Vom Kleinsten im Großen – Teil IV


Vom Kleinsten im Großen —

Betrachtungen zur menschlichen Genealogie, Teil IV

27.03. bis 12.04.2023

 

Herkommend von einer Betrachtung eines Baumes vor meinem Küchenfenster und den damit korrespondierenden Gedanken zum (menschlichen) Genom, der Welterklärung früherer Jahrhunderte mittels Mythen und Geschichten im Unterschied zum methodisch-analytischen Denken und Wissen heutiger Zeiten, sind wir im letzten Beitrag bei der wechselseitigen Wirkung von Technik / Mechanik und voranschreitendem, sich ausdifferenzierendem Wissen im Bereich der Wissenschaften, angekommen. Gelegentlich wurde bereits auf Gefahren des reinnaturwissenschaftlichen Forschens am menschlichen Genom hingewiesen. Nachfolgend sollen diese Gefahren etwas näher ausgeführt werden. Kann man molekularbiologisch des Menschen Mensch-Sein, seine „Existenz“ (Terminus Karl Jaspers), überhaupt erfassen, begreifen, definieren, oder muss man hierfür eine andere als die rein naturwissenschaftliche Herangehensweise und Methodik wählen? Diese Frage soll nachfolgend erörtert werden.

 

Bemerkungen zur verwendeten Schreibweise vorab:

Ich unterscheide in der Begrifflichkeit zwischen körperlicher, materieller, morphologischer „Sache“ als Realität und innerem Erleben (des Menschen), seinem Denken, seinem vorstellenden Wahrnehmen, etc.pp. als Wirklichkeit. Realität ist außerhalb (des Menschen) und beeinflusst ihn von-außen-her; „Welt“ und „Dasein“ als das übermächtig uns bestimmende Andere (Karl Jaspers). Wirklichkeit hiergegen entfaltet eine Wirkung (im Menschen) und steuert ihn von-innen-heraus. So ist der Mensch in seinem Dasein ein Wesen zweier „Welten“: einer Außen-Welt, die ihren Einfluss unentrinnbar geltend macht — wir können unserem „Da“-im-„Sein“ nicht ausweichen, wir können es uns lediglich verdunkeln — und wir müssen uns im Raume unserer inneren Wirklichkeit ununterbrochen entscheiden, indem wir auf äußere Eiflüsse und/oder innere Situationen „antworten“. Außen-Welt und Innen-Welt fordern „Antworten“ und damit „Eigen-Verantwortung“ von uns, d.h. wir können unsere Antwort auf unser eigenes Leben (response-ability) nicht an einen „Staat“, einen „Gott“, eine „Macht“, an ein geglaubtes „Schicksal“, an eine ersehnte Weltanschauung oder Ideologie, etc.pp., delegieren. Unser Leben — unsere Eigen-Verantwortung.

Die hier verwendeten Begriffe in „…“ tragen in-sich vielerlei Aspekte und Bedeutungen. Mit den Anführungs-Zeichen kennzeichne ich einen Sinn. Dieser kann abweichend vom herkömmlichen Sprach-Gebrauch liegen, eine Kon-Notation beinhalten. Worum es im jeweiligen Fall gehen mag, was mit dem im Sagen Un-Gesagten gemeint sein könnte, dies herauszufinden, ist die Aufgabe der Leserin, des Lesers. Generell kennzeichnen Anführungs-Zeichen verwendete Termini oder Zitate.

 

Hinsichtlich der Gen-Wissenschaft heißt es, dass inzwischen das Genom von über 50.000 verschiedenen Organismen analysiert, sequenziert und teilweise auch entschlüsselt werden konnte. Jedoch, als das Genom des Menschen sequenziert worden war, d.h. die Sequenz seiner fünf Nuklein-Basen ermittelt werden konnte, hatte man lediglich die genetische Sachebene des Menschen geklärt und erklärt, nicht jedoch das umfassende Mensch-Sein des Menschen, seine „Existenz“ (Terminus Karl Jaspers). Zwar wusste man nun, in welcher Abfolge / Reihenfolge sich die fünf Basen (Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin bzw. Uracil) auf der menschlichen DNA bzw. RNA verteilen, aber welche Funktion sie im Einzelnen haben, was sie konkret bewirken, welche Prozesse sie „anschieben“ bzw. „steuern“, all das wusste und weiß man noch immer nicht. Scheinbar einfache Prozesse erweisen sich bei ihrer (molekularbiologischen) Erforschung als extrem komplex. So etwa, wie Nuklein-Basen bestimmte Gene des Menschen „an- / ausschalten“; und welche Gene ihrerseits welche komplexeren Prozesse im menschlichen Organismus steuern — etwa sein Denken, sein Altern, seinen Tod? Offene Forschungs-Fragen im Spektrum der Humanwissenschaften. Man hatte im stofflichen Bereich des Menschseins, in seiner DNA, in seiner „Doppelhelix“, dessen hochkomplexe Struktur sowie das Zusammenspiel seiner kleinsten DNA-Teilchen auf methodischem Wege erkannt und wissenschaftlich exakt beschrieben, also all das, was am Menschsein nach „Maß und Zahl“ meßbar und erfassbar ist. Man hatte den Menschen auf seiner morphologischen Ebene „vermessen“ und „kartiert“, gerade so, wie man in früheren Jahrhunderten mittels mathematisch-naturwissenschaftlicher Methoden die Oberfläche der Erde vermessen hatte (vgl. Picard, Cassini, Gauß, Bessel, et al.). Aber bereits Karl Jaspers (1883-1969) erkannte, dass mit rein naturwissenschaftlichen Methoden die Wirklichkeit u.a. des Menschen, seine „Existenz“, weder erforscht, noch begriffen, noch erklärt werden kann. Denn „der Mensch ist mehr, als er von sich weiß, und von sich wissen kann“, so Karl Jaspers. Um das Mensch-Sein des Menschen zu erfassen, zu beschreiben, auf philosophische Art und Weise gleichsam wie eine „Landschaft der Persönlichkeit“ zu „kartographieren“, bedarf es einer anderen Herangehens-Weise, einer anderen Methodik und Terminologie. Jaspers nannte diesen philosophischen Bereich seines Denkens „Existenzerhellung“, die Methode war ein geisteswissenschaftliches, phänomenologisches Dechiffrieren all dessen, was der Mensch im Raum seines Seins als sein je eigenes, unverwechselbares, mögliches Leben zu verwirklichen vermag. Dieses menschliche Sein als persönliche, individuelle Entwicklung nannte er „Existenz“; die von ihm gegründete Philosophierichtung „Periechontologie“; deren Inhalte „Die Weisen des Umgreifenden“. Die von Jaspers verwendete Nomenklatur umfasste — anders als die naturwissenschaftliche Terminologie — Begriffe wie etwa „Chiffer“, „Chiffre“ (z.B. im Titel „Chiffren der Transzendenz“), „Dechiffrieren“, „Transzendenz“, „offener Horizont“, etc.pp. . Anhand seiner erarbeiteten Methode konnte der Existenzphilosoph Karl Jaspers noch das Ganze des Mensch-Seins denkend „erhellen“, einzelne Aspekte davon begrifflich „vergegenwärtigen“ (Termini Jaspers). Er konnte Bezüge von Beziehungen unterscheiden, konnte beides sichtbar, erklärbar und allgemein verstehbar machen. So etwa die Beziehungen zwischen „Vernunft und Existenz“ (Titel Jaspers), oder zwischen „Transzendenz“ und „Existenz“. Auf diese Weise öffnete er einerseits die „Immanenz“ von „Dasein“, „Welt“ und „Mensch“ in Richtung auf „Transzendenz“; und verwies andererseits auf die Bezüge zwischen „Stoff“, „Materie“, „Dasein“, denen die Beziehungen zwischen „Geist“, „Bewusstsein überhaupt“, „Existenz“, „Vernunft“ und „Transzendenz“, kurz: die geistig-ideelle Wirklichkeit des Menschen, gegenüberstanden. (Bezüge gibt es zwischen „Sachen“, „Stoffen“, „Materie“/“Materialien“, etc.; Beziehungen verbinden Wirklichkeiten => „Vernunft als Band der Weisen des Umgreifenden“, Jaspers.) Die systematische Ausarbeitung dieses vielschichtigen, hochkomplexen Denkens ist in seinem Hauptwerk „Von der Wahrheit“, 1948 erschienen, ausgeführt.

Genau hieran — an der exakten, methodologisch, terminologisch eindeutigen Unterscheidung von materiellen Bezügen und wirklichkeitsgestaltenden Beziehungen — scheitert bis heute die rein naturwissenschaftliche Methodik, etwa wenn sie glaubt, in den molekularen Ebenen der Gehirn-Neuronen, der Ganglien und Dentriten, den menschlichen Geist oder gar die menschliche Seele nachweisen und beweisen zu können. Das Ganze möglichen Mensch-Seins, das Jaspers noch erkannte und als „Existenz“ beschrieb, ist von den rein naturwissenschaftlich orientierten Partikularwissenschaften in konfettihafte, untereinander beziehungslose Bruchstücke zersplittert worden. Und die Gefahr, die der Philosoph bereits 1948 in der rein naturwissenschaftlichen Erforschung des Menschen erblickte, scheint heute Realität geworden zu sein: Je weiter der forschende Mensch den zu erforschenden Menschen „versachlicht“, also nur noch „rein sachlich“ als „Sache“, als „Gegenstand“, als „Objekt“ einer naturwissenschaftlichen Frage-Stellung und Forschungs-Richtung betrachtet, je detaillierter er das menschliche Dasein, das Etwas-Sein, das Seiende, analysiert, sequenziert, „seziert“, vermisst und bemaßt, desto ferner entschwindet ihm das menschliche Seinund damit ineins das menschliche Wesen. Versuchen nun die technikbasierten Naturwissenschaften in Verkennen ihrer Fähigkeiten und Grenzen, ideelle Wirklichkeiten Maß-gebend zu deuten, zu berechnen, zu definieren, so werden diese Wirklichkeiten (Bewusstsein, Ich, Geist, Seele, „Existenz“, etc.), als ob sie nicht wären. Denn sie zerstieben bereits unter diesem Zugriff gleichsam zu Nichts. Vielleicht liegt die entscheidende Antwort der molekularbiologischen Hirnforschung hinsichtlich des zu klärenden „Geist“-„Bewusstsein“-Problems auf einer ähnlichen Ebene, wie seinerzeit bei Bohr-Heisenbergs „Quantenphysik/-mechanik“ der „Welle-Teilchen-Dualismus“: der forschende Betrachter ent-scheidet mit seinem eingenommenen Standpunkt während der Beobachtung sowie mit der verwendeten Messapparatur, dem verwendeten Instrumentarium, über die Metá-Morphose, über den Übergang, vom „Teilchen“ / „Korpuskel“ zur „Welle“ (vgl. „Kopenhagener Interpretation“, 1927), d.h. vom „atomaren Teilchen“ zur „Energie“. Angewandt auf die Hirnforschung würde dies bedeuten: der forschende Betrachter entscheidet letztlich ungewollt auch darüber, ab welchem Prozess-Schritt der Übergang von der Stofflichkeit der Nuklein-Basen und Molekül-Ketten zur menschlichen Wirklichkeit / Geistigkeit stattfindet. Vielleicht ist es aber auch ein qualitativer„Sprung“, wie ihn Jaspers zwischen „Dasein“ und „Existenz“ annahm.

 

Wie auch immer diese eine Frage in Zukunft als Wissen beantwortet werden wird, so gilt dessen ungeachtet: Der Grat, worauf sich heutige Nanowissenschaften bzw. molekularbiologische Wissenschaften in der Humanforschung bewegen sowie die Gefahr, worin sie stehen, ist, dass sie als Wissenschaft und Forschung, die auf diesem Weg voran-schreiten, ihre ethischen Grundlagen preisgeben und alsbald den Menschen selbst nur noch als „bloße Sache“ betrachten. Eine Sache jedoch ist einerseits beliebig austauschbar (Auto, Haus, Kühlschrank, SmartPhone, etc.pp.), und andererseits kann man über sie nach Belieben und Gutdünken verfügen. Ein Mensch jedoch ist nicht nur auf seiner genetischen Ebene einmalig, einzig, individuell — also gerade nicht austauschbar —, sondern auch auf seiner Wesens-Ebene, der „Existenz“, die er zu verantworten hat, die er frei als „sein Leben“ ausgestalten kann, und die sich „von Transzendenz geschenkt weiß“ (Jaspers). Anstatt nun „die Würde des Menschen“ bzw. dessen „Mensch-Sein“ in ihren/ihrem Arbeiten im Blick zu behalten, spricht man in den naturwissenschaftlich basierten Genwissenschaften ganz selbst-verständlich von der Pflanze, dem Tier, dem Menschen als (Gen-)Material oder als „Genpool„, etc.pp. (vgl. „CRISPR“-Forschung und verwandte Wissenschaften). Anders gesagt: die verwendete Terminologie ist im Selbst-Verständnis der Forschenden wie auch im allgemeinen Sprachgebrauch eine Sach-Terminologie geworden und geblieben. Zwar veränderten sich die Forschungen, aber die verwendete Sprache, die Begriffe und damit ineins das eigene Bereichs-Denken, veränderten sich nicht. Ein akademischer homo faber im Bereich der Gentechniken sowie der Genwissenschaften. Ein „moderner Zauberlehrling“, der nicht nur Pflanzen, Bakterien, Viren und Tiere gentechnisch zu manipulieren vermag, sondern auch, missbräuchlich, das menschliche Genom. Nicht erst seit Friedrich Nietzsche wissen wir, dass der Mensch ein Aufgang und ein Niedergang ist (vgl. Friedrich Nietzsche, Ecce Homo, 1908). Das heißt in unserem Kontext, dass man mittels Gentechnik sicherlich viel Gutes zu leisten vermag, etwa das Ausschalten von menschlichen (Erb-)Krankheiten mittels besagter „CRISPR“-Technik, oder die Herstellung und Produktion von neuen, Trockenheit resistenten Pflanzen und Grundnahrungsmitteln wie Mais, Reis, Kartoffeln, etc.pp.. Aber es liegt nun einmal der Missbrauch allen Wissens in der elementaren Natur unseres Menschseins (vgl. die Geschichte vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“, Gen. 2,17-3,19). Und das bedeutet — allen hehren Zielen und geheuchelten Beteuerungen sowie Versprechungen zum Trotz —, dass man bekannte Krankheiten nicht nur eliminieren, sondern auch neue Krankheiten ganz gezielt „klonen“ kann, wie z.B. das SARS-Covid-Virus, und dass man, wie weiland bei Monsanto geschehen, die globale Alleinherrschaft über die Grundnahrungsmittel unserer Welt via sog. „Genpatente“ nicht nur theoretisch anstrebt, sondern mit kriminellen Machenschaften auch ganz konkret zu verwirklichen sucht. Das Forschungs-Labor der Genindustrie als moderne „Hexenküche“…—

 

Vielleicht können wir das bisher Gesagte hinsichtlich der o.g. Personen, die als Forscher und Wissenschaftler arbeiteten, wie folgt zusammenfassen: Ob nun Galileo Galilei, Johannes Kepler als Astronomen in früheren Jahrhunderten, ob Niels Bohr, Werner Heisenberg als Physiker, oder aber Karl Jaspers als (Existenz-)Philosoph des 20. Jh., für all diese Personen gilt, dass ihr Beruf als Forscher- und Wissenschaftler von ihrem Mensch-Sein „umgriffen“ wurde. Das heißt, als Forscher und Wissenschaftler arbeiteten sie streng rational und anhand von wissenschaftlichen Methoden, etwa mit mathematisch-physikalischen Formeln. In diesen Berechnungen hatte „Gott“ als Wirkursache oder Letztbegründung keinen Platz noch Raum noch „Ort“ (diese Tatsache wäre Galilei bekanntlich fast zum inquisitatorischen Verhängnis geworden…). Und Karl Jaspers arbeitete nicht nur mit der geisteswissenschaftlichen Terminologie, sondern innerhalb der Philosophie mit der „phänomenologischen Methode“. Was er bereits als Psychologe unwissentlich ausgearbeitet hatte — ein methodisch geklärtes, systematisches Wissen bzgl. psychischer Phänomene als Krankheitsbilder — das übertrug er als Philosoph in die philosophia perennis und perfektionierte das eigene Denken zur „Philosophischen Logik“ (Terminus Karl Jaspers). Das heißt: Sowohl in der Psychopathologie, dem psychologischen Wissen der psychischen Störungen und Krankheiten, hat man „Phänomene“ vor sich, die sich im menschlichen Verhalten zeigen, jedoch keinerlei „Objekte“, ja bisweilen hat man nur besagte „Krankheitsbilder“. So z.B. bei nichtorganischen Psychosen des schizophrenen Formenkreises; bei Neurosen => Angststörungen, Zwangsstörungen, Hysterien, etc.pp., jedoch keinerlei „histologischen Befund“ hinsichtlich einer Erkrankung des Gehirns oder anderer Organe. Das heißt, der Mensch als „Patient“ / „Klient“ verhält sich „gestört“, „verwirrt“, „krankhaft“, aber sein Gehirn weist keinerlei „Anomalie“ auf (vgl. Griesinger-Diktum von 1845, dass alle psychischen Krankheiten Gehirnkrankheiten seien und Jaspers‘ wissenschaftliche Widerlegung; in: „Allgemeine Psychopathologie“, Jaspers, 1913). Und in der Philosopie, zumal der „Existenzphilosophie“, hat man Phänomene menschlichen Seins vor sich, aber niemals Material-Objekte im naturwissenschaftlichen Sinn. Zwar können wir Bewusstsein, Geist, Ich, etc. in Erklärungs-Modellen oder geistigen Systemen darstellen, aber was da auf geistigen Ebenen beschrieben wird, ist nicht mehr die unmittelbare menschliche Wirklichkeit „an-sich“, sondern deren Vergegenständlichung (im Modell) oder aber deren Terminologie (im geistigen System). Denkend machen wir das Ich, den Geist, das Bewusstsein zum Betrachtungs-„Objekt“, zur geistigen Ansichts-Sache. Es bleibt, nach Jaspers, die sog. „Subjekt-Objekt-Spaltung“ unauflösbar erhalten. Wir können jedoch die Phänomene des Bewusstseins, des Geistes, etc.pp. beschreiben. Jaspers war Phänomenologe, sofern es um die mögliche Beschreibung des Menschen als Sein ging; er war Systematiker, sofern es um die Zusammensicht und Zusammenstellung der gewonnenen Erkenntnisse ging, und er war Methodologe, sofern er die einzelnen geisteswissenschaftlichen Methoden selbst wiederum auf ihre Richtigkeit und Grenzen hin bedachte. Aber, und jetzt kommt’s, als Mensch außerhalb ihrer Arbeiten waren alle zuvor genannten Forscher und Wissenschaftler ganz Mensch geblieben, d.h., außerhalb ihrer Arbeiten hatten das (kindliche) Staunen, die menschliche Neugier, der christliche Glaube mit seinen Gottes-Bildern, u.v.a.m. ihren Frei-Raum. Das Eine schloss das Andere nicht aus — es war lediglich voneinander klar ab-gegrenzt und blieb doch ins Ganze einer „Existenz“ eingebettet, integriert. Es heißt, dass Jaspers, anders als Heidegger, geradezu das Träumen benötigte, diese Muße der Freiheit, dieses Losgelöstsein von irdischen Sorgen und Nöten, um im Nachgang hierzu methodisch Philosophieren zu können. Wissenschaft und Mensch-Sein als „Existenz“ schließen einander nicht aus. Das zeigt das Leben großer Forscherinnen und Forscher bzw. Wissenschaftler:innen. Wissenschaft „erhellt“ Dasein und „Existenz“, wovon sie ihrerseits die jeweiligen Forschungs-Themen gewinnt.

 

Verweilen wir noch etwas bei den technisch-naturwissenschaftlichen Gefahren und Abgleitungen / Niedergängen. Noch jen-seitiger und extremer als die gentechnischen Entwürfe des heutigen homo faber sind die digitalen Versionen eines „homo digitalis“, bei dem angestrebt wird, das Mensch-Sein in Algorithmen umzurechnen und in Bits und Bytes zu transformieren, indem man das Sein des Menschen versucht zu digitalisieren. An die Stelle einer binären Formel, die lediglich dazu dient, Lebewesen für ein logisches Ordnungsschema zu klassifizieren (siehe u.a. Linné-Taxonomie in Teil II), wird ein Binär-Code des Mensch-Seins gesetzt und versucht, das Mensch-Sein selbst in Rechen-Leistungen und Rechen-Operationen zu trans-formieren (vgl. den Entwicklungsbereich der humanoiden Roboter an der Schnittstelle zur KI). Die Grenzen zwischen „Homo“ und „Humanoid“ verwischen, erodieren, werden fließend und zuletzt gänzlich eliminiert. Manche, wie der KI-Pionier Marvin Minsky (1927-2016), sehen hierin die Revolution der Evolution und träumen von der eigenen, digitalen Unsterblichkeit — quasi „Matrix 2.0“ als Realität einer nahen Zukunft. Andere wiederum sehen in dieser Technik schlicht und ergreifend die Abschaffung des Menschen durch den Menschen. Die Allegorie der ‚Sophia‘, die in früheren Jahrhunderten der menschlichen ‚Weisheit‘ ein weibliches Antlitz verlieh, wird im Algorithmus der humanoiden „Sophia“ eingeschmolzen. Der Humanoid erhält nicht nur morphologisch stets menschlichere Züge, dank KI vielleicht sogar dereinst einen individuellen Charakter. Allein, „er“/“sie“/“es“ bleibt eine seelenlose Maschine mit digitalen Eigenschaften; ein technisch-mechanisches Wunderwerk des Menschen, gewiss, jedoch basierend auf operationaliserter Rechenleistung. Somit bleibt der Humanoid ein Konglomerat aus Bits und Bytes, aus Algorithmen und Rechenleistung — ohne Geist, ohne Bewusstsein, ohne Wesen, ohne Seele. Und selbst wenn die Begriffe „Geist“, „Bewusstsein“, „Ich“, „Intelligenz“, u.ä.m., von KI-Visionären zwischen Humanoid und Menschen gleich-gesetzt werden, so bleiben die Ursprünge des scheinbar „Gleichen“ doch wesentlich verschieden. Beim Humanoid Rechenleistung, beim Menschen Wesen, Wirklichkeit, Sein. So wird der „Kunst-Mensch“, die Maschine, einem Menschen aus Fleisch und Blut, aus Körper und Leib zwar zum Verwechseln täuschend ähnlich werden — aber diesem niemals gleich, da ihm die menschliche Wirklichkeit, die Authentizität, die individuelle „Existenz“ fehlt. Ein „ewig Gestriger“, wer Übles hierbei denkt…—?

Kein Zweifel: die Grenzregionen der heutigen Technik sowie der Molekularwissenschaften üben eine geradezu magische Faszination auf den Menschen aus. Allein, es gilt diesem emotionalen Sog, dieser allgemeinen Begeisterung, immer wieder aufs Neue mittels kritischem Hinter-Fragen (nach „Nutzen und Frommen“, nach „Risiken und Nebenwirkungen“), mittels kühlem, distanzierenden Abwägen, sachlich zu widerstehen.

 

— Fortsetzung folgt —