Plan zu einem Aufsatz:
„Probleme des deutschen Westens“
Eine Tagung des Verbandes deutscher Geschichtslehrer in Heppenheim an der Bergstraße im Oktober 1928
Vorbemerkung
Der vorliegende Aufsatz beschreibt die „Rheinische Herbsttagung“ des „Verbandes Deutscher Geschichtslehrer“ im Oktober 1928. Sie fand statt in Heppenheim an der Bergstraße im Hotel „Halber Mond“[1]. Im ersten Teil werden die Planung, Durchführung und Nachbereitung der dreitägigen Veranstaltung sowie Pressereaktionen dargelegt, im zweiten Teil sollen die Reden zweier Historiker und eines Staatsrechtlers in Grundzügen skizziert werden. Walter Platzhoff (1881–1969) gab seinem Vortrag den Titel „Frankreich und der Rhein“, Harold Steinacker (1875–1965) sprach zum Thema „Rhein, Donau und Weichsel als deutsche Schicksalsströme“ und Carl Schmitt (1888–1985) referierte über „Völkerrechtliche Probleme im Rheingebiet“. Insgesamt enthielt die Rednerliste zwölf Beiträge; an jedem Tag vier.[2] Die Auswahl der Reden Platzhoffs, Steinackers und Schmitts entspringt der Überlegung, dass ihre Reden allgemeineren Charakter haben, als die ihrer Kollegen, die sich eher zu Einzelfragen verbreiteten. Einer der Redner, Friedrich Metz[3], fungierte als Planer und Organisator der Tagung und später als Herausgeber des größten Teils der Redebeiträge in der von Paul Rühlmann[4] herausgegeben Schriftenfolge „Rheinische Schicksalsfragen“ unter dem Titel „Probleme des deutschen Westens. Eine Aufsatzfolge im Auftrage des Verbandes Deutscher Geschichtslehrer“[5]. Im „Vorwort des Herausgebers“ schlug Rühlmann einen Grundton an, der bestimmend war für nicht wenige der abgedruckten Beiträge: Er schrieb von einer „Problematik […] des deutschen Westens“, die „heiß umstritten“ sei, „heute, wie vor 1000 Jahren“ und „noch auf Generationen die Weltöffentlichkeit in Atem halten“ werde. Diese „das persönliche Geschick von Millionen deutscher Volksgenossen aufs tiefste bestimmende Fragen“ sollten „die vorliegenden und kommenden Bände“ mithelfen zu klären, „vor allem durch Bereitstellen der wissenschaftlichen Grundlagen.“ Die Situation des deutschen Westens bezeichnete Rühlmann als „Schicksalhaftigkeit für ganz Europa“ und warb „um Leser nicht nur in Deutschland, innerhalb und außerhalb der Reichsgrenzen, sondern um Gerechtdenkende in Europa und der Welt.“ Als Datumsangabe dieser Notiz ist zu lesen: „Im 10. Besatzungsjahre 1928.“ – Ohne hier schon genauer auf die Implikationen derartiger Formulierungen einzugehen, kann festgestellt werden, dass allenthalben ein Ressentiment deutlich wird, welche die Lage des deutschen Westens als „klärungsbedürftig“ sieht und die Lösungsmöglichkeit dafür in unbestimmter Weise unter Beteiligung „Europas und der Welt“ anvisiert. Nur zum Teil kann das Ressentiment mit der Besatzung des Rheinlandes durch alliierte Truppen nach dem Versailler Vertrag in Zusammenhang gebracht werden, ging Rühlmann doch davon aus, dass die „Problematik“ des deutschen Westens schon seit „1000 Jahren“ bestehe – eine Formulierung, die einerseits auf kaum oder nur schwer verrückbare Ursachen der „Problematik“ anspielt, andererseits auf die Notwendigkeit, eine überfällige Klärung zu erlangen.
Die Redner der Heppenheimer Tagung wurden geboren zur Zeit des deutschen Kaiserreichs, sie promovierten und habilitierten sich noch vor dem Ersten Weltkrieg, erlebten den Hauptteil ihres akademischen Wirkens in der Weimarer Republik und NS-Zeit und versuchten in der Nachkriegszeit und jungen Bundesrepublik Deutschland ihre Lehr- und/oder Forschungstätigkeit fortzuführen oder wieder aufzunehmen.[6] Die inhaltlichen Positionen, die sie im Oktober 1928 in Heppenheim vortrugen, werfen ein Licht auf bestimmende Strömungen historischen und staatsrechtlichen Denkens in Deutschland und Österreich in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und noch darüber hinaus.
Johannes Chwalek
[1] Nach telefonischer Auskunft vom 1. November 2023 besitzt die Hotelleitung keine Archivunterlagen über das Geschichtslehrertreffen. Im Stadtarchiv Heppenheim ist die vergleichsweise umfangreiche Berichterstattung über die Tagung überliefert. Ausführlich dokumentieren zwei Akten des Bundesarchivs Berlin das Ereignis in Heppenheim mit Unterlagen zur Vor- und Nachbereitung sowie mit Presseberichten (Bestandssignatur R 1603, Archivnummer 2420 und 2422). Im Antiquariat und in wissenschaftlichen Bibliotheken findet sich die Sammlung eines Großteils der in Heppenheim gehaltenen Vorträge in dem Band „Rheinische Schicksalsfragen. Eine Schriftenfolge, herausgegeben von Paul Rühlmann, Schrift 27/28, Probleme des deutschen Westens. Eine Aufsatzfolge im Auftrage des Verbandes Deutscher Geschichtslehrer, herausgegeben von Professor Dr. Friedrich Metz. Berlin 1929.
[2] Neben den offiziellen zwölf Vorträgen fanden noch zwei weitere statt: „Die Besatzungsnot Hessens“ von Legationsrat Dr. Heinemann sowie ein Lichtbildvortrag von Friedrich Behn (1883–1970) über seine „Ausgrabungen in Lorsch“.
[3] Friedrich Metz (1890–1969), Geograph und Landeskundler, wurde wegen seiner NS-Vergangenheit als Professor von der Universität Freiburg entlassen. 1954 erhielt er an der Universität Heidelberg wieder einen Lehrstuhl für Geographie. Die Leitung des Alemannischen Instituts, die er ab 1938 innegehabt hatte, übernahm er bereits 1951 wieder. Ebenfalls 1951 übernahm er auch wieder den Vorsitz der neu gegründeten Freiburger Geographischen Gesellschaft, den er von 1936 bis 1945 bereits innegehabt hatte. Seine Emeritierung erfolgte 1958.
[4] Paul Rühlmann (1875–1933), Historiker, Ministerialbeamter und Schulbuchautor, war der Initiator des Treffens des Verbandes deutscher Geschichtslehrer in Heppenheim.
[5] Im Verlag von Reimar Hobbing in Berlin SW 61, 1929.
[6] Von den zwölf Rednern, die das Tagungsplakat anführt (Otto Schlüter, 1872-1959; Walter Platzhoff, 1894-1969; Hektor Ammann ,1894-1967; Eugen Lüthgen, 1882-1946; Friedrich Metz, 1890-1969; Jean Frey, 1861-1951; Bruno Kuske, 1876-1964; Carl Schmitt, 1888-1985; Fritz Kloevekorn, 1885-1964; Hans Berger (?); Nikolaus Welter, 1871-1951 und Harold Steinacker, 1875-1965 waren sieben deutschnationaler und völkischer Gesinnung, weswegen sie die Weimarer Republik mehr oder weniger offen ablehnten; später verstrickten sie sich in den Nationalsozialismus, was bei einigen die berufliche Tätigkeit in der Nachkriegszeit und jungen Bundesrepublik zunächst unterbrach; dies war bei Walter Platzhoff, Hektor Ammann, Friedrich Metz und Carl Schmitt der Fall.