Die unsichtbare Gefahr — Covid-19 (Teil V, II)


Die unsichtbare Gefahr — Covid-19 (Teil V, II)

30.06. bis 12.07.2020

„Was aber ist der Mensch?“ (Kant’s vierte Frage im Horizont dieser Pandemie…)

 

Rückblick auf Teil V, I

Im ersten Teil unter der neuen Fragestellung, was der Mensch sei, trafen wir die kategoriale Unterscheidung in sein Etwas-Sein als „Dasein“ einerseits — das ist der Forschungs-Gegenstand der Humanwissenschaften insofern, als sie dieses menschliche Sein unter den Aspekten von „Maß & Zahl“ sowie den Methoden des Meßbaren, des Experimentellen, etc. betrachten — und sein Wirklich-Sein als „mögliche Existenz“ andererseits. Dieses wird in den klassischen Geisteswissenschaften der Philosophie, der Psychologie sowie der Theologie erforscht. In der Paläoanthropologie reicht zur Zeit der historisch überschaubare Horizont unserer Mensch-Werdung ca. 11,62 Mio. Jahre zurück (vgl. „Danuvius Guggenmosi“). Des Menschen geschichtlich-existentieller Horizont wird zweifach beschrieben: einerseits durch die allgemeinen „anthropologischen Konstanten“ wie etwa „aufrechter Gang“, „vernunftbegabtes Sinnenwesen“, „Geist“, „Sinn“, „Wahrheit“, etc.pp. — diese sind allen Menschen eigen und unterscheiden den Menschen von allen anderen Lebewesen der Natur. Andererseits ist Mensch-Sein auf das individuelle Werden — von der Geburt als „existentieller Nullpunkt“ bis zum biologischen Tod als sein Lebens-Ende — eingegrenzt. Das Wissen in beiden Bereichen — dem materiellen, dem idellen / wirklichen — gleicht einem „offenen Horizont“, d.h. der Mensch ist stets mehr, als er von und über sich weiß und wissen kann.

 

Ein wesentlicher Aspekt menschlichen Seins ist die durch die Jahrtausende seiner Mensch-Werdung gestellte Frage nach Wahrheit. Schon ein römischer Statthalter stellte vor 2.000 Jahren einem Schreiner aus Nazareth diese  Frage: „Was ist Wahrheit?“ (vgl. Jh. 18,38). Das kulturelle wie auch religiöse Selbstverständnis dessen, was „Wahrheit“ sei, konnte schon damals zwischen dem römischen Besatzer und dem unterjochten Juden nicht weiter auseinander liegen. Durch alle Zeiten gleicht die Frage nach Wahrheit einer unabschließbaren Suche nach Sinn — sowohl im Horizont der bisherigen uns bekannten Kulturen als auch im Horizont individueller „möglicher Existenz“. Der Mensch als Mensch will wissen: woher er kommt (seine „Genesis“ im Allgemeinen, seine persönliche Genealogie im Besonderen), wohin er geht (im Raum der eigenen Lebens-Spanne; worin endet sein Ende — im „Nichts“, in einer Weise von „Transzendenz“?), wer er ist (als „Persona“, als „Existenz“), was er ist (lediglich „Stoff“ und „Materie“ der Immanenz, oder doch auch unsterbliche Wirklichkeit einer Transzendenz, von der er sich geschenkt weiß [vgl. Karl Jaspers] und wovon er An-Teil ist). Mit diesen vier existentiellen Fragen unaufhebbar verbunden ist die Frage nach wahr-sein bzw. wahr-Sein im Allgemeinen wie im Besonderen. Was also ist Wahrheit oder, präziser: in welchen Phänomenen zeigt sie sich im Umfeld der Pandemie?

 

Zwei Weisen von Wahrheit: Glaubens-Wahrheit vs. wissenschaftlicher Wahrheit

Wechseln wir die Betrachtungs-Ebene von „Maß & Zahl“ und bleiben dennoch im Umfeld der menschlichen Existenz. Seit alters her handeln Menschen aufgrund ihrer Überzeugungen, die teils in rein persönlichen, teils in objektiv-sachlichen Wahrheiten gründen. Was macht den wesentlichen Unterschied beider Wahrheiten aus? Um die derzeitige Lage wie auch die beiden größten Lager innerhalb der Pandemie-Krise — Hygiene-, Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen-Befürworter  versus Maßnahmen-Gegner  — hinsichtlich ihrer Wahrheits-Vorstellungen kurz zu charakterisieren, greife ich auf zwei prominente Protagonisten früherer Jahrhunderte, genauer der Renaissance-Epoche, zurück, die sich zu ihrer Zeit hinsichtlich ihrer jeweiligen Wahrheitsüberzeugungen in der gleichen lebensgefährlichen Situation befanden. Beide mussten sich vor einem Tribunal der Heiligen Römischen Inquisition für ihre Aussagen verantworten und wurden von dieser mit dem Tode bedroht: da ist einerseits Giordano Bruno (1548-1600), ein ehemaliger Dominikanermönch, der als Ketzer auf dem Campo de‘ Fiori verbrannt wurde, und andererseits Galileo Galilei (1564-1642), ein Naturwissenschaftler und Universalgelehrter, der dem Ketzertod dadurch entging, dass er seine naturwissenschaftlichen Thesen und Erkenntnisse widerrief. Was war geschehen? Hierzu Karl Jaspers wie folgt: „Glauben ist unterschieden vom Wissen. Giordano Bruno glaubte und Galilei wußte. Äußerlich waren beide in der gleichen Lage. Ein Inquisitionsgericht verlangte unter Drohung des Todes den Widerruf. Bruno war zum Widerruf mancher, aber nicht der für ihn entscheidenden Sätze bereit; er starb den Märtyrertod. Galilei widerrief die Lehre von der Drehung der Erde um die Sonne, und man erfand die treffende Anekdote von seinem nachher gesprochenen Wort: und sie bewegt sich doch. Das ist der Unterschied: Wahrheit, die durch Widerruf leidet, und Wahrheit, deren Widerruf sie nicht antastet. Beide taten etwas dem Sinne der von ihnen vertretenen Wahrheit Angemessenes. Wahrheit, aus der ich lebe, ist nur dadurch, daß ich mit ihr identisch werde; sie ist in ihrer Erscheinung geschichtlich, in ihrer objektiven Aussagbarkeit nicht allgemeingültig, aber sie ist unbedingt. Wahrheit, deren Richtigkeit ich beweisen kann, besteht ohne mich selber; sie ist allgemeingültig, ungeschichtlich, zeitlos, aber nicht unbedingt, vielmehr bezogen auf Voraussetzungen und Methoden der Erkenntnis im Zusammenhang des Endlichen.“ (Karl Jaspers, Der philosophische Glaube, 1947, S. 11)

 

Die als unbedingt geglaubte Wahrheit in Zeiten von Corona

Schlagen wir den Bogen aus dem Zitierten zur Ist-Situation in Deutschland Anfang Mai / Ende Juni 2020 und betrachten die Anti-Lockdown-Demonstrationen unter den Aspekten der gezeigten Emotionalität sowie der mehr oder weniger vorhandenen, teils mangelhaften Sachkunde bzgl. der Krankheit.

Auch wenn die gesamte Spannweite der Anti-Demonstranten*innen breiter gefächert ist, so finden wir im „Giordano Bruno“-Lager doch all jene wieder, die unbedingt  irgend etwas glauben: Impfgegner*innen, Verschwörungs-Theoretiker*innen, ideologische Extremisten von rechts wie von links, Wutbürger*innen, Hass-Prediger*innen, Influencer aller Schattierungen, etc.pp. . Ein bunt zusammengewürfeltes, breites Konglomerat von Unzufriedenen, vermeintlich Vergessenen, angeblich in ihren Belangen von der Gesellschaft Überhörten und von der Politik Übersehenen aller Couleur. Ihre Glaubens-Inhalte haben im Kern weder einen direkten Bezug zum Covid-19 Virus, noch zum eigentlichen Pandemie-Thema, noch zum verhängten Lockdown der Bundesregierung bzw. der verschiedenen Landesregierungen. Auch scheinen sie mit ihren Protesten keinerlei Interesse an einer Versachlichung ihrer Meinung — etwa eine Korrektur hinsichtlich der Corona-Thematik — zu verfolgen. Vielmehr scheinen sie die Anti-Lockdown-Demonstrationen lediglich als „offene Bühne“ für ihre Selbstdarstellung und persönlichen Meinungen zu nutzen. Denn viele der gezeigten Verhaltensweisen erinnern frappant an den berühmten „Marktgang des Sokrates“ (vgl. Platon, Apologie, 21c-23c). Stellen sie doch ihren eigenen Kenntnisstand, der zumeist auf bloßem Meinen, Fühlen, Dafür-Halten, etc. beruht, der Sachkenntnis der Virulogen als ebenbürtig gegenüber. Für sie ist persönliches Meinen identisch  mit sachlichem Wissen; jenes ist nach ihrer Auffassung diesem gleichwertig. Wie kann das möglich sein? Entstammen ihre „Argumente“ doch einem persönlichem Erleben, während die Virulogen wissenschaftlich-methodisch „aus der Sache heraus“ argumentieren. Bereits Platon beschreibt anhand besagter Marktszene auf humorige Art und Weise den exemplarischen Unterschied zwischen profundem, methodisch-gesicherten Wissen und bloßem Meinen, Urteilen nach Hörensagen, u.ä.m. . Die Rahmenhandlung ist schnell berichtet: Chairephon, ein Freund sowohl des Sokrates als auch des Athener Volkes und gleichsam ein athenischer „Hans Dampf in allen Gassen“, marschierte, als er einmal in Delphi weilte, schnurstracks zum Apollon-Orakel und fragte dessen Hohe Priesterin, Pythia, ob wohl einer weiser sei als Sokrates. Diese gab Chairephon den Bescheid, „niemand sei weiser“ (a.a.O., 21 a). Sokrates, von Berufs wegen Philosoph (also Wahrheits-Suchender, Wahrheits-Findender, Wahrheits-Liebender…), fragte sich nun, wie dieser Rätselspruch wohl zu verstehen sei. Denn lügen würde Apollon wohl kaum, sondern stets die Wahrheit künden. Aber welche?! Er selbst, Sokrates, war sich dessen doch völlig bewusst, dass er weder in großen, relevanten Belangen weise sei, noch in kleinen Dingen. Wie ließe sich der Spruch der Pythia wohl widerlegen und aufweisen, dass es sehr wohl Athener Bürger*innen geben würde, die weiser seien als er selbst? So fasste er schließlich nach langem Erwägen, wenn auch nur widerwillig und zögerlich, den Entschluss, dorthin zu gehen, wo sich in der Polis nach allgemeiner Auffassung „Gott und die Welt“ trafen: auf die Athener Agorà, den Marktplatz von Athen. Dort, so meinte er, würde er sicherlich jemanden finden, der die Wahrheit des Rätsel-Spruches ans Tageslicht bringen würde. Gesagt, getan. Sokrates machte sich auf den Weg, die Wahrheit zu finden, indem er seine Mit-Menschen befragte. Zunächst befragt Sokrates einen stadtbekannten, angesehenen Staatsmann, da dieser im allgemeinen Ruf stand, weise zu sein. Vielleicht könnte er an diesem Mann den Spruch widerlegen, sofern es sich nur zeigen ließe, dass dieser weiser als er, Sokrates, sei. Denn nach dem Urteil vieler Athener und vor allem nach seinem eigenen, wähnte sich der Politiker überaus weise. Aber ach, Sokrates‘ mäeutische Methode brachte es letztlich zu Tage: Zwar hielt sich dieser wohl selbst für außerordentlich weise, ohne es indes wirklich zu sein…— Gott sei Dank bestand Athen im Jahre um 399 v. Chr. nicht nur aus Staatsmännern. Es gab da auch noch gefeierte und geehrte Tragödienschreiber und Dithyrambendichter, die so manchen Agón gewonnen hatten. Auch sie standen im allgemeinen Ruf, Wahrheit zu künden und weise zu sein. Aber Sokrates‘ Befragung brachte auch hier das Fatale zutage: Zwar wähnten auch sie sich weise, und waren dies auch, u.z. bezogen auf das fertige Werk. Sie konnten jedoch Saokrates keinerlei Auskunft darüber geben, wie sie ihre eigene Kunst hervorbringen. War es eine besondere Veranlagung oder gerieten sie beim Dichten in göttliche Begeisterung? Auf welchem „Weg“ brachten sie Dichtung hervor…? Aber schlimmer noch: die Tragödienschreiber und Dithyrambendichter glaubten, da sie in der Dichtkunst sehr erfolgreich und im Ansehen des Volkes beliebt und geehrt waren, „sie seien auch sonst ganz besonders weise Leute — was sie nicht waren“ (a.a.O., 22c). Und so ging es in einem fort, welche Berufsgruppe Sokrates auch befragte. Ein kunterbunter „Jahrmarkt der Eitelkeiten“, nicht jedoch des gesicherten Wissens. Denn allen  Befragten war jenes gemeinsam, und dies mussten sie sowohl sich selbst als auch Sokrates gegenüber eingestehen, dass sie sich lediglich anmaßten, da sie auf einem  Spezialgebiet bewandert waren und dort Wissen angesammelt hatten, auf allen Gebieten  gleichermaßen Fachmann zu sein. Ein allgemein grassierender persönlicher Irrtum, der Sokrates im Jahre 399 v. Chr. das Leben kosten wird. Denn dieser fuhr mit seinen peinlichen Befragungen unbeirrbar in der Erfüllung des göttlichen Auftrages fort, was den Ärger der Athener zunächst zu Groll und später zu offenem Hass gegen Sokrates steigerte. Es schien daher „gewissen Greisen“ vorteilhafter zu sein, den stadtbekannten Störenfried von Athen der Asebie anzuklagen und in einem fingierten Strafverfahren zu Tode zu verurteilen, denn die eigene, fadenscheinige Position zu hinter-fragen und diese eventuell korrigieren zu müssen. Platon kann so zeitlos „modern“ sein. Doch retour.

Die zeitlose Parallel-Situation nach 2.400 Jahren? Auch heute wähnen sich im Umfeld der Anti-Demonstrationen Laien wie auch selbsternannte „Forscher*innen“ wissender, als sie es de facto „in der Sache“ sind. Sie nivellieren einer-seits Fachwissen zu bloßem Meinen und überschreiten ihrerseits Grenzen des Beweisbaren mit ihren kolportierten Allgemeinplätzen. Es wirft sich anhand dieses Verhaltens die Frage auf, in welcher Hinsicht und in welchem Sinn glauben diese Anti-Demonstranten*innen. Und vor allem: an was glauben sie — u.z. unbedingt ?

 

Die als wissenschaftlich bewiesene Wahrheit in Zeiten von Corona

Diesem Lager diametral gegenüber befinden sich im Lager des „Galileo Galilei“ all jene, die als Forscher wissenschaftliche Fakten generieren wie auch all jene, die diesen Fakten vertrauen, selbst dann, wenn Einzelaspekte aufgrund der voranschreitenden Forschungsarbeiten revidiert werden müssen, das Ganze des erarbeiteten Wissens jedoch von der Klärung der Faktenlage unberührt und damit richtig bleibt. Das Richtige ist ihnen im Sinne des aristotelischen bzw. thomistischen „adaequatio rei et intellectus“ wahr (vgl. ontologische Korrespondenztheorien der Wahrheit). So auch hinsichtlich des Covid-19 Virus: die erforschten und erfassten Aspekte des Virus (= die Sach-Ebene, res; z.B. seine Größe, seine Oberflächenstruktur, seine RNA, u.ä.m.), stimmen mit den Aussagen des Verstandes (intellectus, ratio) sowie den daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen (z.B. hinsichtlich der Ansteckungs-Wege u. -Gefahren, der Fallzahlenverteilung nach Infektions-Graden, der Letalität, u.a.m.) überein — u.z. unabhängig von der Person, die sie vorträgt oder berichtet. So etwa die relative Größe des Virus von etwa 140nm. Diese Größe bleibt richtig und insofern wahr, unabhängig davon, ob sie ein Virologe oder aber ein Laie auf diesem Gebiet benennt. Fakten lassen sich — anders als bloße Meinungen, Überzeugungen, Vorurteile, etc. — nicht beliebig steigern, sondern lediglich präzisieren. Ihre Richtigkeit als Wahrheit ist an die Sache, nicht an die vortragende Person gebunden. Ein wesentlicher Unterschied, der nachfolgend von Relevanz sein wird. Auch weiß man im Lager des „Galileo Galilei“ darum, dass Forschung per se durch Widerspruch und Diskurs vorangetrieben wird und in sachlichen Maßen sogar für den Forschungs-Fortgang notwendig und deshalb wünschenswert ist. Diskurs und Widerspruch in der Sache  klärt den eigenen Standpunkt sowie die Sicht auf das gestellte Problem. Wissenschaftlich geführte, methodische Forschung ist das klärende Kontinuum wie auch Korrektiv aller Wissenschaften und damit schlichtweg das  Korrektiv des sachlich  Wissbaren. Methodische Forschung wandelt sachliches  Nichtwissen in Sach-Wissen. So auch der Forschungs-Prozess bzgl. Covid-19. Die Befürworter dieses Weges können sich diskursiv mit anderen Positionen auseinandersetzen, verhalten sich jedoch, bezogen auf die Gesamtsituation der andauernden Pandemie, verantwortungsvoll ihren Mitmenschen gegenüber.

 

Zwischenergebnis: Es gibt einer-seits Wahrheits-Gehalte und Wahrheit im Bereich des persönlichen Dafür-Haltens, der Meinungen und Überzeugungen als beliebig steigerbare, absolut geglaubte, als unbedingte  Wahrheit. Diese ist wahr bezogen auf den persönlichen Horizont einer Überzeugung; nicht wahr ist sie womöglich hinsichtlich der behaupteten Sachebene (vgl. u.a. Gauck-Petry-Interview zur Deutschen Einheit, vom 04.04.2019; oder, in unserem Zusammenhang, die Einschätzung der Gefährlichkeit von Covid-19, u.ä.m.). Zwar ist auch sie an Voraussetzungen, die persönlicher Qualität sind, gebunden, und damit bedingt. Jedoch wird sie als unbedingt  erlebt, erfahren, wahr-genommen, je tiefer sie an einen „existentiellen Grund“ gebunden ist. Denn stellen wir „die Frage nach dem Grund“, d.h. woraus in diesem Fall ein „Argument“ entworfen sowie die entstehende Argumentation abgeleitet wird, so wird offensichtlich, dass dies ein rein persönlicher, mithin ein existentieller Grund ist — etwa ein abgestuftes Erleben, ein tiefreichendes Gefühl, oder aber eine mehr oder minder bewusste Angst als Motivation. Sowohl der Grund, die „Hypo-thesis“, also das, was der späteren Argumentation „zugrunde liegt“, als auch die logische Begründung der Argumentation bestehen aus einer persönlichen Qualität. Der Vorteil: diese geglaubte Wahrheit lässt sich mittels bestätigender (Vor-)Urteile, weiteren Überzeugungen, u.ä.m. bis zur „absoluten Gewissheit“ einer Extremposition steigern (vgl. u.a. die „Bekennerschreiben“ der rechtsextremen Attentäter von Christchurch, Halle, Hanau, etc.pp.; aber auch alle anderen Formen des ideologischen wie religiösen Fanatismus speisen sich aus diesen Quellen). Der entscheidende Nachteil: Es fehlt diesem Prozess einerseites ein Korrektiv, so dass die geglaubten und als wahr erachteten Überzeugungen mit einem mehr oder minder umfangreichen Realitäts-Verlust als Wahrnehmungs-Ergebnis einhergehen können. Eine Folge hiervon: die diesem Prozess nachfolgende Weltsicht wie auch die Sicht auf die Realität, werden ohne Korrektiv „monokausal“ und deshalb scheinbar als „absolut“ erlebt. Es gilt: Die Steigerung zum Absoluten nimmt in dem Maße und Grade zu, wie die geduldeten „Argumente“ als „Kausalität“ abnehmen. Letztlich: Mono-kausal. Andererseits neigen diese Persönlichkeiten zur Hybris, u.z. im Sinne einer Anmaßung aus Überheblichkeit sowie der Selbstüberschätzung, die bekanntlich den persönlichen Absturz als Apokalypse in sich tragen. Hochmut kommt vor dem Fall…

Es gibt anderer-seits Wahrheit im Bereich der (Natur-)Wissenschaften, aber auch im Bereich der Nachrichten, Reportagen, Berichte, der Sach-Informationen als Weitergabe und Vermittlung von Fakten und Sach-Wissen. Diese Wahrheit ist im Sinne einer bedingten Richtigkeit (z.B. aufgrund der jeweils gewählten Methode und Arbeitsweise) relative , jedoch sachliche  Wahrheit. Hierbei liegt der Grund der Richtigkeit einerseits in der gewählten Methode und andererseits „in der Sache selbst“. Es ist ein Sach-Grund, der über die Richtigkeit entscheidet und gerade nicht die Person, die diese Wahrheit ausspricht bzw. beansprucht. Denn die Begründung der Richtigkeit als Wahrheit liegt in einem methodischen, wissenschaftlichen Forschen, oder, im Falle von Nachrichten, in einem methodisch fundierten investigativem Journalismus. Der Nachteil: Diese Fakten haben nichts „Überzeugendes“, nichts Packendes, nichts Mitreißendes, nichts Euphorisches; es ist eine relativ staubtrockene Wissens-Materie. Der Vorteil jedoch: dieses Wissen verfügt auf der Grundlage von Forschung bzw. Recherche über ein Korrektiv — das Ergebnis ist eine kontinuierliche Annäherung an die Sache (Covid-19 Virus) bzw. die „Realität vor Ort“, so wie sie  ist (so könnte z.B. investigativer Journalismus die wahren Gründe für das systematische Scheitern der Syrien-Hilfe durch Russland und China im UN-Sicherheitsrat [10.07.2020] benennen, indem er die Hintergründe des humanitären Eklats auszuleuchten versucht). Die Kunst ist es, Sachkenntnis in Lebens-Erfahrung zu übersetzen, zu wandeln, zu übertragen.

Es sind also zwei Kategorien von Wahr-Sein — einmal ein persönlich Bedingtes, das, steigerbar zum Unbedingten einer fordernden Überzeugung wird; ein andermal ein sachlich Bedingtes, das durch forschende Präzisierung zum begründeten Fakt wird — die sich als Wahrheit durch ein Anders-Sein voneinander abheben und unterscheiden.

Das hat folgende Konsequenzen: Zunächst, ein Laie hat — unabhängig aus welchem Grund heraus er argumentieren mag — einen anderen Sachkenntnis- als auch Wissensstand als ein Wissenschaftler, sowohl hinsichtlich des Umfanges „der Sache“ als auch hinsichtlich der faktischen „Tiefe“. Es ist daher weder statthaft (aus Sicht des Laien…), das Sachwissen des Forschers zu nivellieren, indem es detrahiert und auf die selbe „Stufe“ der Sach-Kompetenz gestellt wird wie das Laienwissen. Anders gesagt: Virulogen wie etwa Prof. Drosten, Dr. Streeck, et al. wissen bzgl. Covid-19 sowohl mehr [quantitativ] als auch präziser [qualitativ] als die Laien-Gruppe „Herr Müller, Maier, Schulze“. Erst eine detrahierende Nivellierung schafft hier den Grund für eine scheinbare „Gleichheit“, für das scheinbar „gleiche Niveau“, des Wissens. Noch ist es umgekehrt erlaubt, dass Laienwissen in völliger Selbstüberschätzung derart aufgewertet wird, dass es wissenschaftlichem Spezial-Wissen scheinbar ebenbürtig oder sogar gleich-wertig wäre und deshalb diesem in der öffentlichen Diskussion standhalten könnte. Unabhängig davon, ob nun die Diskussion in einer bekannten „Talk-Runde“, einem „Blog“, einem „Forum“ oder „Chat-Room“ geführt wird. Diese beiden Einschränkungen des Nicht-Statthaften — Entwerten des Spezial-Wissens einerseits; Aufwerten des Laien-Wissens andererseits — gelten für alle echten Wissensbereiche, u.z. unabhängig vom jeweils gestellten Thema.

Hiervon abzuheben und zu unterscheiden ist jedoch jenes quasi  „wissenschaftliche Wissen“, das von transnationalen Konzernen im Zuge einer Marketing-Strategie in Auftrag gegeben wird. Hier dient „Wissenschaft“ lediglich der Gewinn-Maximierung (so etwa seinerzeit Monsantos „Glyphosat-Studien“, so auch jene „Studien zur Wirbelschleppen-Problematik an Flughäfen“ der Fraport AG, so des weiteren Pfizers „Cholesterin-Studien“, u.v.a.m.), d.h. Wissenschaftler*innen werden weltweit eingekauft und dafür bezahlt, dass sie in ihren Arbeiten ein dem Konzern-Ergebnis förderliches Ergebnis dem Verbraucher präsentieren. In all diesen Fällen hat jedoch Wissenschaft aufgehört Wissenschaft zu sein; vielmehr ist sie zur Prostituierten des Shareholder-Values verkommen. Aber auch das ist Teil der Wissenschafts-Realität.

Doch retour. Es ist ferner nicht statthaft, das persönlich Geglaubte mit dem sachlich Bewiesenen bzw. sorgfältig Recherchierten gleichzusetzen. Denn es bleibt zwischen beidem der wesentliche Unterschied einer „Kategorie“, d.h.: etwas, das Etwas zu einem Anderen macht (vgl. u.a. den Terminus der „spezifischen Differenz“ in der aristotelischen Logik). Zudem ist es nicht statthaft, moralische Kategorien wie etwa „gut“ oder „böse“ in die Wissenschaften einzuführen — außer in jene der Theologie und Philosophie, die sich dezidiert in ihren Teildisziplinen der Moral und Ethik mit diesen Fragestellungen befassen. Das Covid-19 Virus ist weder gut noch böse; und eine Ampel ist entweder Rot, Gelb oder Grün. Und umgekehrt ist es ebenfalls nicht statthaft, wissenschaftliche Fakten moralisch dahingehend „aufzuwerten“, dass man etwa „blond und blauäugig“ zu einem Rassen-Mehrwert umfunktioniert, indem man Wissenschaft für weltanschauliche bzw. ideologische Indoktrination mißbraucht. Wie bereits im Bereich der Wirtschaft, so gilt auch im Bereich der Politik: Es ist nicht statthaft, Wissenschaft im Dienst einer persönlichen Überzeugung als Weltanschauung zu mißbrauchen, wie es schon einmal in den 1930er Jahren geschah und heute wieder im erstarkenden Wissenschaftsaberglauben der „Eugenik“ geschieht (vgl. Höcke, Kalbitz, Gauland, et al. und ihr neonazistischer Jargon der „Umvolkung“, der „Überfremdung“, „der beschädigten Nation“, dem „Völkermord am deutschen Volk“, etc.pp.; zu diesem Themenumfeld siehe u.a.: Rolf Bachem et al., in: BKA Forschungsreihe: Rechtsextreme Ideologien, Bd. 44, Wiesbaden, 1999). Grundsätzlich gilt: Wissenschaft sagt nicht, was wir tun oder lassen sollen (es sei denn, es handelt sich um die Bereiche von Moral und Ethik); Wissenschaft erklärt Sachzusammenhänge der Welt.

 

Schreiten wir den Horizont, diese sichtbare Linie aus „Erde“ und „Himmel“, aus geglaubter, unbedingter Wahrheit  sowie aus methodisch-erforschter, gewusster Wahrheit nochmals ab, und wagen eine graduelle Gewichtung der Wahrheits-Inhalte, so ließe sich folgende Einordnung vornehmen.

Im Bereich der persönlich geglaubten, steigerbaren Wahrheit als unbedingt  erlebte Wahrheit. Die Steigerung bewegt sich weg von der Realität der Corona-Pandemie:

  • Basis: unsachliche Aussagen. Etwa, dass alle Altersgruppen zu gleichen Anteilen durch das Virus betroffen sind. Dies ist falsch. Richtig ist, dass Ältere stärker gefährdet sind als Jüngere.
  • unrichtige Aussagen: Etwa, alle Älteren ab 69 Jahren sind gleichermaßen durch Covid-19 gefährdet. Dies ist falsch. Richtig ist, dass Ältere gemäß ihrer Vorerkrankungen unterschiedlichen Risikogruppen zuzuordnen sind.
  • unwahre Aussagen: Etwa, dass Covid-19 lediglich eine „leichte Grippe“ auslösen wird. Dies ist unwahr. Wahr im Sinne von „richtig“ ist, dass 15% der Infizierten mit erheblichen Krankheits-Symptomen rechnen müssen; für ca 3% aus diesen 15% wird der Krankheits-Verlauf tödlich enden.
  • falsche Aussagen: Etwa, dass Covid-19 von selbst wieder verschwinden wird. Dies ist sachlich falsch. Richtig ist, dass dieses neue Virus aus der Familie der Corona-Viren für unbestimmte Zeit zu unserer Lebens-Realität gehören wird, selbst dann, wenn ein wirksames Arzeneimittel und/oder Impfstoff erfunden sein wird (vgl. Virus-Taxonomie). Beide Erfindungen schützen den gesunden Körper; sie vernichten jedoch nicht das Virus.
  • frei erfundene, „persönliche Fakten“: Hierunter verstehe ich einen minimalen Realitätsgehalt mit der implizierten Zielsetzung der Manipulation, der Bestrafung, etc.pp. So etwa Trumps Behauptung, das Virus sei von China gezielt freigesetzt worden; Xi Pings Replik: Ausländer hätten das Virus nach China eingeschleppt. Oder: Trumps Drohung gegen China, dass er Beweise für die Herkunft des Virus habe. Oder Trumps Behauptung, die WHO habe ihn persönlich zu spät informiert; seine Strafe: die USA sind aus der WHO ausgetreten (06.07.2020). Oder, Anfang der Pandemie in den USA: Er, Trump, persönlich habe alles Nötige veranlasst, um die Bevölkerung zu schützen. Fakt ist, dass die USA mit über 3.000.000 getesteten Infizierten und über 130.000 Toten rund ein Viertel der weltweiten Fallzahlen stellen (Stand: 11.07.2020).
  • kolportierte Lügen: keinerlei Realitätsgehalt. Ziel der Lüge ist ausschließlich die Indoktrination der Bevölkerung. Es wird versucht, mittels Manipulation stets breitere Bevölkerungsschichten dahingehend aufzupeitschen und aufzuhetzen, dass sie die vom Lügenden gewünschte Verhaltensweisen zeigen. So etwa Trumps Aufruf, die „Capitole“ demokratisch regierter Counties zu stürmen, um die regierenden Bürgermeister*innen zu zwingen, den Lockdown — wider alle Vernunft — zu beenden (z.B. Lansing, Michigan); oder demokratisch regierte US-Staaten bzw. deren Gouverneure zur Lockerung des Lockdowns zu zwingen. Die rasant steigenden Fallzahlen in den republikanisch regierten US-Staaten Texas, Florida, Arizona, etc. sind inzwischen Legion. Aus Fake-News werden Fakten…— Das reale Geschehen entwickelt sich zur Zeit exponential mit über 67.000 Neuinfizierten an einem Tag. Gleichwohl behauptet Trump auch jetzt wieder, wie bereits seit Anfang März, die Pandemie bis auf wenige Hotspots unter Kontrolle und „gelöscht“ zu haben. Obschon seine Lügen-Tweets durch die Realität selbst immer wieder konterkariert werden, gibt er für seine Anhänger, und nur für diese, unbeirrbar den „Il Principe“ des Niccolò Machiavelli und hofft darauf, auch die kommende Präsidentschafts-Wahl mittels Lügen und Korruption gewinnen zu können.

Je nach Neigung und Geschmack wird sich jemand, der Wahrheit aus persönlicher Anschauung extrahiert, seine als unbedingt geglaubte Wahrheit aus diesen u.ä. Wahrheits-Formen zusammenstellen.

 

Wahrheits-Inhalte aus methodisch-erforschter, gewusster Wahrheit:

Würde ich an dieser Stelle eine sog. „Vollerhebung“ zum Covid-19-Thema versuchen wollen, so würde dieses Vorhaben bei weitem den Rahmen des Blogs sprengen. Denn neben den klassischen Printmedien, Wissenschafts-Magazinen, u.ä.m., müsste ich die Artikel der medizinischen Fachzeitschriften (Print- und Online-Version) sowie alle mir zugänglichen Internet-Artikel aus Forschung, Wissenschaft und Lehre rezipieren. Eine Herkules-Aufgabe. Ich fasse daher summarisch zusammen:

  • Fakt ist: Es gibt ein Covid-19 Virus.
  • Seine Morphologie im naturwissenschaftlichen Sinne, d.h. seine Größe, seine Oberflächenstruktur, sein gesamter äußerer und innerer Aufbau, seine RNA-Sequenzen, u.v.a.m. wurden in den letzten fünf Monaten weltweit erforscht. Diese Arbeit ist noch nicht abgeschlossen. Fragen der Pathogenese sowie der Ätiologie sind noch immer nicht abschließend geklärt, da ständig neue Befunde aus den Kliniken hinzukommen.
  • Anders als wir meinen, breitet sich die Pandemie weltweit weiterhin rasant aus. Die bestätigten Fallzahlen der USA, Brasiliens, Lateinamerikas überhaupt, sprechen eine unmissverständliche Warnung aus.
  • Die Risiko-Verteilung für die Schwere des Krankheits-Verlaufes lauten 85% (leichte bzw. leichtere Infekte), 15% (mittelschwere Infekte; evtl. mit Klinikaufenthalt) und innerhalb dieser Gruppe geschätzte 3% / 1% Letalität.
  • probate Schutzmaßnahmen sind: Abstand halten; Nase-Mund-Schutzmasken tragen; Ansammlungen meiden; Hände waschen u. desinfizieren; Räume gut durchlüften (Stichwort: Aerosole);

Aus der uns zur freien Verfügung stehenden Fülle der Fakten sind dies beliebig ausgewählte. Dieser methodisch erforschten Richtigkeit dürfen wir als gewusste Wahrheit vertrauen. Es obliegt jedem Einzelnen, für welchen Weg der Wahrheit er bzw. sie sich entscheiden mag. Was der Mensch ist, das entscheidet er — nicht nur in Pandemie-Zeiten — als „Herakles am Scheideweg“: lieber Glaubender nach eigenem Gutdünken; lieber Wissender und Weiser anhand begründeten Wissens…—?

 

In Teil V, III sollen die Konsequenzen einer als unbedingt geglaubten Wahrheit eingehender betrachtet werden.

 

 

Quellen und Verweise

Corona-Dashboard

https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6

 

News-Ticker, t-online, 01.05.2020,

Trumps Drohung gegen China

https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/usa/id_87801990/corona-ursprung-aus-labor-in-wuhan-donald-trump-will-hinweise-haben.html

 

Frankfurter Rundschau-Ticker, 11.07.2020

https://www.fr.de/politik/usa-corona-krise-virus-covid-19-donald-trump-texas-florida-arizona-hotspot-immunitaet-republikaner-90008627.html

 

Liste der amtierenden amerikanischen Gouverneure

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_amtierenden_Gouverneure_der_Vereinigten_Staaten

 

Föderale Gliederung der USA

https://www.wikiwand.com/de/Vereinigte_Staaten#/F%C3%B6derale_Gliederungen