Von der Angst — doppeltes Paradoxon


Von der Angst — doppeltes Paradoxon

03.02.2016 / 19.06.2016

 

Die Vermeidung führt

auf Umwegen

zum Vermiedenen.

 

Die Angst als Weg-Weiser

führt auf Irrwegen

zum Beängstigenden.

 

Vermeidung wie auch Angst

produzieren all jenes,

was “man“ Angst-voll vermeidet.

 

Denn das, was man im Tagesbewusstsein

vermeidet,

ist im “Unterbewusstsein“

als Angst verankert.

 

Vermeidung ist ein bewusster Akt —

sie ist Folge von Furcht;

Angst wird oftmals unbewusst gesteuert —

sie ist Ursache für Furcht.

 

Vermeidung orientiert sich meistens

an Symptomen, die sie fälschlicherweise

schon für die eigentlichen Ursachen hält.

Dadurch eröffnet sie erst

der Angst als eigentliche Ursache

ein kontinuierliches und weites Gestaltungs-Feld.

 

Auf diese Weise

führt Vermeidung unmerklich stets tiefer

in die Angst hinein — anstatt: heraus.

 

Wir müssten also lernen,

die bewusste Vermeidung zu vermeiden,

um unsere unbewusste Angst

besser spüren und verstehen zu können.

 

Und könnten wir zudem noch lernen,

unsere “unbewussten“ Ängste nicht nur zu erkennen,

zu verstehen und “aufzuklaren“,

dann müssten wir

auf der Ebene unseres Tagesbewusstseins

auch weniger “irrationale“ Situationen vermeiden.

 

Denn der “Chiasmus“ unserer Lebens-Angst

beruht zum Teil darin,

dass wir aus unserem Unbewussten

verstellende Vorstellungen als “Überzeugungen“

in die Realität hinein projizieren,

um sie nachfolgend

als “bedrohliche Realität“ zu fürchten.

 

Genau genommen

bedroht uns jedoch nicht die äußerliche Realität,

sondern die eigene, innerliche, unbewusste Angst.

Sie ist allgegenwärtig.

Zeitweise wie abwesend,

tatsächlich jedoch

stets verborgen anwesend.

 

Die innere Angst

lehrt uns

die “Bedrohung durch die Welt“

zu fürchten.

Dabei bedrohen und fürchten

wir uns

zumeist

vor uns selber.

 

Einige beliebige Beispiele hierfür:

  • alle Versicherungs-Policen, die uns “Sicherheit“ und “Garantien“ verkaufen

Als ob wir mit dem Kauf von etwas unsere innere Unsicherheit und Angst auflösen könnten. Existenzielle Wirklichkeiten lassen sich nicht durch den Kauf von materiellen Gütern ausgleichen („kompensieren“), noch lassen sie sich hierdurch verstehen oder auflösen. Wir können nicht aus existenzieller Unsicherheit Sicherheit gerieren.

 

  • alle Aggressions- und Gewalt-Exzesse,

von Clumbine, über Erfurth, bis hin zur “Kölner Platte“, vom jüngsten Orlando Massaker bis hin zum Mord an der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox.

Aber auch alle Formen der „verbalen Gewalt“ wie etwa Cyber-Mobbing, Verleumdung, Intrigen, etc.pp. Wenn “Täter“ ihre innere Aggression nach außen auf ihnen bekannte oder unbekannte “Opfer“ übertragen müssen (direkter Bezug) — sowie stellvertretend, wenn via “sozialer Netzwerke“ und “Nachrichten“ aller Art, wir “Zuschauer“ uns selbst als Bedrohte und “Opfer“ fühlen (indirekter Bezug). Als ob man mit dem stellvertretenden Ausleben der eigenen Aggression am Opfer die eigene, innere Aggression und Gewalt auflösen könnte. Die Ursachen für die eigene Aggression bleiben im Eigenen verborgen ruhend, stets an-wesend. Sie sind latent gegenwärtig und werden je nach Situation aktualisiert. Dies geschieht unabhängig von Kultur und gesellschaftlichem Status.

 

  • alle Spielarten des “Wutbürgertums“ bis hin zum politischen “Rechtsaußen“,

dann nämlich, wenn die eigenen Ängste spiegel-bildlich an äußeren Vorkommnissen festgemacht werden. Der äußere “Inhalt“ ist beliebig austauschbar — der wütende Protest gegen “Großprojekte“ wie etwa „Stuttgart 21″, gegen “TTIP“/“CETA“, gegen “fallende Preise“, gegen “Globalisierung“ oder “Gentechnik“, gegen politisch notwendige Reformen (siehe Frankreich), die ohnmächtige Wut gegen “Flüchtlings-Ströme“, die politischen Überzeugungen von AfD, NPD, PEGIDA, u.v.a.m. — die innere Struktur der Angst jedoch nicht. So erleben wir scheinbar im Außen, was eigentlich in unserem Inneren sich vollzieht. Als ob etwas “übermächtig Drohendes“ uns selbst existenziell bedrohen würde (siehe den wütenden Mob im sächsischen Bautzen u. Clausnitz); dabei fürchten wir uns, genau genommen, zunächst vor uns selbst. Und je labiler und ängstlicher unsere Persönlichkeit (geworden) ist, desto radikaler und unangemessener sind unsere Aktionen gegen das vermeintlich äußere Geschehen. Xenophobie (Fremden-Feindlichkeit u. -Hass) und das vehemente Negieren anderer Ansichten (Stichwort: „Lügenpresse“ u.ä.) sind lediglich zwei Handlungs-Muster aus einer ganzen Palette psychisch-sozial bedingter Abwehr-Mechanismen. Was übermächtig in einem selber „arbeitet“ und „agiert“, wird auf das Fremde bzw. den Fremden sowie das Andere und den Anderen „übertragen“ und dort abreagiert.

 

  • alle Spielarten von ideologischem oder religiösem Fanatismus; siehe etwa die unlösbaren Kriegswirren unserer Zeit (Ukraine; Syrien, etc.pp.); oder die fanatischen Bewegungen innerhalb des Islam.

Der blinde Hass auf alles Andere, die grenzenlose Wut gegen alles Andere, die unstillbare Rache an allen Anderen — all das geschieht nicht “über Nacht“, sondern setzt einen jahrelangen, schleichenden, inneren psychischen Prozess voraus. Dieser bildet nach und nach die Persönlichkeits-Abgründe (in scheinbar “voll integrierten“ Jugendlichen; aber nicht nur in diesen…), derer es als Voraussetzung für Greueltaten bedarf, die sodann “über Nacht“ aktiviert werden können (vgl. die Termini „Groll“, „Hass“, „Rache“, „Ressentiment“ bei Nietzsche, in: „Zur Genealogie der Moral“). Diese Abgründe sind folglich schon längst wie eine “stille Reserve“ in den Menschen angelegt und warten nur noch darauf, endlich aktiviert zu werden… Aber anders als bei einer „Katharsis“ (Psychologie) führen die Taten nicht zu einer „seelischen Reinigung“, sondern zur Bestätigung der eigenen Vorurteile und Ressentiments, die nach Wiederholung verlangen. Das Ressentiment selbst verlangt sodann nach mehr Wut, nach mehr Hass, nach noch mehr Aggression und steigert sich selbst auf diese Weise ins Monströse. Die einstmals „gesunde Aggression“, die allen Menschen zu eigen ist, erfährt im indoktrinierten Menschen (Stichwort: „Brainwashing“) eine Steigerung ins krankhaft Unermessliche.

Stabile, ausgeglichene Persönlichkeiten laufen nicht Amok, foltern nicht (weder in Abu Ghraib, Guantanamo noch in Kriegsgebieten) und begehen auch keine Selbstmordattentate. Es sind die “Instabilen“, die “Zerbrechlichen“, die scheinbar “Normalen“, die “Abgründigen“, die so etwas aus übersteigerter Überzeugung oder aber mit Genuss tun (können).

 

 

Und vielleicht wird

dieses doppelte Paradoxon der Angst —

wir fürchten ein “Außen“,

das de facto in uns liegt,

und wir kämpfen gegen “Etwas“ im Außen,

das wir jedoch selber als Teil unserer Persönlichkeit sind

tagtäglich gespeist durch

unsere paradoxale Vorliebe und Neigung

zu Katastrophen-Meldungen aller Art.

Denn: nur die schlechten Nachrichten

sind uns die guten…—

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