ÜBER STILLE


Thomas Berger
ÜBER STILLE
Auszug aus:
„… alles in einem Satz“. Ilse Aichingers Poetik des Schweigens und Verschwindens.
In: Auf Dichterspuren. Literarische Annäherungen.
edition federleicht 2020, S. 9/10.

„Es war ihr Ziel, Worte vor der Entstellung zum Geschwätz zu bewahren. Hinter ihrer überraschenden Aussage steht die Überzeugung eines besonderen Verhältnisses von Schreiben und Schweigen, von Sprechen und Stille. Der Verfasser dieser Zeilen hat einmal notiert: ‚Stille und Schweigen‘ seien ‚der Nährboden nützlicher Worte‘. Und: ‚Worte reinigen sich im Tauchbad des Schweigens.‘ So können sie frisch und unverbraucht neu hervortreten. In ihrem Buch Kleist, Moos, Fasane (1987) drückt Ilse Aichinger dieses Verhältnis zwischen Stille und Äußerungen so aus: ‚Um wieder notwendig zu werden, müssen sie (die Wörter) ihre Lautlosigkeit zurückgewinnen, aus der sie notwendig entstanden.‘ Die Erfahrung der schöpferischen Kraft des Schweigens dürfte sie zu ihrer bündigen Äußerung – ‚alles in einem Satz‘ − geführt haben. Wir müssten, sagt sie 1996, ‚genau hinschauen und lange hinschauen‘, bevor wir schreiben und reden. ‚Ich kann mich nicht einfach hinsetzen um acht Uhr früh und denken, jetzt schreib‘ ich‘, bemerkt sie kapidar.“