Besondere Vorkommnisse


Schreib-Befehl, I

 

V., 4. Oktober 1961

 

Was der Hauptmann von mir verlangt … Ich soll genau aufschreiben, was passiert ist, haarklein. Aber ich will das nicht.

Wenn ich hier etwas zu Papier bringe, dann nur deshalb, weil ich diesen Befehl habe und weil ich durchs Guckloch beobachtet werde. Die Sichtblende ist so eng an die Außenseite der Zellentür montiert, dass das Geräusch beim Wegschieben deutlich zu hören ist. Wenn ich Radio hören würde, würde ich es vielleicht nicht hören. Aber das darf ich nicht. Ich habe gar kein Radio hier.

Sie behandeln mich wie einen Schwerverbrecher. Ich verstehe das nicht. Meine eigenen Leute!

Harry sitzt bestimmt auch in einer Zelle an einem Tisch vor einem weißen Stück Papier. Wer weiß, was er schreibt! Er ist ängstlicher als ich, deshalb ist er mit der Dreijährigen auch weggegangen und hat mir die vierzehnjährige Schwester überlassen. Später kam er mit der Kleinen zurück, weil sie geplärrt hat und er nicht wusste, was er machen sollte.

Jetzt habe ich schon zu viel aufgeschrieben. Ich zerreiße das alles wieder. Sobald der Schlüssel im Schloss klirrt und ich zur Vernehmung gebracht werde, zerreiße ich dieses Stück Papier, das ich im Moment noch vollschreibe. Ich schreibe es voll, damit sie mich erst einmal in Ruhe lassen, weil sie denken, ich schreibe, was ich schreiben soll.

Der Krieg ist gerade mal sechzehn Jahre vorbei. Die Deutschen haben in diesem Krieg Verbrechen begangen, da reicht ein Leben nicht aus, um sie aufzuzählen. Vergewaltigungen waren natürlich auch dabei. In den KZs, hinter der Front. Routinemäßig, serienmäßig. Und ich, der ich schon als blutjunger Bursche mitgeholfen habe, das alles zu beenden, werde für einen kleinen Ausrutscher, wenn man so will, wie ein Schwerverbrecher behandelt.

Schon als blutjunger Bursche habe ich in diesem verdammten Krieg gegen die Deutschen gekämpft. Jahrelang Lebensgefahr. Verletzt worden bin ich auch. Gott sei Dank nur ein Streifschuss, aber mir hat es gereicht. Und das alles zählt auf einmal nichts mehr? Wieso sitze ich hier an diesem Tisch hinter einer verschlossenen Tür und schreibe diese sinnlosen Zeilen auf?

Von Vergewaltigung zu sprechen, halte ich für ziemlich übertrieben. Im Grunde war doch alles ganz anders. Ich schreibe jetzt mal auf, wie es wirklich war:

Auf dem Weg von H. nach V. entdeckte ich mit Kamerad Harry vom Auto aus ein Mädchen laufen. Sie war ungefähr sechzehn, siebzehn Jahre alt, vielleicht älter, vielleicht jünger, und führte ein kleines Kind an der Hand. Ich gebe zu, ein hübsches Mädchen, wenigstens von der Figur her, die wollten wir uns genauer ansehen. Ich lenkte den MG-Sportwagen nahe an sie heran und fuhr langsam neben ihr her. Da sahen wir, dass sie auch im Gesicht hübsch war. Natürlich riefen wir ihr Verschiedenes zu, was, weiß ich jetzt nicht mehr. Solchen Dingern gefällt es ja, wenn man sie lobt wegen ihres Aussehens und ihnen Komplimente macht. Ein MG-Sportwagen mit offenem Verdeck, das gefällt diesen Dingern auch, das weiß ich ziemlich genau. Wie wir so neben ihr herfahren, guckt sie rüber zu uns, und der Blick, den sie mir zuwarf, sagte mir alles. Ich forderte sie auf einzusteigen, aber sie zierte sich. Diese Ziererei kann ich auch ziemlich genau einschätzen. Sie heißt das Gegenteil. Also wenn sie scheinbar nicht einsteigen wollte, wollte sie es doch. Ich sagte zu Harry, er soll aussteigen und das kleine Mädchen zu uns in den Wagen bringen, dann müsste sie schon mitfahren. Harry wollte nicht, er ist zu feig für so etwas. Also bin ich ausgestiegen und habe das erledigt. Ich war sehr freundlich dabei und habe gesagt, ich bringe sie nach Hause. Das Ganze ging zugegebenermaßen sehr schnell. Sie saß dann mit der Kleinen im Auto. Harry fragte, wie alt die Kleine ist, sie antwortete, drei Jahre. Ich bin erst nach H. gefahren und habe 6 Flaschen Bier geholt. Dann bin ich zurückgefahren Richtung V. und in einen Feldweg eingebogen. Wir sind dann ausgestiegen. Sie ist weggelaufen und hat ihre kleine Schwester allein gelassen. Ich habe Harry gesagt, bleib bei der Kleinen und pass auf. Ich selbst bin ihr hinterhergerannt. Das war es doch wohl auch, was sie wollte. Hätte sie sonst ihre kleine Schwester allein gelassen? Sie ist dann gestolpert und hingefallen, aber wenn das mal nicht gespielt war! Dann war ich auch schon bei ihr, und dann ist es zu leichten Tätlichkeiten gekommen. Ich muss aber betonen, dass ich mich verführt gefühlt habe durch den Blick, den sie mir zugeworfen hat, als ich im Auto neben ihr herfuhr. Mehr will ich jetzt nicht mehr dazu sagen.

Ich hoffe, dass man einem verdienten Soldaten wie mir Gerechtigkeit widerfahren lässt. Harry ist dann auch dazugekommen mit der Kleinen, weil die so geschrien hat. Er wusste nicht, was er anfangen sollte mit so einem schreienden Kleinkind. Wir sind dann weggefahren, ich bin in eine Kneipe gegangen. Da bin ich dann verhaftet worden, so gegen Mitternacht. Aber das ist ja alles bekannt.

 

 

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