat die in Raum und Zeit unbegreifliche Welt durch Laura einen Sinn erhalten, oder – wenn das zu ahistorisch gedacht ist – werden die christlichen Modelle der Welterklärung neu belebt und unvergleichlich aufgeladen. Zugegeben: viele große Worte für die einfache Tatsache, dass Laura ihn glücklich macht, sagte ich zu Juana, und zumindest hier, in diesem zweiten Sonett, macht sie ihn einfach nur glücklich!

(wird fortgesetzt)

[1]Francesco Petrarca: Sonette an Madonna Laura. Italienisch – Deutsch. Nachdichtung von Leo Graf Lanckoronski, Vorwort von Maria Gräfin Lanckoronska. Stuttgart 1956 / 1975, S. 4.