Der Bericht des Sekretärs


Der Bericht des Sekretärs

Erster Teil

 

Der Präfekt einer römischen Provinz, deren Name für diese Zeilen nicht von Bedeutung ist, befahl an einem hei­ßen Sommertag seinen Sekretär zum Bericht.

Ave, Valentinus! Lass hören! Was gibt es?

Leider nicht wenig, Herr, antwortete der Sekretär.

Nun? wollte dieser wissen.

Der Sekretär ermannte sich:

Wie unsere Boten berichten, kam es in der Nähe von T. zwi­schen mehreren Schmugglern und deinen Soldaten zu einem Kampf, bei dem ein Schmuggler getötet und ein Grenzsoldat schwer verletzt wurde. Ein Schmuggler konnte arretiert werden, die übrigen sind entkommen.

Ein Kerl liegt in Fesseln? Hat er schon gesungen?

Noch nicht, Herr.

Mittel und Wege gibt es, die ihn singen lassen! knurrte der Präfekt und blickte den Sekretär mit düsterer Miene an.

Der Sekretär beeilte sich zu sagen:

Natürlich, Herr, die gibt es… Mittel und Wege, meine ich.

Ich will hören, was er gestanden hat, so schnell wie mög­lich! befahl der Präfekt.

So schnell wie möglich! wiederholte der Sekretär, wobei ihm ohne weiteres klar war, dass die Formulierung „was er gestanden hat“ besser zu verstehen war als: „dass er ge­standen hat“.

Und die Schmuggelware? wollte der Präfekt wissen.

Zwei Kisten mit Gold, Silber, Edelsteinen. Wahrschein­lich Diebesgut.

Der Präfekt schien einen Moment nachzudenken. Dann be­sann er sich und fragte in forschem Ton, wie um seine Nachdenklichkeit zu vertreiben:

Und? Weiter!

In den frühen Morgenstunden des Sonntag…

Wann? Heute? fragte der Präfekt.

Ja, Herr, heute, nickte der Sekretär und wiederholte noch einmal: Also heute in den frühen Morgenstunden ent­stand in der Via Minucii zwischen drei angetrunkenen Männern eine Messerstecherei.

Verletzungen?

Ein Mann kriegte einen Stich in den Unterarm ab.

Wer waren die Kerle? Sind sie geschnappt worden?

Nein, beim Anblick der heraneilenden Soldaten haben sie Fersengeld gegeben.

Auch der mit dem Armstich?

Ja, Herr.

Woher weißt du das mit dem Armstich?

Das sagen die Zeugenberichte aus. Das Blut des Man­nes war noch im Sand zu sehen.

Hm… Sonst noch was?

Am Vormittag wurde vor den Toren der Stadt ein Mann von einem Fuhrwerk erfasst und überrollt. Der Wagenlen­ker nahm den Verletzten mit und brachte ihn zur Krankenstation, aber der Medikus konnte nur noch den Tod des Mannes feststellen.

Merkwürdig, so viel auf einmal… – ein Zusammenhang?

Valentinus zuckte mit den Achseln.

Bis jetzt, Herr…

Finde es heraus! befahl der Präfekt. Ein Anhaltspunkt könnte dieser Kerl sein, den wir schon haben.

Zu Befehl, Herr!

Morgen um dieselbe Zeit will ich deinen Bericht hören!

Vielleicht einen Zwischenbericht, dachte Valentinus, aber das wagte er nicht zu sagen. Stattdessen ver­beugte er sich nur und ward entlassen.

Normalerweise liebte es Valentinus, „auf dem Weg zu sein“ und seinen Gedanken nachhängen zu können, aber diesmal war Eile angesagt. Er spornte sein Pferd an und gönnte sich und dem Tier keine Ruhe, bis er vor dem Gefängnis von T. stand und den Hauptmann Lactan­tius zu sprechen verlangte.

Lactantius hieß ihn als Sekretär des Präfekten höflich will­kommen, bot ihm Platz und einen Becher Wein an und schickte seinen Sklaven um frisches Fladenbrot und Oliven los.

Valentinus kam ohne Umschweife auf sein Anliegen zu sprechen.

Hast du den Gefangenen schon befragt?

Welchen, Sekretarius?

Den Schmuggler, der heute Morgen geschnappt worden ist.

Noch nicht, Herr, aber wenn du willst, kann ich die Verneh­mung sofort veranlassen, wenn du dich gestärkt hast.

Er sah nach draußen, wo der Sklave mit dem Fladen­brot und den Oliven bliebe – und entdeckte ihn fast im sel­ben Moment, wie er die Straße hinunter zum Gefäng­nis eilte.

Da kommt er schon!

Der Sklave? fragte Valentinus zerstreut. Er stellte sich vor, wie die Vernehmung ablaufen würde und spürte Grauen davor.

Ja, der Sklave, bestätigte Lactantius.

Was wirst du dem Gefangenen antun? wollte Valentinus wissen.

Lactantius warf seinem Gast einen zweifelnden Blick zu. „Antun“ – was sollte dieses Wort bedeuten?

Ich habe meine Methoden, Sekretarius, sie führen zum Er­folg.

Nämlich?

Da kam der Sklave mit Brot und Oliven herein, ver­beugte sich und legte seinen Einkauf auf den Tisch, an dem Valentinus saß.

Iss! forderte Lactantius seinen Gast auf. Obgleich Valenti­nus dachte, dass die Schilderung des Mannes ihm den Appetit nehmen würde, verspürte er Hunger und griff gerne zu dem frischen Fladenbrot und den köstli­chen Oliven.

Lactantius schaute ihm zu und schürzte zweifelnd die Lip­pen; würde ihm dieser Sekretarius irgendwelche Schwie­rigkeiten machen? Nach einer Weile meinte er:

Du brauchst nicht dabei zu sein, Herr, wenn ich den Gefan­genen befrage.

Valentinus, durch die Mahlzeit wieder munterer gewor­den, entgegnete:

Befragst du ihn allein?

Nein, Herr, ich stehe dabei und gebe Anweisungen.

Anweisungen? Du meinst, was mit dem Gefangenen ge­schehen soll?

Ja, Herr.

Was hast du mit ihm vor?

Es ist nicht besonders schwierig, jemanden zum Reden zu bringen. Niemand hält den Schmerz aus, Herr, gab Lac­tantius zur Antwort.

Ich mache dir einen Vorschlag, sagte Valentinus. Alles was wir von diesem Gefangenen wollen, sind Informatio­nen über die Schmuggelaktion, richtig?

Lactantius nickte.

Lass mich zuerst mit ihm reden. Ich halte ihm vor, was ihn erwartet, wenn er nicht zur Zusammenarbeit bereit ist.

Nun gut, meinetwegen, Herr.

Lactantius führte den Sekretär zu dem Gefangenen. Er lag in Ketten, war zwischen dreißig und vierzig Jahren alt, trug einen schütteren Bart und ein zerrissenes Hemd.

Du hast zwei Möglichkeiten, begann Valentinus, sobald sich Lactantius entfernt hatte:

Entweder sagst du mir sofort, was du weißt, deinen Na­men, die Namen der Mittäter, eure Auftraggeber und so weiter, oder ich überlasse dich den Folterknechten des Lac­tantius. Glaube mir: Es ist nicht besonders schwierig, je­manden zum Reden zu bringen. Niemand hält den Schmerz aus, wiederholte Valentinus die Worte des Lactan­tius und fügte hinzu:

Auch du nicht!

(Fortsetzung folgt)