Emil Darapsky (1906–1944), NS-Opfer


Beitrag über Emil Darapsky (1906–1944), NS-Opfer

Erstveröffentlichung im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon, Band XLVII (2024), Auszug

 

DARAPSKY, Emil, * 10.6. 1906 in Mainz, † 30.10. 1944 (hingerichtet Zuchthaus Brandenburg-Görden). D. stammte aus katholischem Elternhaus. Seine frühe Kindheit verbrachte er in Mainz. Der tägliche frühmorgendliche Kirchgang zur Feier der Heiligen Messe gehörte bald zu seiner Gewohnheit. Von der Emmerich-Josef-Straße 8, wo sein Elternhaus stand, führte ihn der Weg entweder in die Kirche St. Stephan oder in den Dom. Der Vater Anton D., ein Ingenieur und Branddirektor, starb bereits am 30.3. 1918. Sein Sohn wurde ins Bischöfliche Knabenkonvikt Bensheim gegeben, ein Wohninternat, am Gymnasium Bensheim erwarb D. im Jahr 1925 das Abitur. Das Konvikt stand in der Trägerschaft der Diözese Mainz, der katholische Glaube wurde mit Eifer in Form täglicher Messfeier, religiöser Lehrstunden und Exerzitien sowie der intensiven Begehung religiöser Festtage zelebriert. Eine Zeitlang erwog D. nach dem Abitur ein Theologiestudium, doch entschied er sich schließlich anders. Als Primus hielt er bei der Entlassungsfeier die Dankesrede und empfahl, dem Materialismus seiner Zeit den Idealismus nach Art der Antike entgegenzusetzen. Sein Klassenlehrer Prof. Dr. Ludwig Ruhl (1875–1971) erging sich in seiner Rede dagegen schon in Formulierungen wie »Volksgemeinschaft« oder »völkische Gesinnung« und betonte die Nachrangigkeit des Individuums gegenüber derlei Kategorien.

Nach zwei Semestern Jura-Studium in Köln wechselte D. mit dem Berufswunsch Lehrer zur deutschen und romanischen Philologie sowie zur Geschichtswissenschaft. Es folgten Studienaufenthalte in Frankfurt am Main und Paris, schließlich Gießen, wo er das Erste Staatsexamen am 24.2. 1933 ablegte. In Gießen war D. Mitglied der »Nassovia« im KV gewesen (Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine). Bis heute erinnert sich die »Nassovia Gießen« ihres einstigen Bundesbruders.

Am 16.4. 1934 trat D. sein Probejahr als Studienreferendar am Realgymnasium Mainz an. Im Schulleben und der Gestaltung des Unterrichts, besonders im Fach Geschichte, war der Nationalsozialismus beinahe allgegenwärtig. D.s Mitreferendare und -referendarinnen erwiesen sich mit den Themen ihrer Lehrproben und Prüfungen dem NS-Regime gegenüber ergeben, D. selbst war bestrebt, die von seinen Ausbildern erwarteten Konzessionen an »den neuen Staat« so gering wie möglich zu halten. D.s Referendarakte im Stadtarchiv Mainz ist im Vergleich zu denen seiner Mitreferendare auffällig dünn. Dies kann mehrere Gründe haben. Stellungnahmen seiner Ausbilder hinsichtlich der politischen Einstellung D.s, bei seinen Mitreferendaren sämtlich vorhanden, fehlen. Die Akten gelangten erst im Jahr 2006 ins Stadtarchiv Mainz. Vorher lagen sie im ehemaligen Realgymnasium, dem heutigen Schlossgymnasium.

Am 6.3. 1935 bestand D. die Staatsprüfung für das höhere Lehramt. Da er den NS-Schulleuten im Stadtschulamt Mainz als politisch »unzuverlässig« erschien und sie ihm sogar »NS-Untauglichkeit« attestierten, wurde er von Ostern 1935 bis Ostern 1939 mit neun Aushilfsstellen an wechselnden Orten im Rang eines Studienassessors beschäftigt, zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit inbegriffen. Erst nach der Einberufung zum Militär (Schütze im Panzerjägerersatzbataillon Kassel) am 3.12. 1940, wo er infolge einer Erkrankung im April 1941 wieder entlassen wurde, erhielt er eine Dauerstellung als Assessor an der Oberschule für Jungen in Wöllstein. Missgünstige Kontrolle seitens der Staatsorgane hatte D. während seiner Beamtenanwärterlaufbahn immer begleitet. In Wöllstein wurde er bei der Gestapo denunziert von einer namentlich nicht bekannten Person wegen »gefährlicher Gedanken«, die von ihm ausgingen. D.s Verhaftung geschah am 14.10. 1943. Man brachte ihn zur Untersuchungshaft in das Polizeigefängnis Klarastraße in Mainz.

Am gleichen Tag wie D. wurden in Wöllstein verhaftet der Lehrer Anton Knab (1878–1945), der katholische Pfarrer der Wöllsteiner Gemeinde St. Remigius, Josef Nikodemus (1898–1983) und die Schwester D.s., Dr. Elisabeth Darapsky (1913–1998), Archivarin am Stadtarchiv Mainz. Am 20.1. 1944 erfolgte der Transport der Gefangenen nach Berlin-Moabit. Die Anklageschrift wurde erstellt am 23.5. 1944. Darin wurde D. zuerst angeführt, dann seine Schwester, an dritter Stelle Anton Knab, schließlich Pfarrer Nikodemus. Nach dieser Reihenfolge hatten die Angeklagten den Gerichtssaal zu betreten, D. wurde dem Hauptrichter gegenüber postiert. Schon hieran wurde deutlich, dass D. dem Gericht als Hauptbeschuldigter erschien und er die höchste Strafe zu erwarten hatte. Den Vorsitz des Gerichts führte Volksgerichtsrat Hermann Richard Greulich (1890–1945).

Die Anklage gegen D. lautete auf »Wehrkraftzersetzung«. Zum Beleg nannte das Gericht, dass sich D. in Briefen an seine – zwischenzeitlich verstorbene – Mutter und Schwester kritisch geäußert hatte über seinen Gestellungsbefehl und seine Militärzeit; dass er den Krieg kritisch kommentiert und Witze über NS-Größen geschrieben hatte. Weiter wurde gegen D. ins Feld geführt, dass er für die alliierten Bombenangriffe auf Köln Hitler die Hauptverantwortung angelastet und das Wort Anton Knabs über Hitler als den »Oberteufel« wiederholt habe. Auch galt den Richtern als strafwürdig, dass D. die nationalsozialistische Kriegsberichterstattung als »verlogen« bezeichnet hatte und Flugblätter von »Feindflugzeugen« in seiner Wohnung gefunden worden waren. D.s eigene Meinung und klare Sicht auf die Zustände seiner Zeit und Umgebung wurden ihm als »feige, vaterlandslose Gesinnung« ausgelegt, das Gericht attestierte ihm »eine fanatisch gehässige Haltung zur nationalsozialistischen Staatsführung und Bewegung«. Um das Todesurteil gegen D. als unumgänglich erscheinen zu lassen, häuften die Richter noch weitere Verdikte gegen den Angeklagten an: »Zersetzung des Wehrwillens« bei den Lesern seiner Briefe (die als »Hetzprodukte« bezeichnet wurden), »Erzeugung sozialen Klassenhasses« usw. Anklage und Urteil gegen D. offenbarten, dass aus seiner Denkweise gegenüber dem NS-Regime ein Verbrechen konstruiert werden sollte. D. erhielt das Todesurteil, seine Schwester Elisabeth D. wurde mit fünf Jahren Zuchthaus bestraft, Anton Knab und Pfarrer Nikodemus wurden freigesprochen. Für Anton Knab endete die Freiheit schon wieder, nachdem er das Gerichtsgebäude verlassen hatte. Vor den Augen seiner Frau wurde er von Gestapobeamten entführt und im Auto ins KZ Dachau verschleppt. Dort wurde der Achtundsechzigjährige kurz vor Kriegsende von einem Aufseher erschlagen.

Im Zuchthaus Brandenburg-Görden verfasste D. am 18.9. 1944 sein Testament. Er setzte seine Frau und sein einziges Kind, Tochter Ingeborg, in alle seine Rechte ein und bat um Beisetzung im Familiengrab auf dem Mainzer Friedhof »bei meinen verstorbenen Eltern«.

Am 30.10. 1944 wurde er um 12:44 Uhr von der NS-Justiz ermordet.

D.s wird am ausführlichsten gedacht in der von Heinrich Holtmann herausgegebenen Schrift »Die Märtyrer von Wöllstein«, wo sein Lebensweg und die Lebenswege seiner Mitgefangenen vor dem Volksgerichtshof dargelegt werden, insbesondere auch die Umstände der Verhaftung, die Anklage und Urteilsbegründung. In der Laurenzikirche in Gau-Algesheim ließ Pfarrer Dr. Ludwig Hellriegel (1932–2011) 1986 eine Gedenkstätte für die Märtyrer der NS-Zeit einrichten; eines der unterhalb der Empore ausgehängten Portrait-Fotos zeigt D. An der katholischen Kirche zu Wöllstein wurde 1995 eine Gedenktafel angebracht mit den Namen von D. und Anton Knab sowie mit Hintergrundinformationen, so heißt es u.a.: »Ihr Vergehen war es, daß sie dem NS-Regime ablehnend gegenüberstanden und gelegentlich in Briefen und Gesprächen ihre Meinung äußerten.« Auch im zweibändigen Werk »Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts«, herausgegeben von Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, ist D. ein Artikel gewidmet, verfasst von Ludwig Hellriegel und Heinrich Holtmann.

 

Johannes Chwalek