In memoriam


In memoriam

01.12.2019

 

Von Fritz Bauer (1903-1968), dem hessischen Generalstaatsanwalt am Landgericht Frankfurt am Main, auf dessen Initiative u.a. die Ergreifung Adolf Eichmann’s in Argentinien, die Rehabilitierung der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, sowie die Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963-1981) zurückgehen, stammt wohl der Satz: „Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden“. Sein Konterfei ziert die 270er-Briefmarke. Im Nachsatz der Vermerk: „Streiter für die Demokratie“.

 

Wir Heutigen wissen nicht mehr, wann und zu welchem Anlass Fritz Bauer diesen markanten Satz äußerte. Ist er vielleicht als Kommentar auf die juristische Situation der jungen Bundesrepublik zu verstehen, in deren Justiz viele ehemalige Nazi-Juristen — von „kleinen Anwälten“ bis hin zu „hoch dekorierten Richtern“ — unbehelligt „in Amt und Würden“ saßen? Gilt dieser Satz etwa als Warnung gegen das biedermännische, allzu schnelle Vergessen in den Zeiten eines aufblühenden „Wirtschaftswunder-Landes“? Oder wurde er womöglich Juristen wie auch Politikern von Schlage eines Helmut Kohl’s „ins Stammbuch geschrieben“, als wegweisende Mahnung gedacht, dass Demokratie nur unter dem Schutz von Recht und Gesetz und redlicher Politik gedeihen kann? Wir wissen dies nicht mehr.

 

Demokratie lebt nicht vom „ohne mich“ ihrer Bürgerinnen und Bürger. Und auch nicht vom Sich-Wegducken vor rechtspopulistischer Gewalt. Wie sehr „Vergangenheit“ erneut Gegenwart zu werden vermag, zeigte die Neuwahl des Vorstandes der Bundes-AfD dieser Tage in Braunschweig: Björn Höcke, Kopf des völkischen Neonazi-„Flügels“ der AfD, droht ganz unverhohlen den anwesenden Delegierten, die es wagen sollten, seine Bewegung zu diskreditieren, sie als „Politfeinde“ zu brandmarken, und sie zu vernichten. Alexander Gauland, scheidender AfD-Vorstand, schlägt daraufhin Tino Chrupalla, einen Sachsen, als seinen Wunschkandidaten vor, der mit ca. 55% der Stimmen auch als sein Nachfolger gewählt wird. Andreas Kalbitz indes, der Brandenburger AfD-Chef, ebenfalls ein Parvenü aus der Neonazi-Szene, wird, wie der Thüringer Stephan Brandner (geschasster Vorsitzender des Bundestags-Rechtsausschuss, 13.11.2019), auch er ein Freund von Höcke und Kalbitz, als Stellvertreter in den Bundesvorstand der AfD gewählt bzw. dort bestätigt. Jörg Meuthen, Parteichef, der den AfD-„Flügel“ als „bürgerlich“ kennzeichnet, da er lieber als Parteivorsitzender hoffiert denn als Parteifeind eliminiert werden möchte, wurde ebenso in seiner Position bestätigt, wie die derzeitige Co-Fraktionsvorsitzende und nunmehr stellvertretende Parteichefin Alice Weidel. Diese wandelte sich, wenn man so sagen möchte, „vom Saulus zum Paulus“, und unterstützt nun nach Kräften das Triumvirat Höcke-Kalbitz-Brandner, also den neonazistischen „Flügel“ der AfD. Merke: Auch die Biedermänner und Sauberfrauen der AfD leben realpolitisch von der Macht-Prostitution. Aber wen interessiert schon dieses Detail?! Zumal, wenn man und frau gerade dabei ist, die bundesdeutsche Demokratie „abzuwickeln“. Um es ganz klar und deutlich herauszuheben: Der derzeitige AfD-Bundesvorstand ist Vorstand durch Neonazis Gnaden. Das Triumvirat der Neonazis innerhalb der AfD sowie die korrupten, willfährigen Politiker der AfD-Granden arbeiten zur Zeit gemeinsam daran, die bundesdeutsche Demokratie mit demokratischen Mitteln, wie etwa legitime Wahlen, abzuschaffen…— Noch eilen sie gemeinsam von Wahlerfolg zu Wahlerfolg in den sog. „Neuen Bundesländern“; diffundieren dort von den politischen „rechtsaußen Rändern“ immer stärker und schneller „in die Mitte der Gesellschaft“. Sie geben sich „bürgerlich“, „patriotisch“, „demokratisch“ — ein Narr, wer Arges dabei denkt! Noch brauchen Meuthen, Weidel, Storch et al. die Wählerstimmen der Neonazis. Aber wie lange brauchen diese jene noch…? Wann werden Höcke, Kalbitz u.a. ihre Masken fallen lassen und die politische Macht selbstständig ergreifen…—? Denn dem jetzigen „Schulterschluss“ wird demnächst der „Fackelzug“ bei Trommelschlag und „Stechschritt“ folgen. War einstmals der Begriff „Neonazi“ ein gesellschaftliches Stigma, das unabwendbar die soziale Ächtung zur Folge hatte, so wird er heute schon wieder als ein „bürgerlicher Ritterschlag“ gefühlt und von Teilen der Bevölkerung auch als solcher wahrgenommen. In diesen Bevölkerungs-Teilen und -Schichten ist man wieder stolz darauf, „Antidemokrat“, „wahrer Patriot“ und „bekennender Neonazi“ zu sein…— Und ihre Wahl-Erfolge bei den Landtagswahlen geben dem AfD-Triumvirat Recht: Neonazis wittern politische Morgenluft in Deutschland. Deshalb haben Kalbitz, Höcke, et al. die Parole ausgegeben, als nächstes den „Westen“ zu erobern. Wir erinnern uns: Im Bundestag ist die AfD bereits stärkste Oppositionsfraktion geworden. Was aus Sicht der Rechtsextremisten nun zu tun bleibt, ist die flächendeckende Macht-Übernahme. Deshalb lautet die Zieldefinition des AfD-„Flügels“ für die kommenden Monate und Jahre: nicht nur landes- sondern bundesweit die stärkste Partei und ineins damit die politisch alles bestimmende Kraft in Deutschland zu werden. Die „basisdemokratische“, „bürgerliche“ AfD als „Türöffner“ und „Steigbügelhalter“ einer erneuten, „völkischen Kultur“: einer Neonazi-Diktatur…— Eine Kultur und Diktatur, die, wie bereits in den 1930er und 40er Jahren, vor allem auf Vernichtung beruhen wird. Etwa Vernichtung der bisherigen Rede-, Versammlungs- und Meinungs-Freiheit des Einzelnen; oder auf der Vernichtung der Gewaltenteilung innerhalb des Staates mit unabhängigen Gerichten und Richtern (Kennzeichen und Unterschied zwischen einem „Rechtsstaat“ und einem „Unrechtsstaat“); oder der Vernichtung öffentlich-rechtlicher Medien-Formen (wie etwa TV, Printmedien, aber auch Internet); oder…, oder…, oder.

 

In memoriam: „Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“ Fritz Bauer’s Satz schallt noch immer durch die Gänge der bundesdeutschen Justiz wie auch durch die Wandelhallen des „Berliner Reichstages“. Ein fernes, mahnendes, beständig leiser werdendes Echo in unserer Zeit. Deutschland im Herbst 2019 — ein AfD-Märchen…?