Clash of cultures — reloaded


Clash of cultures — reloaded

06.04.2019

 

Als der amerikansiche Politologe Samuel P. Huntington seinen Begriff des „clash of civilizations“, den er zunächst in einem Aufsatz der Zeitschrift „Foreign Affairs“ verwendete (1993), zu einem eigenständigen Werk mit gleichnamigem Titel ausarbeitete (1996), vertrat er die These, dass einerseits die westliche Kultur an Macht und weltweiter Einflussnahme verlieren werde und dass andererseits die chinesische bzw. islamische Kultur diesen Macht-Verlust zum eigenen weltweiten Geltungs-Anspruch nutzen werde. Westliche und nichtwestliche Kulturen prallen in einer globalisierten Welt unmittelbar aufeinander und erstreben — jeweils gegen die anderen Kulturen — eine hegemoniale Position. Der Westen solle daher u.a. Amerikas (Außen-)Politik aktiv unterstützen, um die Emanzipation Chinas und der islamischen Welt hinsichtlich von Macht-Ressourcen zu verhindern. In engen Grenzen hielt Huntington seinerzeit sogar einen „gerechten Krieg“ zur Erreichung dieses Zieles für denkbar.

 

Dass die westliche Kultur nicht ewig die weltweite „Leitkultur“ für alle Staaten und Nationen dieser Welt sein könne, hatten früher schon Oswald Spengler („Der Untergang des Abendlandes“, 1918), Arnold J. Toynbee („A Study of History“, 12 Bde., 1934-1961), et al. betont. Während Spengler in seinem Werk eher eine deterministische Position von Aufstieg, Blütezeit, Niedergang / Verfall und Untergang der Hochkulturen vertrat, argumentierte Toynbee eher evolutionär und ergebnisoffen. Huntington’s Thesen von 1996 — er war u.a. auch als Berater des US State Departments während der Clinton-Regierung (1993-2001) tätig — wurden nicht nur unter Politikwissenschaftlern und Historikern äußerst kontrovers diskutiert und brachten ihm den Vorwurf ein, dass er ein „in seiner Simplizität und Tendenz gefährliches außen- und sicherheitspolitisches Handbuch für amerikanische Präsidenten“ verfasst habe (vgl. Martin Riesebrodt, Die Rückkehr der Religionen…, Beck, 2001, S. 26).

Wir wissen nicht, ob weiße, amerikanische Rassisten wie etwa Steve Bannon oder Donald J. Trump dieses Werk gelesen haben. Verblüffend ist jedoch z.B. deren „Argumentation“, genauer gesagt: deren Agitation, wenn es um die Überfremdung Amerikas durch „Latinos“, Mexikaner und Immigranten ganz allgemein geht sowie Trumps uneinschränkbarer Einsatz für eine „Mauer gegen lateinamerikanische Einwanderer“, die er öffentlich uni sono als Gewaltverbrecher, Drogendealer und andere Schwerstverbrecher diskriminiert und diffamiert. Die heutige, rassistische Agitations-Propaganda eines Donald J. Trump, et al. ist die konkrete politische Umsetzung von Huntington’s „Latino-These“, die seit 1996 als These die Ängste gewisser amerikanischer BürgerInnen vor „Überfremdung“ nährte. Was seinerzeit als „äußerst kühne Behauptung“ von Intellektuellen kritisiert und von weiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung noch vehement abgelehnt wurde, ist heute, nur wenige Jahre nach diesem Diskurs, zur allgemein akzeptierten „Blaupause“ der rechtspopulistischen wie auch radikal rechtsnationalen Strömungen in Politik (vgl. Ungarns Victor Orbán, Italiens Matteo Salvini, Polens Jaroslaw Kaczyński, et al.) und Gesellschaft geworden (vgl. u.a. „Junge Alternative“ u. „Flügel“ der AfD; europa- und weltweit organisierte Suborganisationen wie etwa „Die Indentitäre“; die sog. „Reichsbürger“; aber auch bei Einzeltätern wie etwa Anders Behring Breivik [22.06.2011], oder dem Attentäter von Christchurch, New Zealand [15.03.2019]; u.v.a.m.). Was Huntington seinerzeit als „clash of culture“ bzw. als „clash of civilizations“ propagierte, ist heute zusammen mit kruden Verschwörungs-Theorien zum weltweiten Konglomerat rechtspopulistischen bzw. rechtsradikalem Gedankenguts aller Couleur geworden. Huntington’s Thesen der „Bruchlinienkonflikte“, die sich auf Konflikte unterschiedlicher Kulturen bzw. unterschiedlicher Zivilgesellschaften bezogen — daher: clash of cultures—, vertiefen sich heute zu „Bruchlinienkriege“ innerhalb einer Nation, innerhalb eines Staates, innerhalb einer Gesellschaft: es ist der öffentlich zur Schau gestellte Bruch mit jeglichen demokratischen Werten und Vorstellungen sowie die offen-öffentliche Bewegung hin zu rassistischen, nationalistischen, letztlich völkischen Ideologien (offen, im Sinne von unverhohlen; öffentlich, im Sinne von Politiker-„Argumenten“, „öffentlichen Reden“, Tweets, etc.pp.). Mit Trump, Bolsonaro, Orbán, Kaczyński, Salvini, Le Pen et al. als die neue, zukünftige, politisch maßgebende Elite und mit Björn Höcke, André Poggenburg, Andreas Kalbitz, Götz Kubitschek, u.a. als moderne, zeitgenössische Volkstribunen des (deutschen) rechten Spektrums. Huntington’s „Bruchlinien“-Thesen haben faktisch einen politischen Paradigmen-Wechsel vollzogen: weg von den verschiedenen Kulturen und Zivilgesellschaften, hin zu den Formen und den Grundpfeilern jeglicher Demokratie sowie des je eigenen Rechtsstaates. Und das Bitterste daran ist, dass demokratisch gewählte Politiker wie Trump sowohl die „Formen der Demokratie“ selbst zerstören, als auch jegliche Gewaltenteilung eines Rechtsstaates beseitigen werden (siehe Kaczyński, siehe Orbán, nach seiner jüngsten Wahlschlappe erneuter Übergriff durch Erdoğan…). Was wir von deren geistig-politischen „Kindern“ und „Enkeln“ als Zukunft erwarten dürfen, zeigte sich gerade dieser Tage wieder in Christchurch, New Zealand. Es sind diese geistig-politischen Ziehväter und Ziehmütter (Le Pen), diese „Biedermänner“ mit ihren „schmutzigen Händen und weißen Westen“, die als „Brandstifter“ um eines schalen persönlichen Macht-Anteils willen, die Totengräber der Demokratien weltweit geben.

Denn der bis ins pathologische gesteigerte (Fremden-)Hass in den Köpfen mancher 17-30-Jährigen beginnt ja nicht mit der Tat, etwa dem Amoklauf von Christchurch, sondern nimmt über viele Jahre seinen Anfang in einer zunächst völlig diffusen Angst Unsicherheit und/oder Beschämung während der Kindheit, bauscht sich im Laufe der Zeit während der Pubertät und Jugend stets weiter auf durch Parolen und den Zuspruch öffentlicher Agitatoren — mögen sie nun Pierre Vogel, André Poggenburg, et al. heißen —, fühlt sich öffentlich bestätigt und ermuntert durch Tweeds von Politikern wie Trump und Reden wie sie von Kaczyński, Orbán, Salvini und Le Pen geführt werden, konkretisiert, schärft und fanatisiert sich hierdurch, wähnt sich schließlich im Recht durch reihum sich bestätigende Pamphlete, Hetzschriften und Hassparolen im Internet bzw. Darknet mit ihren subalternen „Newsgroups“, „Foren“, „Polit-Netzwerken“, und „Social Media Filter Bubbles“ / „Echo Chambers“, organisiert sich zuletzt, und plant erst dann seine Tat akribisch, minutiös, inklusive Helmkamera: und schlägt sodann gezielt los. Der Plan als Organisation ist der Endpunkt einer jahrelangen Vorgeschichte und gleichzeitig Anfangspunkt zur Tat. Jeglicher Fanatismus — sei er nun religiös oder aber ideologisch begründet, sei er nun Gruppen- oder Einzeltäter-Struktur — trägt einen solchen oder ähnlichen „Bauplan der Fanatisierung“ als Handlungs-Muster in sich. Die rasante Radikalisierung ist ja nur der finale Endpunkt einer langen, emotionalen Vorgeschichte. Kein Jugendlicher — sei er nun Amokläufer an einer Schule oder aber Dschihadist — radikalisiert sich „über Nacht“. Das lang gehegte Ressentiment, dieser tiefgreifende Hass, schwelen über viele Jahre, jedoch ohne ein konkretes Ziel oder Opfer zu haben. Sie bleiben gleichsam dumpf, dunkel, diffus, ohnmächtig, solange, bis eine Struktur „von außen“ (etwa ein Hass-Prediger, ein völkischer Ideologe) sie auszurichten, zu fokuisieren, auf ein Ziel  aus- und einzurichten vermag. Dann jedoch geht der Aufbau eines „Fadenkreuzes“ rasant von statten. Denn dann — und erst dann — schlägt die jahrelang gefühlte, schmerzliche Ohnmacht in ein Gefühl von Allmacht um. Und das einstmalige Opfer fühlt sich fortan in seiner wahnsinnigen Rache (an völlig Unschuldigen…) als „Herrscher über Leben und Tod“. Eine Rache, die der Attentäter „kalt“, beinahe emotionslos, genießt…—

Was es den Sicherheitsbehörden schier unmöglich macht, einen solchen Terror-Anschlag zu vereiteln, ist die Tatsache, dass sowohl Terror-Zellen wie in New York (9/11) oder aber Einzeltäter wie in Christchurch immer wieder als „Touristen“ in das betreffende Land einreisen werden; völlig unverdächtige Personen — und dennoch Geschäftsreisende in Sachen Terror-Mord. Terror kann heutzutage in einer hypermobilen Gesellschaft in wenigen Stunden an jeden beliebigen Punkt unserer Welt „exportiert“ werden. Terror-„Tourismus“.

Fortsetzung folgt