Allegorien — der Krieg, Teil II


Allegorien — der Krieg, Teil II

28.12.2023

— Fortsetzung —

 

Gewiss, die Erfindungen von Wort und Schrift, von Zahl und Maß hatten u.a. den verlässlichen Vorteil, dass sich etwa aus einem anfänglichen Tausch-Handel später ein Waren-Handel auf Basis von unterschiedlichen Währungen sowie festgeschriebenen Verträgen entwickeln konnte. Nur Unbelesenen und Ungebildeten konnte man ein „X“ für ein „U“ vormachen. Und was einstmals das „gegebene Wort“ und „der besiegelnde Handschlag“ zwischen Händlern gewesen war, all das wurde mittels Schrift und Zahl nach und nach in „fixierte Verträge“, in „beglaubigte Urkunden“, in „Privilegien“, u.a.m. gegossen. Auf diese Weise differenzierte sich die Feudal- bzw. Standesgesellschaft immer weiter aus. Es gab in Europa die Familien der mächtigen Aristokraten und die einflussreichen Dynastien der Patrizier, der Händler zumal — ab dem Mittelalter und der Neuzeit etwa jene der norddeutschen „Hanse“ oder der süddeutschen Augsburger Fugger, der Welser, Imhoff, Tucher; ganz zu schweigen von den mächtigen Handelsmetropolen Venedig, Genua, Antwerpen, Lissabon, Cádiz, etc.pp. . Eine einheitliche Schrift und geeichte Maße ermöglichten klare gesellschaftliche Strukturen, sie ermöglichten einheitliche, festgeschriebene Gesetze, somit ein Rechtswesen des Staates; kurzum: Schrifttum, allgemeingültige Zahlen und Maßeinheiten ermöglichten nicht nur einzelne Städte sondern ganze Reiche über große Distanzen hinweg zu regieren — und schon damals ermöglichte beides den Händlern ein weltweites Netz von Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Im Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage definierten die Handelsherren den „Wert“ einer Handels-Ware, machten aus Rohstoffen wie etwa Erzen und (Baum-)Wolle „Waren“ und „Güter“ (verhüttetes Kupfer, Zinn, Silber und Gold, Tuche, u.a.m.) des täglichen Gebrauchs, nicht zuletzt: Luxusgüter. Und je seltener die Ware, je entlegener die Weltengegend, aus der sie herbeigeschafft werden musste, desto höher ihr Preis. Und je größer die Gier der europäischen Adelshäuser nach Extravaganzen, wie etwa kostbares Porzellan und feinste Seide aus China, funkelnde Edelsteine aus Indien, schimmerndes Gold, glitzernde Diamanten und Elfenbein aus dem sagenumwobenen Herzen Afrikas, wohlduftender Weihrauch aus dem fernen Arabien und nicht zuletzt all jene erlesenen Spezereien (Pfeffer, Mußkatnuss, Nelken, Zimt, Vanille, u.a.m.) von den Gewürzinseln in Fernost, desto höher waren die Gewinnmargen der Handelshäuser. Die Gier der einen, befeuerte das wagemutige Unternehmer- und Entdeckertum der anderen. Ererbter Adel und erworbener Geldadel rückten näher zusammen.

Es liegt auf der Hand: dort wo es „Waren“ und „Güter“ gab, dort gab es auch „Besitz“, und wo es diesen gab, da gab es auch „Eigentum“. Und Eigentum verlangte nach persönlicher Abgrenzung in „mein“ und „dein“ sowie nach Sicherung desselben. Der wesentliche Unterschied: Der Besitzer einer Sache kann sie nutzen, obschon sie ihm nicht  gehört; der Eigentümer jedoch verfügt über einen rechtlich fixierten Anspruch an einer Sache, die ihm gehört. So konnten etwa die Habsburger Kaiser den Reichtum der Fugger für ihre Kriegsführungen und Machtintrigen nutzen, während Jakob Fugger im Gegenzug nicht nur weitreichende kaiserliche Privilegien für sein Handelsunternehmen erhielt, sondern zudem als erster Handelsherr zum Reichsgrafen erhoben wurde. Einer Anekdote zufolge, war Fugger im (Fern-)Handel so unermesslich reich geworden, dass er die Schuldscheine des Kaisers, Karl V., vor dessen Augen äußerst symbolträchtig mit einer Zimtstange  zu Asche verbrennen konnte… Während also der Kaiser fuggerschen Besitz in Habsburger Eigentum — Territorien, Machtzuwachs, Titelerwerb, Ruhm und Ehre, etc. — wandelte, nutzte Jakob Fugger im Gegenzug die existentielle Abhängigkeit des Hauses Habsburg, etwa durch Gewährung ständig neuer Bürgschaften für den Kaiser, um weiteren Besitz — Waren, Güter, diverse (Monopol-)Rechte und Privilegien aller Art — in fuggersches Eigentum und dieses wiederum in unvorstellbaren Reichtum und Macht zu wandeln. Gleichwohl war diese vermeintliche „Win-Win-Situation“ zwischen Hoch- und Geldadel eine Geschäfts-Beziehung mit Unwägbarkeiten und hohem Risiko, die beide Akteure auf Gedeih und Verderb aneinander kettete. Vermutlich hatte jedoch der Handelsherr das profitablere Geschäft gemacht. Denn bei seinem Tode, so heißt es, hatte Jakob „der Reiche“ ein Vermögen angehäuft, das nach heutiger Kaufkraft ca. 400 Milliarden US$ betragen haben sollte. Wie auch immer…

Es war folglich edendiese Abgrenzung  in „mein“ und „dein“, sowie die unterschiedliche Bewertung dieses Eigentums wie auch all jener Personen, die über Eigentum verfügten — diese Gewichtung und Bewertung in „Reich“ und „Arm“ sowie in „Aristokraten“, „Patrizier“, etc.pp. versus rangniederen „Bürgern“, „Handwerkern“, „Händlern“, „Freien“ und unfreie „Sklaven“ —, die nicht nur in der Feudal- und Standes-Gesellschaft unmittelbar zu besagtem Neid, zur Mißgunst, zur grenzenlosen Habgier, zum Krieg, führte. Dies galt jedoch nicht, wie man nun etwa meinen könnte, ausschließlich für die diversen „Sklavenaufstände“ aller Zeiten, also die Rebellionen der Besitzlosen gegen reiche Eigentümer. Freilich, dort wo es Sklaven und Aristokraten gab, wo es Ausgebeutete und Ausbeuter gab, da neideten die „Habenichtse“ den Reichen schon immer den Reichtum; da lauerte stets auch der Bürgerkrieg, etwa als Revolution der Bedürftigen, der Verarmten und der in unerträglichem Elend Lebenden, auf seine Chance. Neid und Bürgerkrieg, diese beiden wohlbekannten Tischgenossen, wohnten stets auf der Türschwelle eines jeden Gemeinwesens, in dem die soziale Schere zwischen „Oben“ und „Unten“, zwischen „Reichen“ und „Armen“, zwischen „Überfluss“ und „Mangel“, zu weit auseinander gegangen war. Dies war das Schicksal aller Hochkulturen und Großreiche: Während die „Spitze der Gesellschaft“, meist nur eine handvoll Aristokraten, Patrizier, später auch Handelsherren, unvorstellbaren Reichtum als ihr persönliches Eigentum anhäuften, wurden immer größere Teile der Gesellschaft in bittere Armut getrieben und von der Teilhabe am „Wohl-Stand“ weitestgehend ausgeschlossen. Aber: Großkönige, Cesaren, Kaiser, Könige und  Volk bildeten stets eine  „Schicksals-Gemeinschaft“; Senatoren, Cesaren und Volk ebenso; desgleichen Aristokraten und Stadtbevölkerung der antiken, griechischen Polis. Zwar brauchten die Habsburger Kaiser die Fugger und diese brauchten jene. Aber beide brauchten vor allem das Volk — etwa die Bauern und Bergleute, die Handwerker der verschiedenen Zünfte, etc.pp. — um überhaupt „Eigentum“ generieren zu können. Ein überlebenswichtiges Detail, das die „Großen“ und „Reichen“ prinzipiell ignorierten und aus ihren Macht-Überlegungen und „Visionen“ geflissentlich heraushielten. Ein kategorialer Fehler, den alle Staats- und Gesellschaftsformen mit ihrem jeweiligen Nieder- und zuletzt Untergang zu bezahlen pflegten…

Der Krieg zuckte verstimmt mit seinen Schultern. Er war in Gedanken abgeschweift und beendete den Exkurs. Jetzt griff er seinen ursprünglichen Gedankengang erneut auf. Denn Eigentum erzeugte nicht nur zwischen „Oben“ und „Unten“ Habgier, Mißgunst, Neid und Zwist, sondern gerade unter den „Granden“, den „Großen“, den „Reichen“ und „Mächtigen“, den „Königen“, den „Kaisern“ als den Mächtigsten der Mächtigen, gerade dort stachelte die persönliche Eitelkeit jene Habgier der Akteure ganz besonders an, sobald diese anfingen, sich gegenseitig zu vergleichen. Dort wandte sich Bruder gegen Bruder, Sohn gegen Vater, Tochter gegen Mutter, Verwandte gegen Verwandte; und aus ehemaligen treuen Freunden oder durch Lehenseid verpflichtete Verbündete, wurden, quasi „über Nacht“, Tod-Feinde. Denn immer schon neidete ein Stammes-Fürst einem anderen irgend etwas; stets wollte ein Churfürst einen Churfürsten und ein König einen König an Prunk überflügeln, stets ein Kaiser einen anderen Kaiser an „Glanz und Gloria“ ausstechen — sei es nun hinsichtlich seines Vermögens, sei es bezüglich Ansehen, Ruhm und Ehre, sei es betreffs der Größe seines Territoriums, sei es hinsichtlich der eigenen Machtfülle oder auch an bleibendem Nachruhm bis hin zur Unsterblichkeit. So viele Menschen, so viele Charaktere, so viele Motive und Motivationen; und damit stets auch hunderttausend „gute Gründe“ gegeneinander in den Krieg zu ziehen…— Und das Schönste daran: So heuchlerisch und niederträchtig auch die eigenen Beweggründe jeweils sein mochten: der Böse, der Erzfeind, der Kriegs-Treiber, kurz: der Schuldige an der Eskalation und dem Kriegs-Beginn, dieser „böse  Feind“, all das waren stets „die Anderen“. Man selbst jedoch, der „böse  Täter“, der hinterhältige, Zwietracht säende Intrigant, der strategisch denkende und kühl kalkulierende Heuchler, sie alle gerierten sich grundsätzlich als das „unschuldige Opfer“…—

 

Der Krieg gluckste zufrieden in sich rein: Wahrhaftig, er  war der Vater aller! Ihm konnte es auch völlig gleich-gültig sein, wer aus welchen Beweggründen wem auch immer den Krieg erklärte. Denn er, der Krieg, verdiente stets fürstlich an allen  Seiten der involvierten Kombattanten: Sowohl an dem angreifenden Aggressor als auch am heroisch sich verteidigenden Kriegs-Opfer. Der Krieg schröpfte sowohl die Gewinner als auch die Verlierer. Denn er forderte seinen Tribut von allen  Beteiligten, gleichviel in wessen Namen sie das Schlachtfeld betraten, gleichviel für welch hehre Ideale oder auch Ideologien sie eintraten und sich gegenseitig abschlachteten. Auf allen Seiten starben dann Väter, Onkel, Brüder, Söhne — von Zivilisten ganz zu schweigen. Alle  Heere und Armeen hatten ihm Tribut zu zollen, alle  den „Blutzoll“ an ihn zu entrichten. Ausnahmslos. Das  war die tiefere Wahrheit hinter allen Heldensagen und Legenden: weit vor Achill und Hektor, lange vor Xerxes und Leonidas, so war es seinerzeit im Mittelalter während des „Hundertjährigen Krieges“ zwischen England und Frankreich gewesen, so auch in den Konfessions- und Bauernkriegen, die im 16. und 17. Jahrhundert Mitteleuropa verwüsteten und entvölkerten, und sicherlich würde diese „Eherne Wahrheit“ auch noch lange nach Putin und Selenskyi ihre Richtigkeit behalten.

 

Der Krieg allein, als Vater und König aller, war Ursache und Grund dafür, dass sich einstmals aus demokratisch verwalteten Stadt-Staaten persönlich geführte König-Reiche entwickelten, und dass diese zu Groß- ja zu Weltreichen expandierten — und wieder von der Bildfläche der Weltgeschichte verschwanden, gerade so, als ob sie niemals existiert hätten. Vanitas vanitatis! Menschen-Machwerk. Menschen-Staub. Er, der Krieg, hatte sie alle aufsteigen und wieder untergehen sehen, denn er war der vorantreibende „Impuls“ im perpetuum mobile des menschlichen Schicksals; er allein war der wesentliche Antrieb für jeglichen Aufstieg und Fall. Bild für Bild, Schlacht um Schlacht, zogen vor seinem inneren Auge vorbei: das antike Sparta und Athen, die Großreiche der Perser, Makedonen, der Römer, der Byzantiner auch; ferner die Großreiche der berittenen asiatischen Steppenvölker sowie der seßhaften Kulturen in Fernost; sodann die Reiche des indischen Subkontinentes wie auch des südlichen Amerikas, Afrikas zumal. Später dann, man nannte diese Epoche im Abendland die „Neuzeit“, erblickte der Krieg, die Weltreiche der Spanier und Portugiesen, im 18. und 19. Jahrhundert die Kolonialreiche der Franzosen und Engländer, im frühen 20. Jahrhundert die europäischen / japanischen Diktaturen eines ethnozentristischen Faschismus bzw. Nationalsozialismus deutscher Prägung, sodann ab Mitte des 20. Jahrhunderts den amerikanischen Imperialismus sowie den leninistisch-stalinistisch-maoistisch geprägten Kommunismus und zuletzt die verschiedenen Versuche einer modernen, global ausgerichteten Demokratie. Ohne irgendeine Ausnahme hatte er alle  menschlichen Staats- und Regierungs-Formen kommen, aufsteigen und verschwinden sehen. Er allein hatte sie aus der historischen Bedeutungslosigkeit einer bloßen Idee für wenige Augenblicke auf die Bühne des Welt-Bewusstseins emporgehoben — um sie letztlich hinter dem Horizont des ewigen Vergessens wieder verschwinden zu lassen. Wer erinnerte sich noch der antiken Strategen und Heroen, wer kannte noch all die Namen der einstigen Welt-Reiche, ihre Herrscher, ihre Völker…? Vergessen — nichts als Vergessen, war ihr gemeinsames Schicksal! Unabhängig von der Welt-Region; belanglos Sprache, Wort und Schrift; bedeutungslos nun erfundene Zahl noch Maß… Einzig der Krieg selbst blieb den Menschen im Gedächtnis, in bleibender Erinnerung. Nicht umsonst erhob man ihn und seine Macht in frühen Zeiten in den Status eines Gottes. Damals, als es noch Gottheiten und Götter über den Menschen gab. Da gab man ihm Ehrennamen wie „Ares“ oder „Mars“, man huldigte ihm in vielerlei Sprachen, Kulturen und Kulten rund um den Erdball; man brachte ihm kostbarste Opfergaben dar. Heraklit, der „Dunkle“, hatte Recht: Einzig der Krieg machte „die einen … zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien. Unsterbliche sterblich, Sterbliche unsterblich: Sie leben den Tod jener, und das Leben jener sterben sie.“ (Diels, Kranz)

 

— Fortsetzung —