Psalm Meier


Psalm Meier

02.01.2020

 

Gerade lese ich im Kalender „Andere Zeiten“ (Initiativen zum Kirchenjahr , Verlag: Andere Zeiten e.V., Hamburg), unter „Wege im Neuen Jahr“, den „Psalm Meier“ von Ralf Rothmann.

Da wurde mir klar: Für jeden Menschen auf dieser Welt gibt es einen Text, der einzig zu ihm spricht. Ein Text, zwar für alle geschrieben, jedoch für diesen einen Einzigen gemacht, geradezu bestimmt. Denn seine Worte fallen tief. Tief bis in den Seelen-Grund. Und dort, in der Seele Grund, werfen diese Worte ferne Echos hin und her. Hebt eine Kor-Respondenz, eine existentielle Frage-Antwort-Beziehung an, wird gleichsam zum Dia-Log, zur Zwie- und Zwei-Sprache, von „Ich“ und „Selbst“ auf der menschlichen Seite. Und „Ich-selbst“ und „Gott“ auf der anderen Seite der Wirklichkeit. Aus Worten spinnen sich „rote Fäden“ der Existenz und aus diesen eine authentische Textur eines individuellen Lebens. Solange, bis aus hunderten von „Kettfäden“ und tausenden von „Schussfäden“ die Textur, der „Text“ eines Lebens, das das je meinige ist, geworden ist. Ein Lebens-langes „Weben“ und „Werden“, das immer deutlicher auf die mystische Gottes-Frage: „Wo bist Du?“, diese verborgen-geborgene Frage des „Wo-her?“, des „Wer bin ich?“, des „Wo-hin?“, ein eindeutiges, unbezweifelbares „Hier“ zu geben vermag. Meine oberflächliche „Persona“, diese „Maske“ meiner Existenz, ist als „Lebens-Text“ ein Sammelsurium aus horizontal Realem und vertikal Wirklichem. In der Gottes-Frage an des Menschen Seelen-Grund kor-respondieren jedoch transpersonale Wirklichkeit mit transzendierender Wirklichkeit unseres Mensch-Seins. Auf die Frage des Psalmisten: „Wo bist Du?“ (Amschel Mayer…?, Karl Meier…?, Franz Kafka…? [vgl. „Vor dem Gesetz“, ders.], und unabhängig von Kultur, Religion und Kontinent: jeder  an-gefragte Name von vergangenen und gegenwärtigen Menschen, weltweit…), lautet die existentiell-spirituelle Antwort, die erst eigentliches Leben zu eröffnen vermag: „Hier. Hier bin ich.“ In seiner Antwort eröffnet der „horizontale Mensch“ — dieser funktionale Macher von „Maß“ und „Zahl“ — in einer transzendierenden Bewegung den „vertikalen Raum“ einer transpersonalen Wirklichkeit. Es ist eine unaufhebbare, ineinander verschränkte, wechsel-seitige Umkehr-Bewegung: Gott fragt in die Welt hin-ein — und erhält als fernes Echo die Antwort des Menschen. Der Mensch wiederum fragt über die Welt hin-aus, fragt über die bloße Materie als seinen „angestammten Bezirk“ hin-aus, wendet sein „horizontales“ Erleben in „vertikale“ Wirklichkeit — und erhält ein fernes Echo einer transpersonalen Wirklichkeit, als jene Antwort, die einzig für seinen Seelen-Grund bestimmt ist. Wer von uns Heutigen vermag noch, den alten Prophetinnen und Propheten des Jahwe-Bundes gleich, diesem  Dia-Log, diesem wesentlichen „Gespräch“ zu lauschen…—?