BISCHÖFLICHES KNABENKONVIKT BENSHEIM


BISCHÖFLICHES KNABENKONVIKT BENSHEIM, Wohninternat der Diözese Mainz, das von 1888 bis 1981 bestand. Die Anfänge des Hauses liegen in der Darmstädter Straße 56, wo ein Privathaus erstanden wurde für zunächst 17 Zöglinge, einen geistlichen Rektor und weltliches Personal. Die Zahl der Zöglinge erhöhte sich rasch, eine neue Heimstatt musste gefunden werden. Gründungsrektor Philipp Huppert (1857–1906) betrieb den mächtigen Neubau in der Kirchbergstraße 18. Architekt war Ludwig Becker aus Mainz (1855–1940), Bauherr das Bischöfliche Ordinariat unter Bischof Heinrich Brück (1831–1903). Im Herbst 1900 wurde das neue Konvikt bezogen. In seiner Anfangszeit war der Geist des Hauses getragen vom Anliegen, begabten Jungen aus dem Odenwald oder Ried den Besuch des Großherzoglichen Gymnasiums in Bensheim zu ermöglichen, doch bald wurden Schüler aus allen Teilen des Kaiserreichs im Konvikt angemeldet. Ein genau geregelter Tagesablauf band die Zöglinge nach der Mittagsfreizeit bis zum Abendessen mit kurzen Pausen in den Studiersaal. Auch nach der Abendfreizeit hatten sich die älteren Schüler ihren schulischen Aufgaben zu widmen, während die Unterstufenschüler zum Abendgebet in die Kapelle und dann zum Schlafsaal schritten; dabei oblagen sie bis zum Morgengebet des nächsten Tages einem Silentium-Gebot. Die religiöse Erziehung mit täglichem frühmorgendlichem Gottesdienst in der hauseigenen Kapelle, eine ausführliche Begehung religiöser Feste im Jahresrhythmus, einschließlich der Namenstage des Rektors und Subrektors, sowie religiöse Lehrstunden und Exerzitien, die sich über mehrere Tage erstrecken konnten, sollten die Zöglinge immer stärker dem katholischen Bekenntnis verpflichten. Jedes Jahr meldete der Rektor die Namen der Abiturienten, welche die Absicht hatten, ein Priesterseminar zu besuchen, an das bischöfliche Ordinariat Mainz. In die Zeit von der Gründung des Konvikts bis zur vorläufigen Schließung des Hauses im Juli 1939 auf Druck der Nationalsozialisten fallen sieben Rektorate. Rektor und Subrektor waren Geistliche. Die Haushaltsführung wurde – ebenfalls bis Juli 1939 – von Schwestern des Ordens der Göttlichen Vorsehung übernommen.

Eine dünne Finanzdecke begleitete die Geschichte des Hauses. Äußere Bedrückungen verschärften die Lage. Rektor Valentin Joseph Schorn (1884–1942) nahm nach den Wirren des Ersten Weltkriegs und der ersten Nachkriegszeit seinen Abschied. Auch Konviktoren waren, ausgestattet mit dem Notabitur oder dem »Einjährigen«, eingerückt und gefallen. Rektor Schorns Nachfolger war vom 1.5.1919 bis zum 31.12.1929 Eugen Mergler (1890–1939). Während der Inflationszeit, besonders im Jahr 1923, wusste er kaum noch, wie er »den Betrieb aufrechterhalten« konnte und sandte alarmierende Schreiben an das Ordinariat. Im Oktober 1924 wurde dem Konvikt auf Initiative Rektor Merglers eine Privatschule angegliedert. Rektor und Subrektor sowie vier Privatlehrer hielten für Spätberufene mit dem Studienwunsch Theologie Vorbereitungskurse für das Gymnasium ab und bereiteten Abiturienten, die zum Priesterseminar drängten, auf das Latinum und Graecum vor. Die Kurse »für die Vermehrung der Priesterberufe« hatten ihre Wirkung, wie Rektor Mergler in Zahlen belegen konnte.

Dass ein Haus mit der theologischen und pädagogischen Prägung wie das Konvikt den Nationalsozialisten auf Dauer ein Dorn im Auge sein musste, lag auf der Hand. Der Mainzer Bischof Ludwig Maria Hugo (1871–1935) hatte sich bereits 1930 klar gegen den Nationalsozialismus positioniert und rückte auch nach dem 30.1.1933 nicht grundsätzlich von seinem Standpunkt ab. In der Folge hatte er sich Anfeindungen zu erwehren. Auch das Konvikt geriet in Schwierigkeiten. Durfte die Tagesordnung verletzt werden, weil Konviktoren HJ-Dienst leisten sollten? Die ablehnende Haltung der beiden Konviktrektoren in der NS-Zeit, Josef Schneider (1897–1991) und Anton Müller (1903–1978), weckten den Argwohn der braunen Machthaber, es kam zu Verleumdungsaktionen und entsprechenden Hetzartikeln in der örtlichen Presse. »Tod der Reaktion« wurde an ein Tor des Konvikts geschmiert. Auch im Kreis der Konviktoren selbst entstanden Spannungen zwischen denjenigen, die mittun wollten bei der HJ-Ortsgruppe, und denjenigen, die wie bisher den im Konvikt vertretenen konfessionellen Verbänden »Neudeutschland« und »Marianische Kongregation« die Treue hielten. Mehrfach tauchte die Gestapo im Konvikt auf und veranstaltete Hausdurchsuchungen. Ein Auskommen mit den braunen Machthabern war nicht mehr möglich, im Juli 1939 fand die vorläufige Schließung des seit 51 Jahren bestehenden Hauses statt.

Das repräsentative Konviktsgebäude versuchte der Reichsstatthalter in Hessen, Jakob Sprenger (1884–1945), im Verbund mit verschiedenen NS-Ministerien in Berlin im Zeitraum von 1941–1944 zu enteignen. Rechtsstaatliche Grundsätze spielten keine Rolle, doch Kompetenzwirrwarr und Untertanenmentalität lähmten das Vorhaben und zogen es in die Länge. Schließlich gingen Amtsbriefe im Bombardement der Alliierten verloren; das Unterfangen der NS-Machthaber war gescheitert.

Als »Katholisches Schülerheim St. Bonifatius« in der Trägerschaft des »Studienwerks für heimatvertriebene Schüler in Recklinghausen« wurde das ehemalige Bischöfliche Konvikt zu Bensheim am 24.7.1950 feierlich wiedereröffnet. Ehrengast war der Mainzer Diözesanbischof Dr. Albert Stohr (1890–1961); im Jahr 1916 war er Subrektor am Konvikt gewesen. Als ersten Rektor notieren die Annalen den Geistlichen und ehemaligen SS-Sonderhäftling in den Lagern Ravensbrück und Dachau, Karl Kunkel (1913–2012). Ihm zur Seite stand Präfekt Siegfried Schramm (1907-1985). Er war am 1.1.1950 ins Haus gekommen und hat wohl am längsten Dienst getan im – später wieder Konvikt genannten – Schülerheim, nämlich von 1950 bis 1974. Danach erschien er noch als Nachhilfelehrer und sprach zuweilen das Abendgebet in der Kapelle. Am 26.4.1975 feierte man sein 25-jähriges Dienstjubiläum und seine offizielle Verabschiedung.

Die letzte Epoche des Konvikts von 1950 bis zur endgültigen Schließung mit Ablauf des Schuljahres 1980/81 umfasste noch einmal sieben Rektorate. Die ersten drei Rektoren waren noch Geistliche: Karl Kunkel, Dr. Paul Tillmann (1906–1984) und Karlhans Gerber (1931–2022). Mit Beginn des Schuljahres 1971/72 trat der erste Laie ins Rektorat, Otto Lause (1930–1999). Seine Amtszeit betrug nur zwei Schuljahre. Nach den Sommerferien 1973 kam Franz Josef Thelen als Rektor ins Konvikt. Wenn sich bei Otto Lause der Kurswechsel in der Führung des Hauses hin zu einer sozialpädagogischen Einrichtung schon angedeutet hatte (Abschaffung des noch unter Rektor Karlhans Gerber streng beachteten Silentiums nach dem Aufstehen und vor allem auch beim Schlafengehen u.a.), wurde dies unter Rektor Franz Josef Thelen im großen Stil vollzogen. Kleine Gruppen, sozialpädagogische Fachkräfte, unterstützt von Zivildienstleistenden, Club- und Hobbyräume gehörten zu seinem pädagogischen Konzept. Der Dirigismus früherer Zeiten wich einem Vorschuss an Vertrauen in jeden einzelnen Konviktsschüler und dessen eigenverantwortliches Handeln. Rektor Franz Josef Thelen besaß Charisma und Organisationstalent. Seinerzeit wurde er von vielen als Glücksgriff für das Konvikt betrachtet. Die Wirklichkeit sah anders aus: Wie schon an der vorherigen Stelle in einer Jugendeinrichtung in Bayern beging er jahrelangen sexuellen Missbrauch an minderjährigen Konviktoren und verursachte einen hohen finanziellen Schaden. Von einem Sozialpädagogen-Ehepaar und dem Spiritual des Konvikts zur Rede gestellt, war er mit seinem Weggang sofort einverstanden. Seine Verabschiedungsfeier fiel feierlich und prunkvoll aus. Er erhielt die Ehrenplakette der Stadt Bensheim überreicht, auch wegen seines Engagements bei der Einrichtung eines Jugendzentrums. In Abwesenheit erkannte die Bensheimer Stadtverordnetenversammlung am 18.3.2010 Thelen die Ehrenplakette wieder ab. Das ganze Ausmaß von Thelens krimineller Energie am Konvikt Bensheim legt die am 3.3.2023 erschienene Studie „Erfahren. Verstehen. Vorsorgen.“ von Ulrich Weber und Johannes Baumeister offen.

Thelens Nachfolger am Konvikt war mit der Leitung des Hauses überfordert und trat nach einem Schuljahr den Rückzug an. Josef Deibele wurde die schwierige Aufgabe übertragen, als Rektor den Schließungsbeschluss des Bischöflichen Ordinariats Mainz im Schuljahr 1980/81 zu vollziehen. Eine beinahe hundertjährige pädagogische Tradition in Bensheim war beendet.

Angesichts der Verheerungen, die Franz Josef Thelen und andere Erzieher am Konvikt in den Seelen junger Menschen begangen haben, fällt es schwer, mit einem positiven Satz zu enden, aber er muss geschrieben werden. Dies nicht zu tun, würde ein Ungleichgewicht bedeuten. Für die von erzieherischen Machenschaften unbehelligt gebliebenen Schüler bot das Konvikt einen Bildungsaufstieg, den nicht wenige zu Hause im familiären Umfeld aus verschiedenen Gründen verabsäumt hätten.