Causa Walter Lübcke — 02.Juni bis dato
16.06.2019
Walter Lübcke, (65, CDU), Regierungspräsident von Kassel ist tot. Offentsichtlich wurde er aus nächster Nähe auf der Terrasse seines Wohnhauses mit einer Kurzwaffe, Pistole oder Revolver, erschossen. Ob es Mord war, oder aber ein politisches Motiv hinter dem Anschlag steht, versuchen Staatsanwaltschaft, LKA und eine 50-köpfige Sonderkommission derzeit zu klären. Walter Lübcke hinterlässt Frau, zwei Söhne, einen Enkel.
Da Lübcke während der 2015er Flüchtlingskrise aktiv Partei für die Neuankommenden ergriff, indem er u.a. auf die grundlegenden „Werte“ der BRD verwies, und zudem auf einer Bürgerversammlung gleichen Jahres einen provozierenden Kasseler „Pegida“-Block mit einer Provokation seinerseits konterte — Zitat: „Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. …da muss man auch für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er damit nicht einverstanden ist. Es ist die Freiheit eines jeden Deutschen…“ (Video vom 14.10.2015, Kassel Lohfelden; 00:33-00:45 Min.) — lösten in der Folgezeit massivste Drohungen bis hin zu Morddrohungen aus der rechtsextremen Szene sowie von sog. „Reichsbürgern“ gegen ihn aus. Teils in Briefform, teils als Hasskommentare im Internet. Lübcke wurde daraufhin vorübergehend unter polizeilichen Personenschutz gestellt. Die teilweise hocherfreuten, verhöhnenden Hasskommentare zu seiner „Hinrichtung“ sollen an dieser Stelle nicht erneut weiterverbreitet werden.
So kurz die Faktenlage.
Gesetzt, es ist ein politisch motivierter Mord gewesen, und weiter, der oder die Täter stammen tatsächlich aus der rechten Szene, so kann man die Tat als ein politisches Statement gegen den Staat, gegen seine derzeitge Politik, aber auch an jeden Andersdenkenden interpretieren. In etwa so: „Du, Politiker (Bürger, Journalist, etc.pp.), bist für die falschen Leute eingetreten und hast Dich auf die falsche Seite gestellt. Wir kriegen jeden von euch, den wir kriegen wollen. Trotz Personenschutz durch die Bullen. Dann knallen wir euch ab…“ So in etwa könnte die „Denke“ eines „Neuen NSU“ oder rechtsradikaler Splittergruppen sowie deren Einzeltäter lauten.
Nicht auszudenken, wenn der oder die Täter bereits polizeilich bekannt wären, und der Mord des Kasseler Regierungspräsidenten erneut eine Panne im Bereich der Polizei und/oder des Polizeilichen Staatsschutz‘ (BKA) offenbaren würde. Denn dann müssten wir Bürger*innen uns zurecht fragen, ob die staatlichen Organe uns noch wirksam gegen rechte Gewalttaten schützen können, wenn sie dies selbst bei Spitzenbeamten nicht vermögen. Und, Panne oder nicht, zeigt diese Tat nicht erneut die eklatante Ohnmacht des Staates gegen Gewaltkriminalität von „Rechts“, trotz aller Datenvorratsspeicherung? Sind die Werkzeuge des Staats- bzw. Verfassungsschutzes etwa stumpf geworden oder einfach nur „unbrauchbar“…? Sind womöglich unsere Beschützer in den staatlichen Organen nicht nur auf dem „rechten Auge blind“ (vgl. u.a. „NSU“), sondern vielleicht sogar Teil des Problems…—? Spekulationen.
Quo vadis „Deutschland“? Quo vadis „Demokratie“? Quo vadis „verrohende Gesellschaft“?
Welchen Weg schlägt Deutschland zur Zeit politisch ein?
Einerseits erodieren die beiden großen „Volksparteien“, CDU und SPD, zu Marginalien einstiger Größe. Denn dass die CDU bei weit über 40% und die SPD bei ca. 35% der bundesdeutschen Wählergunst lagen, ist lange her. Sehr lange. Zu lange?
Die älteste Partei Deutschlands, die SPD, stürzt laut neuestem „Politbarometer“ in der „Projektions“-Frage derzeit auf 13% ab und ist damit gleichauf (!) mit der rechtsnationalen AfD. Muss ich noch weiter fragen? Ein Ende des Zerfalls, nicht nur der SPD, sondern der sog. „politischen Mitte“, ist nicht in Sicht… Die „Antworten“ aus diesem Spektrum, die durchweg aus Politiker-Sprechblasen bestehen, sind inzwischen für viele Bürger*innen unerträglich geworden. Und dann gibt es innerhalb dieses Spektrums noch die alten „Seilschaftskameraden“, wie etwa ein Friedrich Merz, die noch immer auf einen Macht-Wechsel zu ihren Gunsten hoffen. Und weil diese weiterhin paktieren und auf persönlichen Vorteil hoffen, sind die letzten Züge der „Volksparteien“ bereits abgefahren. Das kommt andererseits in der Wählergunst zwar den „Grünen“ zur Zeit gut zu Pass. Sie liegen z.Zt. bei ca. 26% der Wählergunst. Aber, einmal in der Regierungsverantwortung, werden auch sie sehr schnell an faktische Grenzen der Realpolitik stoßen (vgl. u.a. das „Musterländle“ Baden-Württemberg mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann; oder Hessens Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir [Stichwort „Flughafenausbau“]). Das war und ist bei allen vermeintlichen „Heilsbringern“ so gewesen. Denn die politischen Projektionen der Wähler*innen liegen weitab von der tagespolitischen Realität des Regieren-Müssens.
Wohin also bewegt sich derzeit die Idee der „Demokratie“?
Der sog. „rechte Rand“ — in Deutschland rund um die AfD — organisiert und strukturiert sich neu. In der sonntäglichen Projektions-Frage liegt die AfD mit 13% gleichauf mit der SPD. Im Europaparlament stellen rechtsnationale und rechtsradikale Parteien ein starkes Bündnis dar. Ihr Ziel ist die Macht-Übernahme. Warum sonst könnte man eine parlamentarische Demokratie aushöhlen und gänzlich abschaffen wollen? „Brüssel“ ist doch nicht das Ende, sondern lediglich das Versuchsfeld der zersetzenden Zerstörung dieser „Fraktionen“. Geschützt durch demokratische Regeln wollen sie die uns bekannte Demokratie abschaffen: anstelle von Meinungs-Freiheit soll Zensur gesetzt werden (etwa Übernahme der öffentlich-rechtlichen Medien wie TV- bzw. Nachrichten-Sender, der Presse / regierungskritische Zeitungen, etc.pp. zwecks regierungsfreundlicher Propaganda), investigativer Journalismus mit fundierten Recherchen und Fakten-Check sowie allgemeine Rede-Freiheit soll durch politische Inhaftierung bedroht und letztlich ersetzt, Versammlungs-Freiheit mit Knast bestraft werden. „Demokratie“, wie sie Rechtspopulisten europaweit zur Zeit verstehen, ist eine oligarchische Diktatur, d.h. eine Diktatur weniger Familien-Clans, die sich wirtschaftlichen Nutzen und korrupte Machtstrukturen miteinander teilen wollen. Oder ist wirklich irgendjemand so naiv, sei es nun in Deutschland, in Europa oder aber in Amerika, zu glauben, ein Orbán, ein Kaczysńki, Salvini, Le Pen, Erdoğan, oder auch der „wahre Donald Trump“ zerstöre die jeweilige Demokratie aus reinem Selbstzweck, d.h. weil diese Regierungs-Form inzwischen obsolet geworden wäre? Weit gefehlt! Sie installieren den eigenen Familien-Clan für eine politisch-wirtschaftliche Macht-Struktur der nächsten Jahrzehnte.
Und in Deutschland? Rechtsradikale Verbände wie etwa Neonazis und „Reichsbürger“ formieren und firmieren sich neu. Sie organisieren sich tw. paramilitärisch und bilden sich untereinander an Schusswaffen — seien es nun Kurzwaffen, seien es Langwaffen; sowohl als Imitat mit Gaspatronen-Antrieb als auch als „scharfe Waffen“ — aus. Der Erwerb dieser Waffen geschieht tw. über das sog. „Darknet“. Wenige Mausklicks genügen, um sich privat auf- und hochzurüsten… Das ist aber nur die eine Seite der heutigen Realität.
Die andere Seite heutiger Realität in Deutschland ist die völlig entgleiste emotionale Schieflage von mehr und mehr Bürger*innen. Es findet eine völlige Entgrenzung von Gefühlen wie etwa Hass, Häme / Hohn, Aggressionen aller Couleur statt. Und dieses Phänomen streut sowohl „horizontal“, d.h. immer mehr Menschen verhalten sich auf diese Weise, als auch „vertikal“, d.h. alle Berufe und Bevölkerungs-Schichten sind von dieser emotionalen Entgrenzung betroffen und bekennen sich ganz offen, in coram publico, dazu. Ob das nun „Gaffer“ sind, die Rettungskräfte attackieren, um ihr Selfie bei einem Sterbenden am Unfallort drehen zu können; ob das „Follower“ sind, die millionenfach das Christchurch-Video liken und teilen, oder aber, ob es Hasskommentatoren wie in o.g. Causa Lübcke sind, die ihre emotionalen Entgrenzungen kolportieren. Für all diese Menschen gilt, dass sie eigentlich außerhalb einer demokratischen Gesinnung sowie außerhalb von Sitte und Moral stehen und genau diese „Sonderstellung“ als „cool“ oder „chic“ empfinden.Ihre emotionale und psychische „neue Heimat“ sind Un-Werte, die ihnen jedoch „heilig“ und damit un-antastbar sind. Un-Werte, die zudem nicht be- und hinterfragt werden dürfen. Wer dies dennoch wagt, siehe Lübcke et al., dem droht und ereilt Mord. Bei ihrer emotional aufgelagerten Weltanschauung kennen „Wutbürger“ und Rechtsradikale kein Pardon.
Fortsetzung