Brot, Wein und Tabak


Brot, Wein und Tabak

Notiz zu Heinrich Bölls hundertstem Geburtstag 2017

 

In meiner Jugend in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts besaß Heinrich Böll eine Autorität, die ich getrost als „ungeheuer“ bezeichnen würde. Seine Kurzgeschichten waren obligatorischer Bestandteil des Deutschunterrichts. Seine Romane „Und sagte kein einziges Wort“, „Ansichten eines Clowns“ und „Gruppenbild mit Dame“ las ich „für mich“. Ohne die Texte „ganz“ verstanden zu haben – aber was heißt das schon bei einem literarischen Werk? – war ich davon überzeugt, dass ihr Autor eine künstlerische sowie weltanschaulich-moralische „Instanz“ sei. Kann ich heute noch angeben, warum mir die Bücher gefielen? War es die Kritik an der Welt der Erwachsenen, insbesondere am „kirchenamtlichen“ Katholizismus, der auch Bestandteil meines eigenen Herkommens bildete? Oder war es die Kritik an der Vergötterung des Geldes bei den Erwachsenen, die ich instinktiv als richtig und „überfällig“ erachtete – vorgebracht von einem „anderen“ Erwachsenen mit unbestreitbar-nobelpreisgekröntem und allenthalben fernsehvermitteltem Ansehen? Gewiss spielten diese Aspekte eine entscheidende Rolle; hinzu kam die leicht verständliche Sprache des Erzählers, die meiner jugendlichen Auffassungsgabe wenige Schwierigkeiten bereitete.

Vierzig Jahre später müssen Schülerinnen und Schüler lernen, wer dieser Heinrich Böll gewesen ist und welche Rolle er einst im bundesrepublikanischen Diskurs gespielt hat. Immer noch findet sich die eine oder andere Kurzgeschichte in den Deutschbüchern, auch Auszüge aus der „Verlorenen Ehre der Katharina Blum“, aber den „Ton“ wie ehemals gibt Heinrich Böll nicht mehr an, auch oder erst recht nicht mehr außerhalb der Schule, in der „Gesellschaft“. Nach einer von Marcel Reich-Ranicki veröffentlichten Aufsatzsammlung war Heinrich Böll „Mehr als ein Dichter“ – mit dem Verschwinden seiner Person im Jahr 1985, mit dem Verlöschen seines in mehr als dreißigjähriger bundesrepublikanischer Gegenwart wirkenden Charismas blicken wir Nachgeborenen auf den einstigen Ruhm des Kölner Schriftstellers, den wir selbst noch miterlebt haben und von dem uns die Chroniken schon berichten.

Nach längerer Zeit ziehe ich wieder ein Buch des Autors aus dem Regal, das ich noch nicht gelesen habe: „Haus ohne Hüter“, erschienen 1954. Schon nach wenigen Seiten weiß ich mich in einer anderen, aus der Jugendzeit vertrauten literarischen Welt: Die Erwachsenen, auch Frauen, können von den Zigaretten nicht lassen. Die Glimmstängel werden nach Namen, Geschmack und weiteren Besonderheiten genau beschrieben, als handle es sich um Kultgegenstände. Mit zehn oder zwanzig Stück, welche für die Großmutter aufgetrieben werden können, ist es nicht genug – „fünfzig mußten es sein, knallrote Packungen, auf denen Tomahawk stand, Rein Virginia, sehr lange, ganz schneeweiße, sehr starke Zigaretten.“ Die Zigaretten gehören zu den Böll’schen Figuren, wie sie zu ihrem Autor gehört hatten (der dafür einen gesundheitlichen Preis zu zahlen hatte). Sie tragen oft genug zu den Augenblicken des „Bei-sich-Seins“ bei, gerne auch in Verbindung mit Essen, Kaffee oder Alkohol: „Dann endlich ging sie in ihr Zimmer, aß ihre Brote, dicke mit Butter und Fleisch belegte große Weißbrotschnitten, trank ihren Wein und rauchte.“ (Der heutigen „politischen Korrektheit“ entspricht eine solche Textstelle nicht mehr, weshalb sie den Schulbuch-Zensoren wohl zum Opfer fallen würde.)

An weiteren Eigenheiten ist die „Böll-Welt“ auch schon im frühen Werk „Haus ohne Hüter“ erkennbar: Die Figuren-Namen verraten den Erfindungsgeist ihres Verfassers: Bietenhahn, Borussiak, Grebhake… Natürlich die Religiosität mancher Figuren, etwa Glums, von dem es heißt, er kehrte nach dem abendlichen Waschen „in sein Zimmer zurück, löschte das Licht und kniete im Dunkeln vor seinem Bett nieder, um zu beten.“ Und die Wieder-Emporkömmlinge und Wendehälse nach der – bei Erscheinen des Buches gerade neun Jahre zurückliegenden – Nazi-Zeit „kriegen es ab“. Sie kehren bedenkenlos auf die gesellschaftliche Bühne zurück, nicht selten unter Vermittlung „kirchenamtlicher Autorität“ (Pater Willibrord), und geben etwa als Kultur-Redakteure Lyrik-Anthologien heraus; gerne auch mit Beispielen von Autoren, die ihnen vor wenigen Jahren unter der NS-Herrschaft zum Opfer gefallen sind.

Der Zweite Weltkrieg ist die Radnabe im Werk Heinrich Bölls, vom ersten Roman „Wo warst du, Adam?“ von 1951 bis zum letzten, postum 1985 erschienenen „Dialog- und Monolog-Roman“ „Frauen vor Flußlandschaft“. Die „einfachen Leute“, die ehrlichen und integren (wie Hans Schnier in „Ansichten eines Clowns“ oder die Frauen im letzten Roman), die vom Krieg in Mitleidenschaft gezogen wurden, sich aber nicht verbiegen lassen wollen; selbst noch die „Mitläufer“ des Krieges, zu denen sich der Autor im wörtlichen Sinn als damaliger Soldat selbst zählte, bildeten für die Zeitgenossen ein Identifikationsmuster, was den ehemaligen Erfolg der Bücher miterklären kann. Dieses Identifikations- und Entlastungsmuster ist nach und nach entbehrlich geworden, weil der Krieg schon mehr als 70 Jahre zurückliegt und kaum noch einen unmittelbaren Bezugsrahmen im persönlichen und gesellschaftlichen Leben darstellt. Dagegen fragt es sich, welche „Fernwirkungen“ die NS-Zeit heute noch ausübt, uns betrifft und unsere Denk- und Verhaltensweise (mit)bestimmt, auch ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind.

„Es gab Dinge, die nicht mit dem Geld zusammenhingen“, heißt es in „Haus ohne Hüter“. Der „fromme Anarchist“ Heinrich Böll hat fortwährend von diesen „Dingen“ erzählt. Er hat gegen eine Gesellschaft angeschrieben, die davon ausging, dass alles vom Geld abhängt, zuletzt auch noch die Bonner Politik wie in „Frauen vor Flußlandschaft“. Wer wollte sagen, dass ein solcher Autor nicht mehr „aktuell“ sei?

 

 

 

 

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