DER REICHTUM UNSERER SPRACHE


Thomas Berger

DER REICHTUM UNSERER SPRACHE

Ein Plädoyer

In der Gegenwart werden Worte gern durch visuelle Symbole ersetzt. Vor allem in der elektronischen Korrespondenz sollen sogenannte Emoticons Gefühle vermitteln, seien es beglückende, seien es bedrückende. Sehr häufig wird das Smiley eingesetzt. Das Zeichen möchte ein freundliches Lächeln mitteilen.

Als Ergänzung sprachlicher Ausdrucksformen mögen derartige Symbole willkommen sein. Als Ersatz für Begriffe können sie freilich auch den Sinn für die Fülle und Vielfalt unserer Sprache schwächen.

Ein Mann hat in eindrucksvoller Weise das Bewusstsein der Menschen für den Schatz, den die deutsche Sprache darstellt, geweckt und geschärft: Martin Luther. Seine Bibelübersetzung aus dem Griechischen und Hebräischen, sein Katechismus oder die von ihm verfassten Kirchenlieder sprühen geradezu von sprachschöpferischer Kreativität.

Auf dem Weg hin zur neuhochdeutschen Schriftsprache war der Reformator ein wichtiger Meilenstein. Hierbei erwies es sich als Vorteil, dass die Stätten, an denen er lebte und wirkte, im hochdeutsch-niederdeutschen Grenzgebiet lagen: Eisleben, Mansfeld, Magdeburg, Eisenach, Erfurt und Wittenberg. Dadurch konnte er aus beiden Sprachbereichen schöpfen. Diese Chance nahm er ausgiebig wahr.

Schon vor dem Druck der Lutherbibel gab es mehrere Übersetzungen der biblischen Schriften. Diese orientierten sich aber an der lateinischen Vulgata, also nicht am Urtext, sondern an einer bereits vorliegenden Übersetzung. Ein Vergleich aus Psalm 23 mag Luthers Sprachvermögen verdeutlichen. Zuvor hieß es in einer Ausgabe von 1518: „Der Herr regieret mich und mir geprist nichts, und an der Statt der Weide, da setzt er mich.“ Luther indes formuliert im Jahr 1522 dichterisch: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird an nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.“

Der Reformator erschloss die reichen Möglichkeiten, deren die Sprache fähig ist – und fähig bleibt, wenn wir uns für ihr breit gefächertes Potential öffnen. Wunderbar bildhaft übersetzte er z.B. 1 Kor 13: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle“ (V. 1).

 

Im großen Katechismus (1529) ruft er bei der Erläuterung des Vaterunsers dazu auf, „Gott immerfort in den Ohren zu liegen“. Oder denken wir an seine Erklärung des neunten und zehnten Gebotes des Dekalogs, den er als „Ausbund göttlicher Lehre“ bezeichnet: Dort nimmt er „die leidige Habsucht“ aufs Korn.

Für die Kirchenlieder, die er schuf, sei nur auf das Osterlied „Christ lag in Todesbanden“ (EG 101) und auf das beliebte Weihnachtslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ (EG 24) hingewiesen, das „gute neue Mär“ verkündet.

Luther bereicherte unseren Wortschatz auch durch die von ihm geschaffenen Ausdrücke wie Langmut, Ebenbild, Gewissensbiss, Sündenbock, und durch Redewendungen, die uns auch heute bekannt sind, etwa: mit Blindheit geschlagen, ein Dorn im Auge, Stein des Anstoßes, sein Licht unter den Scheffel stellen.

Ich plädiere dafür, dass wir uns von Luthers sprachlicher Kühnheit den Weg zu einem bewussten Umgang mit der Sprache weisen lassen. Belassen wir es nicht bei einer oberflächlichen Wahl der Wörter und bei dem verkürzten Stil, der bei der Nutzung von Messenger-Diensten üblich ist! Unsere Sprache ist ein kostbares Gut. Ihr Wortreichtum beruht nicht zuletzt darauf, dass wir schon bestehende Wörter neu zusammenfügen können, so dass kreative Bildungen entstehen: Edel-stein, Heim-weh, Morgen-stern, Welt-schmerz, Abend-kühle. Es macht Freude, sich auf die Schönheit und die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten unserer Sprache zu besinnen, die für sehr viele die Mutter- oder Erstsprache ist. Sie verdient es, wertgeschätzt zu werden.