Eine Abtrünnige im Kloster, Fortsetzung


Aber sie wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, Maria dafür zu danken. Maria, der ewigen Jungfrau, der allzeit Keuschen. Feministisch eingestellt, wie Adeline war, widerstrebten ihr solche Gedanken. Zugleich verspürte sie ein schlechtes Gewissen angesichts der in ihr aufsteigenden Erinnerungen an die religiösen Autoritäten.

An der Seitenwand der Kapelle entlang, an weiteren Votivafeln vorbei, schlich sie sich aus der Kapelle und atmete auf. In diesem Moment raschelte etwas hinter ihr. Sie fuhr herum und erblickte einen weißhaarigen Mönch, der eine helle Tunika trug. Über die Schultern fiel ein, dunkles Tuch das zu seinen Füßen hin breiter wurde. Adeline, die jetzt nichts so sehr suchte wie Klärung und Befreiung, fragte den Zisterziensermönch stotternd, ob sie die Beichte ablegen könne.

„Ich war früher katholisch, aber ich bin aus der Kirche ausgetreten“, stammelte sie, tief errötend. Der alte Mönch stellte sich als Pater Andreas vor und sagte:

„Alle Menschen, die es ernst meinen und innere Einkehr suchen, sind hier willkommen. Ich höre Ihnen gern zu, wenn Sie etwas auf dem Herzen haben.“

Er führte Adeline in die Kapelle zurück, in der sie den dunklen Beichtstuhl in der Nähe des Ausgangs übersehen hatte. Pater Andreas bedeutete ihr, hinter dem Vorhang Platz zu nehmen, es war dort sehr eng. Der Pater setzte sich auf der anderen Seite nieder. Nun waren sie durch eine Holzwand getrennt. Durch die Gitteröffnung darin konnte Adeline den Pater zwar kaum sehen, aber gut hören.

„Ich habe keinen Glauben mehr“, stieß sie hervor.

„Vielleicht kehrt Ihr Glaube zurück, wenn Sie ein anderes Lebensproblem gelöst haben“, entgegnete der Mönch.

„Ich empfinde keine Liebe mehr für meinen Mann.“

„Wie äußert sich dieses Gefühl?“

„Ich … ich mag keinen Sex mehr mit ihm haben.“

Durfte sie so etwas Sündhaftes überhaupt äußern? Vor einem Mönch, der wahrscheinlich nie in seinem Leben …?

„Ich empfinde gar nichts mehr“, schluchzte Adeline.

„Viele Paare erleben Höhen und Tiefen miteinander“, meinte Pater Andreas. „Die Liebe kennt viele Ausdrucksformen, manchmal ist sie ein stürmischer Fluss und manchmal ein schmales Rinnsal.“

„Und wenn es nun wirklich vorbeigeht?“

Wieder folgte ein Tränenstrom.

„Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, allein zu sein“, brach es heftig aus Adeline heraus.

„Es liegt an Ihrer Reife, was Sie können“, entgegnete Pater Andreas sehr ruhig. „Ich gebe Ihnen meinen Segen, und mit Gottes Hilfe möge er Ihr Herz aufschließen und Ihre Liebe kann wieder frei strömen – wohin, das entscheidet es selbst.“

„Was ist mit Gott? Was ist mit meinem Glauben?“, fragte Adeline kleinlaut.

„Die Tür zu Gott steht immer offen. Welche Gestalt Sie ihm geben, das entscheiden Sie.“ Pater Andreas sprach Segensworte für Adeline, dann entließ er sie. Zum Abschied sagte er: „Es freut mich, dass Sie hierher gefunden haben.“

 

Als der Pater gegangen war, blieb Adeline noch in der Kapelle, die nun nicht mehr so moralisch fordernd auf sie wirkte. Adeline spürte vielmehr, dass sie nicht an alles glauben musste, was sie hier sah und las, wenn sie nur genug Liebe und Achtsamkeit in sich trug. Als sie das fühlte, konnte sie die Erhabenheit des Ortes annehmen und genießen. Adeline fühlte sich gestärkt. Als sie schließlich aufstand und die Kapelle verließ, war es Mittag. „Wohin ich jetzt auch gehe“, dachte sie. „irgendetwas wird geschehen. Was auch immer. Und es wird nicht zum Schlechtesten sein.“

 

Geschrieben im Kloster Himmerod, 10. Mai 2018