Gibt ja auch sonst keine Probleme


 

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Gibt ja auch sonst keine Probleme …

Richtig. Und schon gar nicht in Dresden, der Stadt, in der ich lebe. In dieser Stadt, die einerseits dringend Ausländer anlocken möchte, wenn sie als Touristen herkommen und möglichst viel Geld hier ausgeben – in der aber vorsichtshalber jeder, der nicht reinrassig deutsch aussieht, erst einmal scheel angesehen wird.

Ja, auch ich könnte mich hinsetzen und über meine „gebrochene Erwerbsbiographie“ nach der Wende jammern, darüber, dass all meine ach so schönen Qualifikationen plötzlich nichts mehr wert sein sollten. Das wäre dann ein bisschen wie Blues, bei dem es dem Sänger oft gleich viel besser geht, wenn sich der Zuhörer schlechter fühlt. Aber die Welt ist einfach viel zu schön und zu bunt und zu vielfältig, um sie nicht anzusehen, kennenzulernen und zu genießen. Ich genieße es, in der Welt unterwegs zu sein und möchte diesen Genuss anderen mitteilen.

Als Reiseleiter suche ich mir meine Reisegäste nicht aus – ich muss sie so nehmen, wie sie kommen, oder besser: einsteigen. Ich scanne sie nicht nach ihren politischen oder religiösen oder sonstigen Ansichten, obwohl man bei den persönlichen Gesprächen, die sich mitunter beim Essen oder bei einem Glas Wein am Abend ergeben, das ein oder andere zu hören bekommt, dem man begeistert zustimmen oder heftig widersprechen möchte.

Ich mache meine Arbeit. Und die besteht im günstigsten Fall darin, meinen Reisegästen ein fremdes Land, eine fremde Kultur, eine fremde Geschichte, eine fremde Lebensphilosophie näherzubringen. Das klappt nicht immer, wenn beispielsweise in Süditalien eine sächsische Reisegruppe in einem Hotel, das mit einer solchen Gruppe noch keine Erfahrung hat auf ein italienisches Frühstücksbuffet stößt, dann kann man um Verständnis werben, so viel man will – über alles lässt der Sachse mit sich reden, nur über das Frühstück nicht! Dann muss man mit dem Hotel verhandeln und den Angestellten deutsche Frühstücksvorlieben erklären. Garniert mit einem kleinen Trinkgeld sieht es dann am nächsten Morgen meist schon viel freundlicher aus.

Ja doch, der Tourismus schafft auch Probleme. Ich werde ab und an darauf zu sprechen kommen. Aber er kann auch helfen, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Es ist kein Zufall, dass die Pappnasen vom IS oder von Al-Kaida mit Vorliebe Touristenziele angreifen. Das Blicken über den Tellerrand passt denen überhaupt nicht ins Konzept, noch weniger die Tatsache, dass vielleicht Menschen vom Tourismus leben und Hoffnung auf ein eigenständiges Leben haben könnten.

Und außerdem benutzt die Tourismuswerbung eine ganz eigene Sprache (in der es solche Probleme wie das Frühstück gar nicht gibt). Man kann dazu David Foster Wallace lesen: Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich. Man sollte das sogar gelesen haben. (Verflixt – ich wollte doch keine Werbung machen…) Aber das ist ja das Schöne an Sprache – man kann mit ihr arbeiten, sie formen, sie passend für die eigene Reisegruppe machen. Und den Reisenden sagen, dass sie viel mehr von der Reise haben, wenn sie sich nicht rund um die Uhr wie Kleinkinder bemuttern lassen, sondern die eigenen Augen, Ohren, Nasen und Münder offen und aufnahmebereit halten und das ganze Gemisch von Eindrücken dann auch noch mit dem eigenen Kopf verarbeiten.

Klappt nicht immer. Aber manchmal schon.

Ich bin ein hoffnungsloser Fall von Idealismus, ich weiß. Muss mit meiner Religion zusammenhängen, da ich keine von den bestehenden als für mich passend gefunden habe, habe ich mit meine eigene gebastelt, die nur eine Göttin oder einen Gott namens Uyobal anbetet. Uyobal ist eine Abkürzung und außerdem das einzige Gebot dieser Religion: Use your own brains and live!

Man kann sich auf zweierlei Weise in ein fremdes Land begeben: als Gast oder als Eroberer und Besatzer. Als Gast kann man Gastfreundschaft erwarten, als Eroberer muss man mit Widerstand rechnen und als Besatzer mit allen möglichen Formen subversiver Boshaftigkeiten. Dabei muss weder das eine noch das andere persönlich gemeint sein. Aber genau das kann man als Reiseleiter vermitteln – als Gast zu kommen.

Und zum Schluss: Die Welt ansehen, die Schönheit dieser Welt anderen zu zeigen, das Leben feiern und genießen, und sei es nur ein Cappuccione (ein Cappucino im XXL-Format) am Gardasee, anstatt dauerbeleidigt herumzulaufen und sich permanent zu-kurz-gekommen fühlen – das ist doch auch ein Statement.

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