„Die Natur war aber stärker“ – Auguste L. (1916-1912), vierter Teil


„Die Natur war aber stärker“ – Auguste L. (1916-1912), vierter Teil

 

Auguste L. fehlte als Arbeitskraft im Betrieb des kranken Vaters auch über den 1.10.1943 hinaus. Der Vater richtete deshalb am 10.10.1943 ein Gesuch „an die Oberstaatsanwaltschaft bei dem Sondergericht Frankfurt am Main“, nachdem er mit einem ersten Gesuch „um Erlass der Reststrafe im Gnadenwege oder um bedingte Strafaussetzung mit der Aussicht auf späteren Erlass der Strafe […] von der dortigen Behörde“ abschlägig beschieden worden war.[1] „Ich wende mich gleichwohl nochmals an die dortige Stelle mit der Bitte(,) wenigstens meine Tochter noch auf weitere 3 Monate zu beurlauben, da ich sonst nicht weis(!) was aus meinem Betrieb werden soll.“

Nun folgt die genauere Beschreibung der häuslichen und betrieblichen Situation, die ohne die Arbeitskraft Auguste L.s nicht zu bewerkstelligen war:

„Ich selbst bin 56 Jahre alt und zufolge verschiedener Schlaganfälle nicht mehr in der Lage(,) meinen landwirtschaftlichen Betrieb selbst zu versehen. Diese Schlaganfälle haben sich bei mir wiederholt. Ich bin ein armer, gebrochener Mann, eine Ruine, mit der man nicht mehr viel anfangen kann.[2] Ich habe einen Schwiegersohn(,) Hermann K., der meine andere Tochter geheiratet hat. Er ist zwar von Beruf Gärtner, hat aber immer in der Landwirtschaft geholfen.

Da er zur Zeit zur Wehrmacht eingezogen ist und sich im Einsatz im hohen Norden befindet, muss ich seine Hilfe entbehren. Es sind dazu 3 kleine Kinder der Ehefrau Auguste L. vorhanden, 2 aus der Ehe mit dem im Felde gefallenen Schwiegersohn L. und das 1 Kind, das unehelich ist, ist auch bei mir zu Hause untergebracht. Die Kinder sind 8 & 6 Jahre alt, das jüngste ist 1 Jahr alt.“

Die weiteren Zeilen des Landwirts Philipp W. machen deutlich, dass die Überlegungen des Oberstaatsanwaltes und des B.er Bürgermeisters, Auguste L. „während der Frühjahrs(-) und Sommerzeit für einige Monate zu beurlauben“, den Erfordernissen des Betriebes nicht genügten:

„In meiner Landwirtschaft ist Arbeit und nochmals Arbeit. Es ist nicht damit abgetan, dass man sagt, die Ernte ist vorüber, es ist auch damit die Sache nicht erledigt, dass man sagt, die Kartoffelernte ist zwischenzeitlich hereingekommen, es handelt sich vielmehr um die Aufrechterhaltung des Betriebes. Es muss doch das Vieh versorgt werden, es muss überall nach dem Rechten gesehen werden, es müssen auch sonst Vorkehrungen getroffen werden, da ist noch eine Unmenge Arbeit, was nur derjenige beurteilen kann, der selbst Landwirt ist.“

Auch die erdachte Maßnahme des Bürgermeisters und des Oberstaatsanwaltes, eine Hilfskraft einzuarbeiten, erwähnt der Landwirt Philipp W.:

„Es war mir aufgegeben worden(,) in der Zwischenzeit eine Hilfskraft heranzubilden. Ich hatte mir die erdenklichste Mühe gegeben, eine solche zu bekommen. Ich habe eine solche aber nicht bekommen. Die Arbeit in der Landwirtschaft, auch wenn die Ernte vorüber ist, ist hart, schwer und anstrengend.

Für mich kranken Mann ist es, wie der Bürgermeister und auch der Ortsbauernführer, bei denen ich anzufragen bitte, bestätigen müssen, ein Ding der Unmöglichkeit, allein zu wirtschaften.

Ich kann doch meinen landwirtschaftlichen Betrieb nicht zugrunde gehen lassen, er muss doch weitergeführt werden, und zwar so(,) wie ich ihn früher immer mit der grössten Sorge selbst geführt habe.“

Der Ton des Briefes wird nun immer drängender und flehentlicher:

„Ich habe in meinem ganzen Leben nichts anderes als Arbeit und nochmals Arbeit gekannt, ich habe auch meine Kinder ordentlich erzogen, und wenn meine Tochter diesen Fehltritt begangen hat, so ist es ja zu verurteilen und ich bin der Letzte, der sie dieserhalb rechtfertigen will, aber es wäre doch zu hart, wenn durch die Verbüssung der Strafe die ganze Existenz vernichtet und das Wohl und Weh der Kinder völlig untergraben würde, das könnte ich alter Mann nicht überleben, das wäre mein Ende.“

Die negativen Folgen der Haftstrafe Auguste L.s für ihre Familie rückt der folgende Absatz noch einmal in den Fokus und verbindet dies mit einem praktischen Vorschlag:

„Es verschlägt wohl bestimmt nichts, wenn meine Tochter ihre Strafe später verbüsst, ein(!) Teil der Strafe wird man ihr wohl schenken, da sie sich während der Strafzeit gut geführt hat und auch ihre Tat bitter bereut hat. Wenn sie die Tat ungeschehen machen könnte, würde sie das tun. Aber wenn meine Tochter nicht wenigstens weiteren Strafaufschub erhält, würde man praktisch, für das was meine Tochter getan hat, mich armen kranken Mann und die ganze Familie, die doch dafür nichts kann, bestrafen. Mein Schwiegersohn K. ist ein braver Soldat, er tut seine Pflicht gegenüber Führer und Vaterland, er wird es bestimmt nicht ertragen, dass mein Betrieb zugrunde gehen würde, dafür hat er viel zu viel Stolz und heimatliches Gefühl.

Ich bitte doch die Oberstaatsanwaltschaft(,) mir armen(!) alten Mann zu helfen und mir wenigstens die Tochter bis 1. Februar 1944 zu belassen, damit ich den Winter über nicht ohne jede Hilfe dastehe und körperlich zusammenbreche.

Diesen Strafaufschub für meine Tochter bitte ich dann wenigstens noch zu gewähren.“

(wird fortgesetzt)

 

[1] Im „Gesuch um Begnadigung“ vom 15.7.1943 bat Philipp W. darum, „meiner Tochter ihre Reststrafe zu erlassen“; wenn dieser Bitte jedoch „noch nicht stattgegeben werden“ könne, „so möchte ich doch auf alle Fälle bitten, mir die Tochter mindestens bis zum Kriegsende zu belassen oder wenigstens solange, bis mein Schwiegersohn K. zurück ist und mir helfen kann, oder bis ich eine geeignete Kraft – andere Kraft – für den Betrieb und für die Kinder gefunden  habe.“ Darauf erhielt Auguste L. am 28.7.1943 vom Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht Frankfurt am Main ein vorgedrucktes Schreiben mit dem Vermerk: „Auf Grund der mir in § 17 Abs. (1) der Gnadenordnung erteilten Ermächtigung lehne ich das Gesuch hiermit im Namen des Herrn Reichsministers der Justiz ab.“

[2] Eine am 12.10.1943 ausgestellte ärztliche Bescheinigung bestätigt die Selbsteinschätzung Philipp W.s: „Dem Landwirt Philipp W., B., wird hiermit bescheinigt, dass er in den letzten Jahren des öfteren bettlägerig erkrankt und arbeitsunfähig gewesen ist. es(!) handelte sich in der Hauptsache um eine Herzschädigung in Begleitung von schlaganfallsartigen Zuständen. Dadurch war der Mann nicht in der Lage, allein seinen landwirtschaftlichen Betrieb zu versehen, sondern auf andere Hilfe, insbesondere die seiner Tochter Auguste, angewiesen. Das körperliche Befinden und die Leistungsfähigkeit des Mannes hat sich dem Wesen der Erkrankung entsprechend nicht gebessert, sodass die Voraussetzungen für anderweitige Hilfe weiterbestehen. Es liegt also im Interesse des Philipp W. und seines Betriebes(,) dass ihm die bisher verfügbare Hilfe nach Möglichkeit weiter belassen wird, da er selbst nicht in der Lage ist oder sein wird, den an ihn gestellten Anforderungen nachzukommen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.