„Die Natur war aber stärker“ – Auguste L. (1916-2012), Zweiter Teil


„Die Natur war aber stärker“ – Auguste L. (1916-2012), Zweiter Teil

 

Gerichtsverhandlung

 

„Das Sondergericht für den Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt a. Main“ erklärte „in der Sitzung vom 21. September 1942 […] für Recht“, dass „die Angeklagte […] wegen verbotenen Umgangs mit einem Kriegsgefangenen in einem schweren Fall zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren“ zu verurteilen sei „nach § 4 der Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes vom 25.11.1939 (RGBl.I.S.2319)“.

Zur Begründung wurde angeführt das Liebesverhältnis mit dem französischen Kriegsgefangenen Louis P. und die Formulierung aus Auguste L.s schriftlicher Einlassung des Vernehmungsprotokolls vom 28.8.1942 ohne Anführungszeichen übernommen: „Sie neckten, herzten und küssten sich und verkehrten von September 1941 an auch wiederholt geschlechtlich.“ Auguste L. habe „mit einem Kriegsgefangenen in einer Weise Umgang gehabt, die, wie keiner näheren Ausführung bedarf, das gesunde Volksempfinden gröblich“ verletze. „Ihre Verfehlung“ sei „auch als schwerer Fall im Sinne der genannten Bestimmung anzusehen, da sie mit dem Kriegsgefangenen wiederholt geschlechtlich verkehrt“ habe. Da ihr das Verbot des Umgangs mit Kriegsgefangenen bekannt gewesen sei, habe sie auch vorsätzlich gehandelt.“ Strafmildernd sei zu berücksichtigen gewesen, „daß die Angeklagte sich bisher einwandfrei geführt und ein reumütiges Geständnis abgelegt“ habe. Auch „daß sie nicht von sich aus die intimen Beziehungen zu dem Kriegsgefangenen hergestellt“ habe, „sondern seinen Nachstellungen erlegen“ sei „und die ländlichen Verhältnisse sowie die enge Hausgemeinschaft, in der die Angeklagte und ihre Angehörige(!) mit dem Kriegsgefangenen gelebt haben, ihr Teil dazu beigetragen haben, daß die Angeklagte von dem rechten Weg abgewichen ist.“

Als „strafschärfend“ kam für die Richter in Betracht, „daß die Angeklagte trotz der Tatsache, daß ihr Ehemann im Kampf gegen Frankreich gefallen ist, sich nicht gescheut hat, sich mit einem französischen Kriegsgefangenen einzulassen.“ Außerdem wirkte auf die Richter „erschwerend […] daß es sich nicht um eine gelegentliche Entgleisung gehandelt“ habe, „sondern daß die Angeklagte, von der als Kriegerwitwe und Mutter von zwei Kindern besondere Zurückhaltung verlangt werden musste, lange Zeit mit dem Kriegsgefangenen ein regelrechtes, nicht ohne Folgen gebliebenes Liebesverhältnis unterhalten“ habe. Damit habe sie sich „auf das Schwerste gegen die Ehre der deutschen Frau und des deutschen Volkes vergangen und verdient daher eine empfindliche Zuchthausstrafe. Eine solche von zwei Jahren erschien unter Berücksichtigung aller Umstände als angemessene und ausreichende Sühne.“

Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden Auguste L. für zwei Jahre aberkannt, die Untersuchungshaft auf die Haftdauer angerechnet, sie musste die Kosten des Verfahrens tragen.[1]

(wird fortgesetzt)

[1] Louis P. wurde am 16.9.1942 in L. vom Gerichtsoffizier zu der „strafbaren Handlung“, die ihm zur Last gelegt wurde, vernommen. Anwesend war auch Sonderführer G. als Dolmetscher und Protokollführer. Nach den Einlassungen zu seiner Person und den Umständen seiner Arbeit beim Landwirt W., äußerte er sich zu seinem Verhältnis zu Auguste L. dergestalt, dass er sie „nicht näher kennengelernt“ habe, „d.h. ich habe keine intimen Beziehungen mit ihr unterhalten. Ich habe sie weder geküsst noch berührt oder umarmt oder gar an den Geschlechtsteil gegriffen.“ Noch viel weniger habe er die Auguste „geschlechtlich gebraucht.“ Es sei „unwahr“, wenn „Frau Auguste“ behaupte, „ich hätte mit ihr bei passender Gelegenheit mich geneckt, geherzt und sie geküsst“. Auch den Geschlechtsverkehr mit ihr „ab September 1941“ wies er von sich und bestritt „entschieden“, dass er sie geschwängert habe, „da ich ja wie schon erwähnt mit der Auguste keinen Geschlechtsverkehr gepflogen habe.“ Abschließend bestritt er noch einmal „ganz entschieden, mich irgendwie der Frau Auguste genähert, sie geküsst und umarmt oder geschlechtlich gebraucht zu haben.“ Er verstehe nicht und könne es sich nicht erklären, „wie Frau Auguste dazu kommt, mich so zu beschuldigen, da ich sie ja nicht geschlechtlich gebraucht habe.“ Es sei ihm bekannt, „dass Kgf. [= Kriegsgefangenen] jegliche Annäherung oder Verkehr mit deutschen Frauen oder Mädchen bei hoher Strafe verboten“ sei. Dieser Befehl sei „bei uns auf dem Kdo. sichtbar aufgehängt.“ – Die widersprüchlichen Aussagen Auguste L.s und Louis P.s lassen sich durch die Aktenlage nicht aufklären; es geht daraus auch nicht hervor, ob Louis P. weitere strafrechtlichen Konsequenzen zu gewärtigen hatte. Das rassistische Denken des NS-Regimes bestrafte slawische Kriegsgefangene aus Polen oder Russland, die ein Verhältnis mit einer deutschen Frau eingingen, grundsätzlich mit dem Tod; bei westlichen Kriegsgefangenen ließ sich dies trotz einer Initiative des Reichssicherheitshauptamtes nicht durchsetzen.

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