Die Kunst des Liebens versus Generation beziehungsunfähig


Die Kunst des Liebens versus Generation beziehungsunfähig

 

24.04.2016

 

Kürzlich fand in Mainz die Akademietagung „Die Kunst des Liebens — heute! 60 Jahre ‚Die Kunst des Liebens‘ von Erich Fromm“ statt. Auf Einladung des „Erbacher Hofes“ (Akademie des Bistums Mainz) sowie der „Internationalen Erich Fromm Gesellschaft e.V.“, Sitz in Tübingen, betrachteten verschiedene Referenten das kleine, aber bahnbrechende Büchlein Fromms, aber auch sein Lebenswerk aus unterschiedlichen Richtungen und leuchteten diverse Facetten von beidem aus. Die Bandbreite der Vorträge reichte von der Psychoanalyse und -therapie über Soziologie bis hin zur akademischen Philosophie, sowie — mit Gerd Achenbach, dem Gründer der Philosophischen Praxis — zur praktischen Philosophie. Was hat sich in den vergangenen 60 Jahren seit Erscheinen des Büchleins in der Welt, in Deutschland, im Menschen und seiner Fähigkeit, aktiv lieben zu können (being in love, Fromm) und nicht nur anfänglich verliebt zu sein (falling in love, ders.) bzw. passiv geliebt zu werden, verändert…—?

Gerd Achenbach kontrastierte Fromms Bestseller von 1956 mit einem Millionseller dieser Tage: “ Generation beziehungsunfähig „, von Michael Nast. Nast, ein junger Erfolgsautor (*1975), der in seinem Klappentext vollmundig als „das Sprachrohr einer ganzen Generation“ angekündigt wird, benutzt eine völlig andere „Schreibe“ als Fromm. Während Fromm eher einen wissenschaftlichen Essay über die Fähigkeit des Menschen zur Liebe und zu lieben verfasst, dessen ductus zwar wissenschaftlich, dessen Sprache jedoch allgemeinverständlich ist — gegliedert in ein Vorwort, eine einleitende Frage, eine Theorie der Liebe, kontrastiert mit der Realität ihres Verfalls in der heutigen (1956!) westlichen Gesellschaft, sowie einer Praxis der Liebe — schreibt Nast in einem leicht lesbaren, feuilletonistischen Stil, der gerne einem „Jargon der Uneigentlichkeit“ zu frönen scheint. Seine 239 Seiten lesen sich leicht und locker — oder wie es Gerd Achenbach pointiert formulierte: „… kaufen Sie sich das Buch … Sie haben es an einem Abend ausgelesen …“ — ohne irgendein „Kopfzerbrechen“. Auch Nast gliedert sein Buch in Hauptkapitel (Illusion perfekte Liebe, Berufung Beruf, Dreißig ist das neue Zwanzig, sowie Religion Selbstoptimierung), denen er ein Vorwort voranstellt. Da es sich ausschließlich um „Lebensbeichten“ seiner Freunde und Freundinnen handelt (faktische Realität?, schriftstellerische Fiktion?), entfällt der literarisch-wissenschaftliche Apparat. Am Schriftbild fällt jedoch auf, dass Nast die Quintessenz einzelner Textpassagen in Fettdruck wiedergibt — so kann man das Buch flüchtig lesen und dennoch am gesellschaftlichen Diskurs, der allerorten hierüber anhebt, teilnehmen. Quasi Speed-Reading for Runaways…

Weitaus mehr Kopfzerbrechen als die „Schreibe“ des Nast-Textes bereitet jedoch der Befund, der darin widergespiegelt wird: Wenn es stimmt, was Fromm schon 1956 hellsichtig in seinem Kapitel „Die Liebe und ihr Verfall in der heutigen westlichen Gesellschaft“ vorhersah (vorher, früher sah…), und wenn es auch nur annähernd stimmt, was Nast heute (2016) in seinem Bestseller konstatiert, dann wirft sich, neben anderen, weiteren Fragen, vor allem jene Frage auf, wie weit der heutige Mensch schon entmenschlicht, entwertet, und als Teil des Globalisierungs-Prozesses als Ware des vorherrschenden Wirtschafts-Systems preis-gegeben ist? Das hieße sodann: Der Markt-Preis definiert heute den Wert unseres Mensch-Seins. Eine neue Form der „Sklaven-Mentalität„, der Entfremdung seiner selbst, im Zeitalter der Cyber-Realitäten? Denn hierin stimmen Fromm und Nast — erschreckenderweise — überein: um im Wirtschafts-System „voran zu kommen“, entfremdet sich der Mensch „freiwillig“ immer stärker und umfassender von sich selbst, von dem, was er ist (von seiner „Existenz“), zugunsten all jenem, was er darstellen möchte (Status, Prestige, Life-Style, u.ä.m.), als auch was er haben möchte (gut dotierten Job, Haus, Luxus-Wagen und Luxus-Marken, etc.pp.), eben all jenes, was man als Ware kaufen und als vorzeigbares Prestige-Objekt sich leisten kann. Das Prestige-Objekt dokumentiert und beweist den eigenen gesellschaftlichen Status im Vergleich mit Anderen. Mein Job, mein Haus, mein „Porsche“, meine Frau, meine Familie… Eitelkeit ist indes keine Frage der Einkommens-Klasse; sie ist ein menschlicher Charakterzug.

Mensch und Wirtschafts-System funktionieren nach dem gleichen Prinzip der maximalen Angleichung der Prozesse, wobei jener Mensch für die Gesellschaft der wertvollste ist, der freiwillig, ohne irgendwelche „Reibungsverluste“, nachhaltig maximale Leistung erbringen möchte. Ökonomisch gesprochen: der „Mensch des Mainstreams“; gesellschaftlich gesprochen: der „Mensch des Life-Styles“. Mainstream und Life-Style werden zu Determinanten des menschlichen Charakters.

Naiv wie ich bisher war, dachte ich, wenn ich von „Prostitution“ sprach, lediglich an die freiwillige „Verkäuflichkeit“ jedermans an die Markt-Mechanismen der jeweiligen Zeit. An Sätze wie: „Jede/jeder hat seinen Preis …“ und damit an die wirtschaftliche wie auch politische Realität aus Bestechlichkeit, Korruption, und Intransparenz in immer weiteren Bereichen der Gesellschaft wie auch des Staates. Ist nun diese Geistes-Haltung schon schlimm genug, weil, wer so denkt, ideelle Werte in materielle Markt-Werte umzumünzen versucht, und zudem dieses Vorgehen als ethisch völlig korrektes Handeln erachtet. So ist das, was Nast in seinem Kapitel „Religion Selbstoptimierung“ beschreibt, noch erheblich gravierender: Denn dort wird der Verlust jeglicher „Existenz“ zugunsten von „Profilen“, „Masken“ und „Maskeraden“ beschrieben, als die völlige und freiwillige Preis-Gabe der „Persönlichkeit“ (nicht: Person) an die gängigen Markt-Regularien und Markt-Mechanismen. Quasi: „Ich bin mein Kontostand“, oder „Ich bin meine eigene Performance“, oder „Ich bin meine eigene Marke“, u.v.a.m. Selbst-Darstellung und Selbst-Inszenierung (to perform) als äußerstes Ziel menschlichen Handelns und höchster Lebens-Sinn…— Das Profil, die Maske als „Existenz“.

Die Frage, die Nast anstößt, müsste sodann jedoch nicht die Unfähigkeit zur Beziehung betreffen, sondern vielmehr die Frage nach der Beziehungs-Fähigkeit der heute 20-30-Jährigen bzgl. Pseudo-„Werten“. Denn, wenn das von Nast Geschriebene in etwa stimmt, so sind die Menschen der „Generation beziehungsunfähig“ nur auf sich selbst als Ware und Konsument von Waren bezogen. Unerheblich, ob es sich bei der Ware nun um flüchtigen Sex (S. 35ff), oder um den Beruf (S. 71-97ff), oder um diese ganzen Pseudo-„Freundschaften“ in beziehungslosen „Sozialen Netzwerken“ und „Dating-Apps“ handelt. Der Mensch des Cyber-Space gerät zur „Patchwork-Existenz“ aus Waren und Marken-Labels. Die Umorientierung des Menschen, weg vom Menschen und hin zur Ware sowie zu Labels, kennzeichnet dann jedoch das Ende menschlicher Existenz als „zoon politikon“ (Aristoteles), also als ein „staatenbildendes Gemeinschafts-Wesen“. Der von Nast beschriebene Mensch lebt solipsistisch, d.h. wesentlich allein und grundsätzlich sich selbst (lat: solus = allein; ipse = selbst). Denn seine Beziehungen und Bezüge kreisen ausschließend in ihm selbst; sie reichen nirgends zu einem anderen Sein hinüber. Man könnte ihn in gewissem Sinne sogar als autistisch beschreiben, wenn er sich nicht auf das Außen von Waren und Marken beziehen würde. Denn weder bezieht sich dieser neue Menschen-Typus auf eine andere (ideelle) Wirklichkeit, noch bezieht er sich auf ein anderes Lebe-Wesen, etwa einen Mit-Menschen, und wenn doch, dann nur, um sich selbst in dieser brüchigen „Beziehung“ zu erleben. Der von Nast beschriebene Mensch lebt ausschließlich sich selbst und er liebt sich selbst — den Anderen faktisch ausschließend — in gewandelter Gestalt. Jeglicher Bezug und jegliche Beziehung zielen letztlich immer wieder auf sich selbst und müssen deshalb scheitern. Denn menschliche Begegnung, wie wir sie seit Jahrtausenden kennen, gelingt nur im wechsel-seitigen Miteinander mit Anderen…— Hierbei spannt sich der anthropologische Bogen von den „Gottes-Erfahrungen“ der Weltreligionen, über die religions-philosophischen Betrachtungen und Erfahrungen wie sie von Martin Buber und anderen beschrieben werden, weiter zu den sozio-philosophischen Erkenntnissen der sog. „Existenzialisten“ (vgl. u.a. Albert Camus, Jean-Paul Sartre), bis hinüber zur Existenzphilosophie eines Karl Jaspers, und weiter bis zu den Forschungen und Erfahrung der Psychoanalyse eines Erich Fromms. So unterschiedlich all diese wissenschaftlichen Fachbereiche und Methoden auch sein mögen, sie alle eint und verbindet, dass Mensch-Werdung nur über den „Umweg“ zum Anderen gelingt. Ohne den Anderen ist Mensch-Werdung unmöglich. Oder anders gesagt: Der andere Mensch ist die Bedingung der Möglichkeit zur eigenen Selbst-Werdung. Ich kann nicht eigentlich ich-selbst werden, ohne den Anderen. (Ich kann jedoch in der „Maske“ eines als ob bis zu meinem existenziellen Scheitern meine Zuflucht wählen…)

Die von Nast so leichtfüßig beschriebenen gescheiterten Beziehungen junger Menschen erscheinen unter dieser Hinsicht wie die Vollendung der Frommschen Apokalypse: Das Mensch-Sein selbst scheint völlig im „Haben“ aufgegangen zu sein. Was dem Menschen einstmals „Existenz“ war, das ist ihm heute zur bloßen Ware geworden; sein Ursprung und Ziel, sein Wesen, seit Jahrtausenden mit dem „Sein“, mit der „essentia“ identifiziert, wird zugunsten des „Haben“ preisgegeben…— Der Markt-Preis bestimmt fortan den Lebens-Wert. Und wie schon so oft in der Menschheits-Geschichte: Wenn der Mensch sein humanum vernachlässigt, „vergisst“, oder wie in den Ideologien des letzten Jahrhunderts politisch-ökonomisch umdeutet und preisgibt, dann steht die nächste Barbarei als Un-Heil ins Haus. Oder, wie es Martin Buber formulierte: „Der Mensch der Krisis, das ist der Mensch, der seine Sache nicht mehr dem Gespräch anvertraut, weil ihm dessen Voraussetzung, das Vertrauen, verlorengegangen ist.“ (o.O.)

 

Nun ist es sicherlich in der Sache falsch und auch völlig unangemessen, alle heute 20-30-Jährigen durch die Blaupause des Nast-Buches zu sehen und zu unterstellen, dass der „Untergang des Abendlandes“ durch ebendiese Altersgruppe unmittelbar bevorstünde. Sicherlich treffen Nasts „Fall-Beispiele“ auf genügend Menschen zu — wie sonst ließen sich die Besucherzahlen seiner Vorträge sowie die Verkaufszahlen seines Buches erklären? Das Interesse an diesem Thema zeigt, dass diese Altersgruppe — jedoch nicht nur diese allein — ein Problem mit „Beziehungen“ hat und tendenziell „beziehungsunfähig“ geworden ist. Aber eben nicht nur. Denn ebenso leicht ließen sich Fallbeispiele nennen, in denen sich junge Menschen in sozialen Projekten und Einrichtungen (siehe u.a. „Flüchtlings-Strom“) sowie religiösen Bewegungen (siehe u.a. Taizé) engagieren. Ein Engagement, das Beziehungs-Fähigkeit voraussetzt.

 

Folgende Fragen könnten jedoch einen weiterführenden Diskurs eröffnen: soziologisch: wie wird unsere zukünftige Gesellschaft aussehen, wenn die von Nast beschriebenen 20-30-Jährigen in wenigen Jahren gesellschaftliche Verantwortung übernehmen müssen und sich selbst als „Marken“ und „Waren“ verstehen? Was könnte eine gemeinsame Grundlage für Gesellschaft sein, wenn ideelle Werte durch Markt-Preise ersetzt werden? Was könnte den „sozialen Kitt“ hergeben, der jegliche Gemeinschaft wie auch Gesellschaft zusammenhält (vgl. soziale Kohärenz)? Wie wird sich das „Selbst-Verständnis“ etwa eines Arztes, eines Therapeuten, eines Wissenschaftlers, eines Anwaltes/Richters, etc.pp. verändern, wenn Markt-Preise die Stelle von Werten einnehmen (pointierter gefragt: Leisten diese Berufsgruppen in Zukunft ihren Amts-Eid auf das größte Aktienpaket des mächtigsten Konzerns/Global Players…?)? psychologisch: Wenn der Mensch seine „Existenz“ umdeutet und als „Ware“ definiert, erlebt, wahrnimmt, was geschieht dann mit seiner Persönlichkeit, mit seiner „Psyche“? Hat der Mensch der Zukunft überhaupt noch eine „Seele“ (gr. psyché) oder besteht er nur noch als eine ökonomisch-morphologische Markt-Struktur, quasi ein „product placement“ seiner selbst wie auch seines Selbst im Rahmen einer globalen „Dauerwerbesendung“? philosophisch: Heute gibt es eine Ethik der Ökonomie und des Geldes — wird in Zukunft die Ökonomie selbst zur „Ethik“ erhoben werden? Und last but not least: Was haben wir Eltern und Älteren — die heutige „Generation 50+“ — als „Vorbildner“ unserer Kinder versäumt, in unseren eigenen Beziehungen (zu ihnen) vorzuleben? Oder als Umkehrung gefragt: Welche fraglichen Werte haben wir für das Zusammen-Leben, für die Gemeinschaft, für eine Beziehung vorgelebt — Beispiel gebend und Bei-Spiel seiend —, dass unsere Kinder und Enkel dermaßen Beziehungs-unfähig geworden sind…—?

 

 

Quellen:

Erich Fromm (u.a.)

http://fromm-online.org/

 

Zum Buch:

Erich Fromm: „Die Kunst des Liebens“, neu übersetzte Ausgabe 1984, Ullstein

 

 

Michael Nast

http://www.michaelnast.com/

 

Zum Buch:

Michael Nast: „Generation Beziehungsunfähig“, 5. Aufl. 2016, edel-Verlag

 

 

Gerd B. Achenbach

http://www.achenbach-pp.de/

 

 

zum Begriff des „product placement“ siehe u.a.:

https://de.wikipedia.org/wiki/Produktplatzierung

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