Dialogisierte Berichte aus dem Archiv der Gedenkstätte KZ Osthofen, 1


Dialogisierte Berichte aus dem Archiv der Gedenkstätte KZ Osthofen, 1

 

Ehepaar Schlösser über die Errichtung des Konzentrationslagers Osthofen bei Worms

 

Frage: Die mit der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ angekündigte „nationale Erneuerung“ brachte schon nach wenigen Wochen eine Einrichtung, die es bisher in Deutschland noch nicht gegeben hatte: Konzentrationslager.

Frau Schlösser (nickt): Eines der ersten entstand in Osthofen auf Anordnung der hessischen Landesregierung in Darmstadt, die inzwischen natürlich aus Männern der „nationalen Erhebung“ bestand. Zu ihnen gehörte Dr. Werner Best, der Sonderkommissar für das Polizeiwesen in Hessen geworden war.

Herr Schlösser: Dr. Best war kein Unbekannter, Ende 1931 hatte er als Verfasser der sogenannten „Boxheimer Dokumente“ in Deutschland beträchtliches Aufsehen erregt.

Frage: Worum handelte es sich dabei und woher stammt der Titel?

Herr Schlösser: Bei diesen Dokumenten handelte es sich um Entwürfe von Maßnahmen, die im September 1931 auf dem Boxheimer Hof bei Bürstadt von nationalsozialistischen Führern für den Fall ihrer Machtergreifung erörtert worden waren. Das Bekanntwerden dieser Vorhaben, bei denen viel von Todesstrafe und Erschießung die Rede war, löste damals in Deutschland Schrecken und Empörung aus, blieb aber für Dr. Best ohne ernsthafte Folgen. Die nationalsozialistischen Führer in Hessen hatten mit ihm offenbar den richtigen Mann für die Aufgaben, die er nun übernahm.

Frage: Ein Konzentrationslager in Osthofen zu errichten…

Herr Schlösser (nickt): Die Anordnung dazu datiert vom ersten Mai 1933 und trägt Bests Unterschrift. Aber schon Mitte März waren Häftlinge nach Osthofen gebracht worden.

Frage: Wer war für die Verwaltung des Lagers zuständig?

Herr Schlösser: Das Polizeiamt Worms.

Frage: Wie hieß der Lagerleiter?

Herr Schlösser: SS-Sturmbannführer Karl d’Angelo, ein Osthofener Druckereibesitzer. Das Lager befand sich in der ehemaligen „Papierfabrik Osthofen“, Ziegelhüttenweg 50, die einige Jahre zuvor eingegangen war.

Frage: Ein Konzentrationslager in bewohntem Gebiet – geheim halten ließ sich das nicht.

Herr Schlösser: Die Errichtung des Osthofener Lagers wurde keineswegs geheim gehalten. Best selbst teilte sie mit und begründete Anfang Mai 1933 bei einer Pressekonferenz in Worms…

Frau Schlösser: Im Anschluss an die Pressekonferenz konnten die Journalisten das Lager besichtigen. Die lokalen und regionalen Zeitungen berichteten auch darüber.

Frage: Wie? Was haben die geschrieben?

Rau Schlösser: Zum Beispiel dass man gerade in der Nähe von Worms dieses Lager gebraucht habe, denn (zitiert aus ihren Unterlagen) „Worms ist als politisch heißes Pflaster bekannt […] so kam es hier zu mehr Verhaftungen, als die Stadt selbst Hafträumlichkeiten hatte.“

Frage: Die Presse hat sich instrumentalisieren lassen bei der Errichtung des Lagers oder besser gesagt: musste sich als Propaganda-Organ missbrauchen lassen.

Frau Schlösser: Auch mit Hilfe der Presse warben die Nazis um Verständnis für die Verhaftungen und erklärten sie für unerlässlich, um (zitiert) „Ruhe und Ordnung wiederherzustellen“.

Herr Schlösser: Dabei betonten sie, die Häftlinge sollten nicht nur bestraft, sondern von künftigen Gewalttaten abgehalten und als „politisch Irregeleitete“ wieder auf den rechten Weg gebracht werden.

Frage: Wurden solche Verlautbarungen geglaubt?

Herr Schlösser: Nach den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Endphase der Weimarer Republik fanden solche Ankündigungen durchaus Zustimmung bei der Bevölkerung.

Frau Schlösser: Behauptungen wie im Falle Resch, selbst Häftlinge hätten schließlich die heilsame Notwendigkeit der Lagerhaft eingesehen, die auch öffentlich verbreitet wurden, waren jedoch bewusst irreführende Nazi-Propaganda.

Frage: Wer waren die Häftlinge?

Herr Schlösser: Hauptsächlich politische Gegner der Nationalsozialisten, darunter eine nicht bekannte Zahl von Wormsern, aber auch Juden, die ohne erkennbare politische Betätigung eingesperrt wurden, letztlich, weil sie Juden waren.

Frage: Und die Haftbedingungen?

Frau Schlösser: …waren miserabel: unzureichende, schlechte Verpflegung bei harter Arbeit, Schikanen und Misshandlungen. Zu Todesfällen kam es im Osthofener Lager jedoch nicht.

Frage: Wie lange wurden die Häftlinge festgehalten?

Herr Schlösser: In der Regel vier bis sechs Wochen, einige Häftlinge allerdings mehrmals hintereinander.

Frage:  Also dieses KZ in Osthofen war – unbenommen der miserablen und auch schrecklichen Bedingungen – noch nicht das, was man heute mit dem Wort Konzentrationslager verbindet?

Herr Schlösser: Nein, das war es noch nicht. Ende 1934 oder Anfang 1935 wurde es wieder aufgelöst. [Die Schließung des KZ Osthofen erfolgte im Juli 1934. J.Ch.] Damit schien sich zu bestätigen, was als Beschwichtigung umging und gern geglaubt wurde, nämlich dass das KZ überhaupt nur eine befristete Einrichtung sei, die irgendwann auch wieder verschwinden würde.

Frau Schlösser: Damals konnten oder wollten viele nicht glauben, dass skrupelloser Machtmissbrauch keine vorübergehende Erscheinung war, sondern ein Wesensmerkmal des nationalsozialistischen Regimes.

 

 

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