GABEN DES SOMMERS


 

GABEN DES SOMMERS – eine Erinnerung an Matthias Claudius

Jeder ist seines Glückes Schmied, lautet eine bekannte sprichwörtliche Redensart. Das Vertrauen des Menschen auf sich selbst, auf seine Fähigkeiten und Leistungen, ist kein neuzeitliches Phänomen. Das zitierte Sprichwort geht auf ein Gedicht aus vorchristlicher Zeit zurück, das dem römischen Konsul Appius Claudius Caecus zugeschrieben wird.

In unserem Evangelischen Gesangbuch findet sich ein Lied, das auch auf die Zeit des Sommers und seine Gaben blickt und gerne zum Erntedankfest gesungen wird (EG 508). Die Textbasis bildet ein Gedicht des Lyrikers Matthias Claudius (1740−1815). Der Pastorensohn hatte mit seiner Ehefrau, Anna Rebekka Behn, zwölf Kinder. Claudius übte verschiedene Tätigkeiten aus, aber die Literatur blieb stets der Schwerpunkt seines Wirkens. Bekannt wurde er durch seine Arbeit als Redakteur der Tageszeitung Der Wandsbecker Bote. Als die Zeitung aus finanziellen Gründen ihr Erscheinen einstellen musste, übernahm er ihren Namen für sein Werk und seine Person. Er veröffentlichte die mehrbändige Textsammlung Sämtliche Werke des Wandsbecker Botenund betrachtete sich selbst als diesen Boten.

„Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand“, lesen wir im Gesangbuch. Der Dichter Matthias Claudius erweist sich damit nicht nur als Bote einer Ortschaft vor den Toren Hamburgs, sondern als Verkünder des christlichen Glaubens. „Korn und Obst“ gehen zwar „durch unsre Hände“, doch „von Gott kommt alles her“, heißt es in dem Lied.

Für gläubige Menschen stellt das vorchristliche Sprichwort bestenfalls die Hälfte der Wahrheit dar. Verdient indessen die halbe Wahrheit überhaupt, Wahrheit genannt zu werden? Zweifellos tragen wir Verantwortung für uns und für andere, müssen uns mühen und dürfen stolz auf Geleistetes sein. Aber das, was wir zu tun vermögen, ist nur möglich durch andere. Wir verdanken unser Leistungsvermögen, nüchtern gesagt, den Anlagen in uns, die wir nicht selbst geschaffen haben, sondern von den Vorfahren herrühren. Biblisch gesprochen empfangen wir es als Gnadengeschenk (Römerbrief 12,6). Oder mit den Worten des von Matthias Claudius inspirierten Kirchenliedes: „ Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn.“