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MAINZER ERZÄHLUNGEN

Thomas Berger

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Die Erzählung Skizze eines Schachspielers
von Johannes Chwalek

Der Mainzer Autor Johannes Chwalek lässt die Sammlung seiner Erzählungen (1) in ein Kleinod münden, das den Vergleich mit Franz Kafka nicht zu scheuen braucht − auch in der Skizze eines Schachspielers begegnen uns ein präziser, von Schlacken freier Stil, das sprachliche Durchspielen mehrerer Möglichkeiten, die desillusionierende Aussichtslosigkeit.

Der namenlose Protagonist schickt sich „nach den Lehrjahren“ an, Schach zu spielen. Doch er muss feststellen, „dass ein Feld auf dem Brett eingedrückt“ ist. Diese Mitteilung würde normalerweise genügen. Der Autor lässt es dabei aber nicht bewenden, er ist geleitet vom Willen zur Detailgenauigkeit. Deshalb fährt er fort und spricht von einem klaffenden „Riss“. Dessen Folge? „Unmöglich hätte eine Figur Halt gefunden auf diesem Feld.“ Noch genauer: „Sie wäre in Richtung Riss gefallen, und eine kleinere wäre vielleicht sogar von diesem Riss verschluckt worden.“ Beobachter des Dilemmas, gäbe es sie denn, würden „lachen“ und als „einzige vernünftige Reaktion“ mit dem Kopf schütteln, sagt der Text.

Nun folgen in kafkaesker Weise eine Reihe von Erwägungen, die der Protagonist anstellt, um trotz des Schadens das Spiel durchführen zu können. Der Rezensent überlässt es den Lesern der Geschichte, genussvoll die angeführten möglichen Maßnahmen durchzuspielen. Dass sie allesamt nicht von Erfolg gekrönt sein würden, wurde bereits angedeutet.

Es kommt aber noch überraschender, verwirrender: Der Spielwillige muss zugeben, dass er nicht einmal genau weiß, welches das beschädigte Feld ist. „Irgendwo in den ersten Reihen“ vermutet er es.

Indessen kündigt sich in all dem Dunkel ein Licht an: Der Protagonist ist „sich ziemlich sicher […] den Grund für den Riss“ zu kennen – dieser müsse „in den unglücklichen Lehrjahren“ liegen. Über das Unglück selber erfahren wir nichts. Würden wir darüber in Kenntnis gesetzt, würde das freilich an der misslichen Lage des am Schachspiel Verhinderten nichts ändern: Das Feld ist und bleibt eingedrückt, die Figuren können dort nicht stehen. (2)

Es ist eine große Leistung des Erzählers Johannes Chwalek, für die kunstvolle Geschichte nicht mehr als eine Buchseite zu benötigen. Das illusionslose Ende lässt uns indes nicht ohne Wink zurück, es nimmt die Leser ernst, indem kurz und bündig auf den wahrscheinlichen Zusammenhang von betrüblichen Lehrjahren und Feldschaden hingewiesen wird. Die Erzählung Skizze eines Schachspielers ist somit ein vorzügliches Beispiel dafür, dass gute Literatur auf ein Miteinander von Text und Rezipient zielt. Nun sind also wir an der Reihe, uns darüber Gedanken zu machen, welche Auswirkungen bedrückende Lebensverhältnisse zeitigen können. Diese Last nimmt uns erfreulicherweise Johannes Chwalek nicht ab.

 

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(1)   Johannes Chwalek, Skizzen eines Schachspielers. Erzählungen, Scholastika
        Verlag, Stuttgart 2021
(2)   alle Zitate: a.a.O., S. 177