Dialogisierte Berichte aus dem Archiv der Gedenkstätte KZ Osthofen, 2
Johann Beckenbach (1897-1992) über seine Erfahrungen in Nazi-Deutschland, Teil 1
Frage: Du wurdest am 4. Oktober 1897 in Framersheim geboren und hast als Mitglied der SPD, ab 1931 der SAPD und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold früh die Gefahren des Nationalsozialismus erkannt. Dein Engagement als Diskussionsredner sowie bei Gegendemonstrationen konnte den Nazis nicht verborgen bleiben.
Beckenbach (nickt): Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg wurde der Willkürherrschaft der NSDAP und der SA Tür und Tor geöffnet. Besonders die SA, der durch Erlass des Reichskanzlers Hitler der Status einer Hilfspolizei gegeben wurde, versuchte mittels Hausdurchsuchungen bei Funktionären der republikanischen Parteien und der Gewerkschaften Material zur Verhaftung ihrer seitherigen Gegner in die Hand zu bekommen. Ich stand aus den von dir genannten Gründen als einer der ersten auf ihrer Liste. Bei der Durchsuchung meines Hauses vom Keller bis unter das Dach im Februar 1933 – an dem Tag, an dem der Reichstag in Berlin in Flammen aufging – wurden nicht nur meine ganze politische Literatur, sondern auch alle meine sportlichen Effekte und Auszeichnungen aus meiner langen sportlichen Tätigkeit mitgenommen. Darüber hinaus wurde ich Tag und Nacht beobachtet und musste mich auf dem Bürgermeisteramt melden.
Frage: Am 8. März erfolgte deine Verhaftung…
Beckenbach: Eine schwerbewaffnete SA-Truppe, die von Oberscharführer Spang angeführt wurde, holte mich aus meiner Werkstatt heraus. So wie ich stand, in Arbeitskleidung, wurde ich abgeführt und in einen eben erst von Schweinen freigemachten, noch nassen Schweinestall des SA-Lokals Ebling „eingewiesen“. Mein Wohnhaus, Scheune, Werkstatt und Garten waren zuvor von bewaffneten SA-Leuten unter Führung von Scharführer Phil. Deforth umstellt worden. Ortsgruppenleiter und Bürgermeister Klenk sowie Ob.-Sturmführer Kratz standen auf der Treppe und begrüßten mich hämisch. Kratz zeigte auf de Schweinestall und rief: „Dort hinein mit dem Lump! Auf ihn!“ Ich drehte mich um, sah den SA-Leuten, von denen schon einige die Gummiknüppel hochgehalten hatten, ins Gesicht, bückte mich und ging durch die niedrige Tür des Schweinestalls, ohne einen Schlag erhalten zu haben.
Frage: Da hast du Glück gehabt!
Beckenbach: Bei dem Führer der Demokraten von Framersheim, Edmund Scheuer, ging es nicht so glatt ab, wie man an den blauen Flecken an Kopf, Händen und Gesicht feststellen konnte. Er verlangte ein Messer von mir, um sich die Pulsadern zu durchschneiden, wovon ich ihn aber abbrachte. „Wenn die uns liquidieren wollen, dann müssen sie es selber tun, wir tun denen den Gefallen nicht!“, sagte ich zu ihm.
Frage: Edmund Scheuer und du waren wahrscheinlich nicht die einzigen Verhafteten…
Beckenbach: Noch über 15 sozialdemokratische Arbeiter und Bürger wurden in den Kuhstall von Ebling eingesperrt. Die Beigeordneten Gg. Deichmann und Konrad Trautwein hatten sie mit Jagdgewehren in der Gemeinde zusammengetrieben wie das Vieh. Auch Rudolf Bernhard von Albig, der oft bei seinen Verwandten Rothman zu Besuch war, wurde von Joh. Armbrüster verhaftet und durchsucht. Am nächsten Morgen wurden wir von Gen.-Oberwachtmeister Krug, Gau-Odernheim, ins Amtsgerichtsgefängnis Alzey überführt. Hier fanden sich im Laufe des Tages, es war der 9. März 1933, noch weitere von der SA verhaftete Bürger aus dem Kreisgebiet ein. Im Ganzen wurden in diesen Tagen 44 Personen von der SA in „Schutzhaft“ genommen. Der Leiter des Amtsgerichts, Amtsgerichtsrat Sausen, kam nachmittags zu uns in den Turm und erklärte, dass er für diese Sache nicht verantwortlich sei, weil rechtlich dazu keine Voraussetzungen bestünden; er würde für die Dauer unseres Aufenthaltes hier die Lage so erträglich wie möglich machen, was dann auch geschah.
Frage: Wurdest du von dort aus nach Osthofen verlegt?
Beckenbach: Ja, schon am nächsten Tag wurden wir – ca. 20 Mann, auch Lang und Köhler von Alzey – in das neu errichtete Lager nach Osthofen transportiert. Von Joh. Armbrüster wurde Phil. Zink, der als Lehrer wegen seiner politischen Betätigung entlassen wurde, in einem beschlagnahmten Wagen ebenfalls nach Osthofen gebracht