Ich schenke meiner Oma eine Geschichte
Eng, eng ist’s hier. Und heiß. Bin zu groß. Halte es hier nicht mehr aus. Muss mich strecken, die Beinchen in alle Richtungen schieben. Geht nicht. Ich drehe mich und haue gegen die Wand. „Autsch“ schreit sie und boxt zurück. Ich habe Angst. Dunkel wird es um mich herum. Habe Angst. Bin doch so nah am Herzen und doch so fern und einsam. Habe Angst mich zu bewegen, fürchte, sie wird wieder boxen.
Wir schlafen. Seite an Seite. Als ob wir uns innig liebten. Ich schon. Ich liebe, wie nur ein so kleines und zerbrechliches Herzchen lieben kann. Wir schlafen. Die Nacht ist lang. Sie krächzt und wendet sich. Mal auf die Seite, mal auf die andere. Bin müde, kann nicht schlafen. Will schlafen. Weine. Will ruhen. Will schlafen. Sie weckt mich durch ihr Gestöhne immer wieder auf. Geh! Geh weg! Geh irgendwo anders hin. Lass mich schlafen. Sie räuspert sich, steht auf. Läuft von einer Ecke zu anderen. Ich habe Angst. Große Angst. Hänge hier immer noch mit dem Kopf nach unten. Seitdem sie gegen die Wand geboxt hat, die zwischen ihr und mir ist. Fürchte, sie ist wieder wütend. Ihre Bewegungen werden hektischer. Ihr Schritt schneller. Ihr Körper zittert. Sie ist nervös. Spielt mit beiden Händen. Die Fingernägel sind lang. Sie steckt einen Finger in das Nagelbett. Bewegt ihn hin und her. Schwitzt. Drückt den langen spitzen Nagel gegen das Nagelbett. Denkt an etwas anderes. Vergisst was sie tut. Schwitzt. Der Puls steigt an. Blut läuft die Hand entlang. Ihr wird schwindlig. Der Atem schwer. Sie streckt die Hände weg. Schaut sie von weitem an. Er läuft immer noch. Mir wird übel. Kann hier nicht mehr hängen. Der Schädel brummt. Sie wird wieder ruhiger. Gott sei Dank! Legt sich. Sie atmet fast nicht. Totenstille. Alles dunkel um mich herum. Jetzt könnte ich schlafen. Ich allein. Nur ich und meine zweite Hälfte. Ich lausche. Lausche seit Minuten. Nichts. Man hört keinen Hauch. Sie atmet nicht. Habe Angst. Furchtbare Angst. Was passiert mit mir hier, wenn sie gestorben ist? Hier in der tiefsten Enge. Im dunkelsten Raum. Doch noch lebt sie. Ich weiß das. Kann es spüren. Kann dir nicht sagen, warum. Bin noch zu klein. Weiß aber, sie lebt noch. Kann es spüren. Meine Augen fallen zu. Bin müde. Brauche Schlaf. Bin erschöpft. Schlafe. Schlafe sanft und süß. Leider nicht lange. Sie wird wieder nervös. Springt hektisch auf. Brüllt, brüllt wie am Spieß. Schlägt um sich. Schlägt sich. Trifft mich mit voller Wucht am Bein. Mein Glück, ich hänge noch mit dem Kopf nach unten. Sie hätte meinen Kopf treffen können. Sie läuft von Ecke zu Ecke. Dieses Mal noch nervöser. Sie zieht sich an den Haaren. Reißt daran. Schreit. Schreit vor Schmerzen. Sind das ihre Hände, die an ihren Haaren reißen? Sie haut mit beiden Fäusten gegen die Tür. Schreit. Schreit immer wieder. Sie hält es nicht mehr aus. Diese furchtbaren Schmerzen sind schlimmer als die blutigen Fäuste. Sie sind schlimmer als die Wunde am Kopf. Eine Wunde, so groß wie mein Herzchen. Entstanden, weil sie sich ein Büschel Haare rausgerissen hat. Sie steht mitten im dunklen Zimmer. Atmet laut. Ihr Körper bebt. Die Hände baumeln runter. Ihr Blick ist starr und wild. Die Augäpfel wölben sich nach außen. Wie ein gefährliches wildes Tier sieht sie aus. Das weiße Hemd dreckig und zerrissen. Der Reisverschluss der Hose geht nicht mehr zu. Sie starrt in die Küche. Hinüber zum Kühlschrank. Langsam schleicht sie sich dorthin. Ihre Augen leuchten wie die Sterne. Sie zittert, hält es nicht mehr aus. Wird schneller. Greift zum Kühlschrankgriff. Eine Erleichterung sieht man in ihrem Gesicht. Langsam und sanft öffnet sie ihn. Sie greift rein und lächelt. Fast leer, fast leer ist er. Ein Hauch Gestank kommt aus ihm. Sie schaut mit einem verliebten Blick hinein. Gleitet zärtlich wie eine Fee ihre Hand hinein. Streichelt sie sanft. Sie ist kühl und halb voll. Sie setzt sich nieder auf den Boden mit ihr in der Hand. Umarmt sie.