Apfelkuchen für die Seele: Leseprobe
Prien
Einige Wochen zuvor in Prien, einer Kleinstadt am bayerischen Chiemsee:
Annemarie ging mit einem Teller frisch gebackenem Apfelkuchen in der Hand durch den großen Vorgarten auf das ansehnliche Bauernhaus zu.
Die alte massive Haustür stand offen. Weit und breit war niemand zu sehen.
Einzig Bernie, der Berner Sennenhund, begrüßte sie schwanzwedelnd, blieb jedoch faul neben der Haustür im Schatten des Hauses liegen.
„Ja, Bernie, wo ist denn Dein Herrchen?“, fragte sie im Vorbeigehen und schaute sich suchend um. Komisch, dachte sie, niemand zu sehen?
„Anton! Anton, wo bist Du denn?“, rief Annemarie, während sie das Haus betrat. Kühl war es in dem alten Gemäuer. Sie kannte sich aus in dem uralten Hofgebäude, waren sie und der Hausherr doch schon Nachbarn von Kindheit an, so wie ihre Väter und deren Väter.
In der leeren Küche stellte sie den Kuchen auf dem massiven Holztisch ab und machte sich auf die Suche nach ihrem alten Freund Anton Neumeister.
„Anton. Wo bist Du denn?“, rief sie erneut und erhielt immer noch keine Antwort.
Am Ende der langen Diele stand die Tür des Arbeitszimmers einen Spalt breit offen.
„Anton?“ Annemarie schaute durch den Türspalt. Der alte Mann saß an seinem Schreibtisch und starrte vor sich hin.
Erst als sie sich energisch vor seinem Schreibtisch aufbaute, eine Hand in die Hüften stemmte und mit der anderen heftig auf die Schreibtischplatte klopfte, schaute er auf.
„Grüß Gott Anton, ich such Dich schon eine Weile. Was schaust denn so versonnen? Ist was passiert?“ Und ohne seine Antwort abzuwarten: „Ich hab einen schönen Apfelkuchen gebacken. Magst einen frischen Kaffee dazu?“
Regungslos hielt ihr alter Freund ein kleines, vergilbtes Schwarz-Weiß-Foto in der Hand. Langsam schaute er zu ihr auf.
„Gut, dass Du kommst, ich müsst mal was mit Dir bereden“, sagte er leise, ohne auf ihre Frage zu antworten.
„Ist was passiert?“, fragte Annemarie besorgt mit einem Blick auf die zahlreichen alten Fotografien, Briefbündel und die abgewetzte Schachtel. Das ungewohnte Chaos auf seinem Schreibtisch irritierte sie. „Du kommst mir irgendwie sonderbar vor“, fügte sie leise hinzu.
Anton sah sie gedankenverloren an: „Aber nein, mach einen guten Kaffee und dann setzen wir uns zusammen. Ich erzähl es Dir dann.“
So kenn ich ihn ja gar nicht, dachte Annemarie auf dem Weg in die Küche. Flink setzte sie Kaffeewasser auf. Mit geübter Hand holte sie den alten Porzellanfilter, die Filtertüten und die bauchige Kaffeekanne mit Rosenmuster aus dem Schrank.
Seit Anton allein lebte, ging sie ihm häufig zur Hand und hatte die Schränke in der Küche nach ihren Vorstellungen alltagstauglich umgeräumt.
Während das heiße Wasser leise knisternd dem frisch gemahlenen Kaffee sein Aroma entlockte, gingen Annemarie die letzten Minuten noch einmal durch den Sinn. Anton hatte sie angeschaut, als sei er gerade von einer weit entfernten Gedankenreise zurückgekehrt. Völlig abwesend.
Sie legte eine weiße Tischdecke und zwei Gedecke vom alten Rosenservice auf. Danach zündete sie das passende Stövchen an, damit der Kaffee in der bauchigen Kanne warm blieb. Aus einer alten Milchkanne, die jeden Tag frisch gefüllt im Kühlschrank stand, schüttete sie Milch in ein kleines Kännchen und stellte alles auf den Tisch.
Mit einem leichten Knarren öffnete sich die Küchentür und Anton steckte seinen Kopf herein.
„Hast recht. Setzen wir uns hierher“, meinte er mit einem Blick auf den gedeckten Tisch, „draußen ist`s heut so drückend.“
Langsam ging er zu der gemütlichen Essecke, die im Erker der großen Wohnküche ihren Platz hatte.
Durch die fünf Erkerfenster blickte man in den Bauerngarten, der vor dem Haus lag, bis rüber auf den See und die Berge.
Annemarie brachte noch flink Kuchengabeln und Löffel, schüttete den frisch gebrühten Kaffee in die Tassen und setzte sich dann erwartungsvoll zu Anton an den Tisch.
„Magst ein wenig Kuchen?“, fragte sie beiläufig, während sie ihm und sich selbst ein Stück auf den Teller legte.
Annemarie war angespannt und verunsichert. Was mochte Anton mit ihr besprechen wollen und warum war er nur so anders heute?
Er nahm einen großen Schluck aus der Kaffeetasse und schaute versonnen aus dem Fenster.
„Anton. Nun mach aber mal einen Punkt! Was ist denn nur los mit Dir?“, polterte Annemarie los. Ihre Anspannung war kaum noch zu ertragen.