Dialogisierte Berichte aus dem Archiv der Gedenkstätte KZ Osthofen, 6


Dialogisierte Berichte aus dem Archiv der Gedenkstätte KZ Osthofen, 6

 

Frolinde Balser: Studienrat Karl Balser – Lehrer an der „Höheren Bürgerschule“ zu Ober-Ingelheim vom 1. Mai 1923 bis 11. März 1933, Teil 2

 

Frage: Den Übergriffen, wie du sie am Beispiel deines Vaters geschildert hast, folgte bald die „gesetzliche Grundlage“ mit dem sogenannten Reichsgesetz „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933.

Dr. Balser: Ja, und obgleich mein Vater als Kriegsfreiwilliger vom August 1914, langjähriger Frontsoldat mit vielen Verwundungen nach einer Bestimmung dieses Gesetzes an sich nicht hätte entlassen werden können, erfolgte mit Datum 26. Juni 1933 die Entlassung aus dem Hessischen Staatsdienst zum 1. Juli 1933, „im Namen des Reiches“ unterschrieben vom Reichsstatthalter Hessen, Sprenger.

Frage: Habt ihr von der Pension eures Vaters noch leben können?

Dr. Balser: Die Pension war meines Wissens auf 200,- Reichsmark festgesetzt, davon konnte man natürlich nicht leben. Deshalb wurden mit Hilfe von Freunden ein und später mehrere Pensionäre aufgenommen und – nach NS-Gesichtspunkten – „unbeschulbare“ Kinder von meinem Vater unterrichtet, denen durchaus Wissen und Lebensfreude zu vermitteln war.

Frage: Habt ihr Ausgrenzungen erlebt wegen des besonderen Status’ deines Vaters?

Dr. Balser: An Diskriminierungen wegen des so früh im Ruhestand befindlichen Vaters – also eines ausgewiesenen Nicht-Nationalsozialisten – kann ich mich sehr wohl erinnern.

Frage: Weißt du, ob dein Vater jemals mit dem Gedanken gespielt hat, die Nazis zu bekämpfen?

Dr. Balser: Das habe ich mich später oft gefragt. Bei seiner strikten und niemals geänderten Einstellung gegen den Nationalsozialismus mit seinem Rassenwahn, gegen Krieg und für Menschenrechte und internationale Verständigung und Freundschaft – warum war er nicht in Widerstandshandlungen verstrickt? Immerhin gab es Treffen und viele Gespräche mit gleichgesinnten Freunden und auch Hilfen für bedrohte jüdische Familien. Es mag sein, dass sich einfach keine Gelegenheit geboten hat, und ein einzelner kann in einem diktatorischen Regime wenig tun. Ich glaube aber auch, dass die fürchterlichen Erlebnisse aus der Anfangszeit des nationalsozialistischen Staates, das ganz persönliche Erleben von Erniedrigung und Brutalität, von Herausgerissensein aus Ansehen und gutbürgerlichem Beruf und Hineingeworfen in Misshandlung und Missachtung zu Vorsicht geführt haben. Genau dies hatten allerdings die Nationalsozialisten mit dem brutalen Vorgehen gleich nach der Machtübernahme, die ja nicht umsonst so genannt worden ist, auch bezweckt.

Frage: Vor 1933 hatte es an überzeugten Demokraten gefehlt, um die Republik rechtzeitig zu verteidigen…

Dr. Balser: Mein Vater jedenfalls hatte zu diesen wenigen gehört. Studienrat Balser hat in Ingelheim durch Wort und Taten (Reichbanner), durch sein Bemühen im Unterricht den Schülern Wertvorstellungen beizubringen, die international gültig sind, dazu beigetragen.

Frage: Haben ihm die Schüler das gedankt?

Dr. Balser: Ja, nicht zuletzt emigrierte Schüler und Freunde durch Care-Pakete nach 1945. Im April 1945, bald nach der Besetzung Heidelbergs durch amerikanische Truppen, kam eines Tages ein amerikanischer Soldat trotz aller Nonfraternization in voller Uniform ins Haus und hinterließ höchst willkommene Lebensmittelgeschenke; dies war Joseph Löwenberg aus Ingelheim, dann Kaufmann in New York, der sich noch sehr wohl daran erinnerte, wie Studienrat Balser vor falschen Verherrlichungen, etwa des Vereins für Deutschtum im Ausland (VDA), dem Löwenberg selbst beigetreten war, gewarnt hatte.

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