Glücklich sterben?


Glücklich sterben?

 

10.02.2016

 

Setzt glücklich sterben

nicht unabdingbar ein geglücktes,

und deshalb

ein glückliches Leben voraus?

 

 

Von Hans Küng (*1928), dem Tübinger Theologen und Mitinitiator sowie Ehrenpräsidenten der Stiftung “Weltethos“, stammt der Titel “Glücklich sterben?“ (Serie Piper, 30825). Es ist ein schmales, 158 Seiten umfassendes Bändchen, das Küng 2014 seinem dritten Memoiren-Band “Erlebte Menschlichkeit“ (2013) als Vertiefung und Präzisierung des Themas “selbstverantwortliches Sterben“ aus gegebenem Anlass (Parkinson-Schub) hinzugefügt hat.

Was zumeist übersehen wird, ist, dass Hans Küng eine Frage stellt. Der Titel “Glücklich sterben?“ ist also kein “programmatischer Titel“, der allgemeingültig eine Antwort auf das uns unausweichlich Bevorstehende — unser Sterben in den je eigenen Tod hinein — geben würde. Es geht ihm auch nicht um “glückliches Sterben“ — etwa im Sinne eines “Sokrates“, der (nach Platon) seinen Tod durch den Schirlingsbecher freudig und in heiterster Gelassenheit begrüßte, um endlich, mit fast 70 Jahren, das “Gefängnis des Körpers“ (swma shma) verlassen zu dürfen — also um die Umkehrung der menschlichen Furcht im Augenblick des Todes durch theologisches oder philosophisches Wissen in “Glück“. Vielmehr stellt Hans Küng eine zutiefst menschliche, eine existenzielle Frage zur allgemeinen, gesellschaftlichen, aber auch innerkirchlichen Diskussion: Ist es im Jahre 2014 — bei der Reichweite eines technologisch-intensivmedizinischen Fortschrittes — einem Menschen erlaubt, in größter Verantwortung nicht nur sich selbst gegenüber, sondern auch gegenüber seinen Nächsten, etwa der Familie, den Freunden und Bekannten, den Zeitpunkt seines eigenen Todes selbst entscheiden zu dürfen und wenn dieser “Punkt“ erreicht sein wird, sodann auch in größter Selbst-Verantwortung seinem Leben selbst den „Schluss-Punkt“ setzen zu dürfen? Präziser: Ist Selbsttötung erlaubt…—? Küng bejaht diese Frage — für sich selbst. Und das ist wichtig. Es gibt an dieser ethisch-existenziellen Wegscheide keine allgemein gültige Aussage — sondern nur eine alle Menschen gleichermaßen betreffende, weil treffende, Frage. Die Frage-Stellung ist uns allen gemeinsam. Denn ob wir nun wie ein Hans Küng hochbetagt und irreversibel krank sind, oder aber als ein noch junger Mensch offensichtlich gesund sind — in jungen Jahren, inmitten von Karriere und weltweitem Erfolg scheint der Tod so weit weg von unserem eigenen Leben zu sein und ist es doch nicht (vgl. ganz aktuell der Tod von Guido Westerwelle)… — wir Lebenden sind als Sterbliche immer schon in-die-Frage-gestellt. Es gibt kein Leben ohne Tod. Unser Sterben und Tod sind der “Preis“, den wir Lebenden mit unserem Geboren-Werden dem Leben als Tribut zu zahlen haben. Glücklich ist, wer verdrängt…, oder wer vergisst…, was doch nicht zu ändern ist…?! (in Anlehnung an Johann Strauss‘ “Fledermaus“) Sicherlich nicht. Noch nie führte Verdrängung und/oder Vergessen-machen zu einem glücklichen Ende. Eher zeigt sich im Verdrängen des Todes unsere Unfähigkeit bis hin zur Ohnmacht, auf existenzielle Fragen verlässliche Antworten und aus diesen heraus verantwortungs-volle Lebens-Haltungen zu gewinnen. Aus anderen Ursprüngen als die “antiken Menschen“ im vierten Jahrhundert vor Christus (vgl. Sokrates, 469-399 v.Chr.) fürchten wir Heutigen den Tod — und wollen leben, ewig leben… Allein, die Frage bleibt an jeden von uns gerichtet. Die Antwort hierauf muss jeder selber geben — und vor allem: sich selber geben. Sie ist so individuell wie sein “Fingerabdruck“; eben sein “Alleinstellungs-Merkmal“.

 

Nun hat Hans Küng — anders als wir “einfachen Leute“ — verschiedene Vorteile auf seiner Seite, die ihm eine Antwort, seine Antwort, zwar keineswegs erleichtern, wohl aber tragfähiger und verlässlicher machen. Er hat zunächst eine humanistische Ausbildung an Schulen in Sursee und Luzern genossen. Sodann wurde Küng von Jesuiten erzogen und später, in Rom, auch hinsichtlich seines Denkens und seiner ganzen Lebensführung (eqos; „Ignatianische Exerzitien“, etc.) geformt. Er kennt folglich die großen Schulen und ethischen Leitlinien der weltweiten Philosophien und Religionen (Lehrstuhl für Fundamentaltheologie sowie Dogmatik und Ökumene in Tübingen; Mitbegründer der Stiftung “Weltethos“). Daher stehen ihm als Professor weitreichende Gedanken und Wissens-Systeme zur freien Verfügung. Nicht zuletzt kann Hans Küng die Großen als „Vorbildner“ aus Theologie, Philosophie und Historie frei zitieren. Neben seinem universalen Fakten-Wissen ist ihm „Bildung“ zu eigen. Gewiss. Das alles haben und können wir “einfachen Leute“ nicht. Jedoch: zuletzt, ganz zuletzt, steht auch er als Mensch allein vor seinem eigenen Tod, vor seinem Gewissen, mithin: vor Gott. Alleinstellungs-Merkmal eben. Und wer weiß, vielleicht ist ihm dann sein ganzes “Professoren-Wissen“ mehr Bürde, denn Anker und Halt. Im Tod — anders als im Alltag unseres Lebens, mit all seinen „Rollen“ und „Funktionen“ — bewährt sich unser eigentliches Leben, all das, was wir zuinnerst wesentlich sind, sicherlich nicht kraft “Fakten-Wissen“, sondern in der Wirklichkeit eines existenziellen Glaubens.

 

Aber, Gott sei Dank, noch lebt Hans Küng, hochbetagt und von seinen Ämtern zurückgezogen in Tübingen bzw. in seinem Haus in Sursee, Kanton Luzern. Seine sog. „Schlüsselerlebnisse“ (Tod seines Bruders Georg; Nahtoderfahrungen der schweizer Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross sowie die Demenzerkrankung seines Freundes Walter Jens) mögen ihn zur Beschäftigung mit der Frage nach „Sterbehilfe“ geführt haben. Aus der Innenansicht aus Theologie und Philosophie heraus vermag er zu differenzieren und gliedernd (das Ganze des Lebens nicht aus den Augen verlierend…), Pro und Contra erwägend, zu unterscheiden, das aber meint: konstruktiv zu kritisieren.

 

Zu Recht weist m.E. Hans Küng darauf hin, dass — bedingt durch den technisch-medizinischen Fortschritt in der Palliativmedizin — die antiken bzw. mittelalterlichen Antworten von philosophischen und theologischen Ethiken nicht mehr bis in unser heutiges Leben herein-reichen. Diese Antworten, so wichtig und richtig sie auch in anderen Lebens-Bereichen sein mögen, so unschätzbar wertvoll sie als lebendige Tradition für ein gelingendes Leben auch sein können — im technischen Bereich der “Todes-Zone“ einer HighTech-Medizin sind sie obsolet geworden. Unsere HighTech-Medizin erfordert folglich neue Antworten auf uralte, existenziell bleibende Fragen.

Die Amtskirche kann bei ihrem Jahrhunderten alten Dogma-System einer “ex cathedra“ (“Roma locuta, causa finita“, vgl. Augustinus), nicht stehen bleiben — denn die Technik in der Zeit schreitet unbeirrbar weiter voran. Institutionen, die einfach nur “stehen bleiben“, die mit bloßen “Machtworten“ Gehorsam erzwingen wollen, stellen sich selbst immer tiefer ins “Ab-seits“ des Zeit-Geschehens.

Staat und Gesellschaft müssen sich im Bereich der Gesetzgebung neu orientieren. Und das gerade angesichts eines historisch-realen Missbrauches der “Euthanasie“ (aus dem Gr.: Vorsilbe eu für gut, wohl, glücklich sowie qanatos für natürlichen Tod) unter der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus von 1933-1945. Hier gilt es einer-seits gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, wie es anderer-seits eine menschliche, eine “humane“ Antwort zu finden gilt. Hier segelt der “moderne Staat“ wie auch die “moderne Gesellschaft“ zwischen “Skylla und Charybdis“, u.z. dergestalt, dass auf der einen Seite des Extrems die legitimisierte (!), systematische “Vernichtung lebensunwerten Lebens“ droht — wie es auf der anderen Seite des Extrems die “totale Vermarktung menschlichen Lebens“ bis in den ökonomisierten Tod hinein droht. Wer bewahrt uns zukünftig vor solchen möglichen, menschlichen Exzessen?

Nun wäre Hans Küng nicht der authentische Theologe und Glaubende, wenn er eine mögliche Antwort auf das gestellte Problem des selbstverantwortlichen Sterbens nicht aus dem Horizont einer „aufgeklärten Religion“ versuchen würde. Jedoch: Schon Karl Jaspers wies in seinen Vorlesungen „Der philosophische Glaube“ (1947) auf den wesentlichen Unterschied zwischen existenzieller Wahrheit (vgl. Giordano Bruno, 1548-1600) und wissenschaftlicher Richtigkeit als „Wahrheit“ (vgl. Galileo Galilei, 1564-1642) hin. Denn während Bruno aus seiner Wahrheit heraus lebt, sozusagen als Mensch eins mit dieser ist, lebt Galilei aus einem anderen Ursprung, denn aus seiner Wissenschaftlichkeit. Folglich kann Ersterer vor der Heiligen Römischen Inquisition nicht widerrufen, ohne dass er selbst existenziellen Schaden nimmt, während es für Galileo Galilei völlig unangemessen gewesen wäre, sich für einen wissenschaftlichen Fakt — der doch unabhängig von der jeweiligen Person besteht und jederzeit an jedem Ort von jedem anderen Forscher erneut bestätigt werden kann — auf dem Scheiterhaufen der Inquisition verbrennen zu lassen (vgl. Karl Jaspers, Der philosophische Glaube, Serie Piper, 9. Aufl. 1988, S.11ff.)

 

Was nun sowohl für Giordano Bruno, als auch für Hans Küng uneingeschränkt gelten mag — authentisch zu leben aus ihrer jeweils existenziellen Wahrheit ihres Glaubens — das gilt m.E. nicht in gleichem Maße für alle Ärzte und noch weniger für alle Zeitgenossen. Ist doch geradezu das Kenn-Zeichen der heutigen Zeit eine allgemeine Profanität. Und wie schon seinerzeit für Giordano Bruno, so gilt auch heute: existenzielle Wahrheit kann niemals allgemein gültige Wahrheit werden; ebenso kann existenzieller, authentischer Glaube niemals als allgemein gültig von allen eingefordert werden. Und selbst wenn der Glaube aufgeklärt ist — also nach Prinzipien der Vernunft ausgeformt und ausgestaltet wird — was nutzt dies, wenn sich kaum noch jemand hieran gebunden fühlt? In vielen Lebensbereichen ist doch schon längst die allgemeine Verbindlichkeit verloren gegangen und durch einen vernünftelnden, zum Teil rhetorisch platten Egoismus einer quasi allgemeingültigen Autonomie („…das macht doch jeder so…!“) ersetzt worden. Wer hält sich denn noch freiwillig an „Gesetze“? Wer achtet denn noch freiwillig auf „Gebote“ oder „Regeln“? Sieht die Realität nicht vielmehr so aus, dass willfährige Ärzte sich von Pharma-Konzernen bereitwillig bestechen lassen, bis hin zu jenen kriminellen Ärzte-Skandalen mit „Brustimplantaten“ (vgl. PIP-Skandal in Frankreich 2010; Urteile in 2013 und 2015), oder jene mit illegalem Organ-Handel (vgl. die bekanntesten Fälle von 1995-2015), oder auch jene mit Billigimplantaten von Hüftgelenken (vgl. Fälle von 2010-2015), etc.pp.? Und das, obwohl doch auch diese kriminellen Ärzte durch einen Eid gebunden sein müssten (vgl. Wortlaut des „Hippokratischen Eides“ bzw. das sog. „Genfer Ärzte-Gelöbnis“). Und wenn dieses Ethos schon nicht mehr innerhalb des Ärzte-Standes gilt, wieviel weniger mag es dann noch innerhalb einer profanisierten Gesellschaft gelten? Was nutzen uns die höchsten Eide, wenn weder der Arzt noch der Patient als Mensch an einen Gott glauben (können)? Was nutzen uns all die „Codices“ und „Corporate Compliances“, wenn es für die meisten heutigen Menschen nur noch einen „Wahren Gott“ gibt, nämlich jenen des Geldes (vgl. u.a. die Klagen gegen Bayer et al. wegen Präparate wie etwa die Anti-Baby-Pille „Yasminelle“; 2001 bis dato)?

Nicht nur, aber auch in solch einem „realen Umfeld“ ist es m.E. beinahe unmöglich, eine verbindliche Aussage bzgl. verantwortlichen Sterbens fällen zu können. Welcher „Stand“, welches „Amt“ käme denn für eine letztgültige Entscheidung über Leben und Tod überhaupt noch in Frage? In welchem Beruf, in welchem Stand, oder Amt ließen sich heutzutage denn keine Missbrauchsfälle nachweisen?! Jedoch: Darf es im Bereich des menschlichen Todes „schwarze Schafe“ geben, etwa so, wie bei den o.g. Medizinern, oder aber wie bei den unzähligen Lebensmittel- und Fleisch-Skandalen einer industrialisierten, globalisierten Nahrungsmittel-Produktion — und seien es auch nur Einzelne, nur Wenige…—? Und noch weiter zugespitzt gefragt: Bewegt sich dieser heute schon real existierende globale Menschen-Markt nicht schon längst in Richtung einer Horror-Vision à la „Soylent yellow & Soylent green“ (vgl. „…Jahr 2022…, die überleben wollen“, 1973, Sci-Fi-Film von Richard Fleischer)…—?

 

Diesen willfährigen „schwarzen Schafen“ gegenüber gibt es m.E. jedoch noch immer eine Mehrheit von Ärzten, Palliativmedizinern, Schmerztherapeuten, Krankenhaus-Bediensteten, ehrenamtlichen Hospitz- und Sterbehelfern, u.v.a.m., die sich dem hippokratischen Ethos verbunden fühlen und gerade weil sie Sterbenden einen menschen-würdigen Tod ermöglichen wollen, der gesetzlichen Regelung bedürfen. Denn das entbirgt die Kehrseite einer HighTech-Medizin: früher einmal erfand sich der Mensch eine „Technik“ zur Lebens-Erleichterung; heute ist die moderne Technik soweit vorangeschritten, dass sie dem Menschen Segen und Fluch zugleich geworden ist. Noch nicht erkennbar an seinem Leben — wohl aber in seinem Sterben, seinem Tod…—

Wie können wir Heutigen uns mit unserer Flucht in den sog. „Jugendlichkeits-Wahn“ einem Tabu-Thema zuwenden: unserem eigenen Tod…—? Wie können wir mit jenem uns Fremden, diesem „ganz Anderen“ unseres Lebens, sinnvoll Freundschaft schließen, Integrations-Arbeit leisten…—? Denn, was uns fremd bleibt, das wird auch Ursprung unserer Lebens-Angst bleiben. Was wir jedoch verstehen lernen, das wird uns vertraut werden. „Glücklich“ Sterben-Können setzt m.E. unser Vertrauen — sowohl im Leben als auch im Tode — voraus.

 

Schauen wir, wie ein anderer katholischer Theologe, Franz Kamphaus (*1932), das Thema Leben, Tod und Auferstehung aus dem christlichen Glauben heraus deutet. Eröffnen wir der horizontalen Ebene profanen Mensch-Seins die Vertikale einer spirituellen Glaubens-Wirklichkeit. Im Schnittpunkt aus „Horizont“ und „Vertikalen“: der existenzielle Mensch. (Essai zu Ostern: Tod und Auferstehung…)

 

 

Quellen

PIP-Skandal billiger Silikon-Implantate

https://de.wikipedia.org/wiki/Poly_Implant_Proth%C3%A8se

 

Organhandel

http://www.zeit.de/thema/organhandel

 

Fehlerhafte Hüftimplantate

http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/sendung/2010/huefte-mit-sollbruchstelle-100.html

 

http://www.implantatbruch.de/

 

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