NACHTSTILLE ROSSE


NACHTSTILLE ROSSE

Auszüge aus dem Beitrag in der Anthologie „Alles hat seine Zeit“, hrsg. v.
Hans-Alfred Herchen, Frankfurt am Main

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Die Dichter des Altertums sahen, wenn der lichte Tag sich neigte, ein schwarzes Gespann am Sternenzelt herannahen: Nyx übernahm das Zepter.

Im Phantasiegebilde des nächtlichen Rossegefährtes deuten sich das dynamische Walten und die schöpferische Potenz der Finsternis an. Nicht karger Raum, sondern fruchtbarer Schoß ist die Nacht.

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Die Völker der Antike ließen den Tag aus der Nacht entstehen. Nyx war eine kosmogonische Kraft, die gemeinsam mit Erebos, dem Dunkel der Tiefe, das Tageslicht zeugte.

Im Erdkreis wechseln seit alters harmonisch Taghelle und Nachtbläue. Das Schauspiel der Natur zu betrachten und nach Art der Wissenschaft zu zergliedern genügte den Alten nicht; sie gelangten zu seiner Deutung.

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Erblickt ein Fetus das Licht der Welt, verlässt er den dunklen Mutterschoß. Unauslöschlich trägt er das Zeichen seiner Herkunft auf der Stirn – ein Mal, das ihm Richtung und Rückweg zu weisen vermag. Ruhen wird er dereinst in den Tiefen der Erde.

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